Verkehrsunfallflucht. Carsten Krumm
23 ff. Diese wichtige taktische Frage kann nur für jeden Einzelfall gesondert entschieden werden.[7] Denkbar ist, dass lediglich eine Verteidigungsschrift der Verteidigung zur Strafakte übermittelt wird, die „nur“ den Akteninhalt würdigt und auf Widersprüche, Ungereimtheiten oder Lücken hinweist und im Übrigen keine Einlassung des/der Mandanten/in zum Tatgeschehen enthält (vgl. dazu Rn. 81). Soll jedoch eine Einlassung erfolgen, ist zu überlegen, ob eine selbst formulierte und niedergeschriebene – gemäß § 249 StPO verlesbare – Einlassung des/der Mandanten/in (vgl. dazu auch Rn. 28) oder eine von der Verteidigung für seine/n Mandanten/in formulierte Einlassung erfolgen soll. Die Verteidigung muss dabei immer die strafprozessualen Probleme einer von ihr für den/die Mandanten/in formulierten Einlassung bedenken. Zunächst gilt, dass Ausführungen der Verteidigung nur dann dem/der Mandanten/in überhaupt als eigene „Einlassung“ zugerechnet werden können, aus denen der Wille des/der beschuldigten Mandanten/in erkennbar ist, sich diese Äußerungen zurechnen zu lassen.[8] Das ist dann der Fall, wenn die Verteidigung zu dieser Erklärung ausdrücklich bevollmächtigt ist oder diese nachträglich genehmigt wird;[9] Rechtsausführungen der Verteidigung sind keine Sacheinlassung[10], ebenso wenig wie „nur“ eine Stellungnahme oder Überlegungen zum Akteninhalt[11].
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Grundsätzlich gilt, dass eine Einlassung der Verteidigung für seine/n Mandanten/in später in einer Hauptverhandlung nicht nach § 249 StPO verlesbar ist;[12] dann müsste das Gericht schon die Verteidigung als Zeugen vernehmen.[13] Die Verteidigung vermeidet strafprozessuale Probleme, wenn man Ausführungen macht, die „nur“ als Ausführungen der Verteidigung erkennbar sind, also: Keine Einlassung in Form eines Zitates oder überhaupt in direkter Rede. Denn zu beachten ist Folgendes: „Gibt der Verteidiger in der Hauptverhandlung in Anwesenheit seines Mandanten, der selbst keine Angaben zur Sache macht, Erklärungen zur Sache ab, so können diese ohne Weiteres als Einlassung des Angeklagten verwertet werden“.[14]
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Denn die Entscheidung zur Abgabe einer Einlassung – egal ob eine eigene Einlassung des/der Mandanten/in oder eine Einlassung der Verteidigung für den/die Mandanten/in – ist später praktisch nicht mehr revidierbar. Eine Einlassung sollte in der Regel also nur abgegeben werden, wenn hiermit ein positives Ergebnis erreicht werden kann, beispielsweise eine Verfahrenseinstellung oder nach einem Geständnis ein mildes Urteil.[15]
Hinweis
Vom Autor als strategisch sinnvoll empfunden wird, entlastende Umstände oder Tatsachen, die eine günstigere Beurteilung rechtfertigen, im Ermittlungsverfahren besser nur durch die Verteidigung vortragen zu lassen, ohne dass eine Einlassung des/der Mandanten/in bereits im Ermittlungsverfahren erforderlich ist. So kann die Verteidigung in einer Verteidigungsschrift Widersprüche, Ungereimtheiten und Lücken im Ermittlungsverfahren aufdecken, bislang nicht bekannte Tatsachen vortragen und unter Beweis stellen, Urkunden überreichen oder auch auf rechtliche Gesichtspunkte hinweisen, die allein schon zur Verfahrenseinstellung oder zu einer milderen Beurteilung führen, ohne dass es schon einer Einlassung bedarf. Der Autor beendet eine solche Verteidigungsschrift generell mit dem Zusatz: „Sollte sich die Staatsanwaltschaft dem Antrag der Verteidigung auf Einstellung des Strafverfahrens oder der Auffassung der Verteidigung zur Sach- und/oder Rechtslage nicht anschließen können, wird gebeten dem/der Beschuldigten vor Abschluss der Ermittlungen über die Verteidigung noch einmal rechtliches Gehör zu gewähren. Es ist beabsichtigt, dann ggf. eine weitere Stellungnahme ggf. mit Beweisantrag abzugeben.“ Oftmals kommt die Staatsanwaltschaft dem nach und es könnte dann immer noch eine Einlassung (vgl. dazu Rn. 83) abgegeben werden.
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Mit dem/der Mandanten/in muss offen die Erfolgsaussichten der Verteidigung, vor allem die Zielrichtung, erörtert werden. Es gibt keine „aussichtslosen Verteidigungen“. Es gibt allerdings Verteidigungsziele, die nach Kenntnis des Akteninhalts und der Beweismittel nicht mehr realisierbar sind. Wenn sich dabei ein Widerspruch zwischen dem nach dem Akteninhalt Realisierbaren und den Wunschvorstellungen des/der Mandanten/in ergibt, muss sich die Verteidigung offensiv damit auseinandersetzen.
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In manchen Fällen bietet sich für den/die Mandaten/in beispielsweise auch oder nur noch ein „Geständnis“ (vgl. auch Rn. 462) an, verbunden mit der Anregung an die Staatsanwaltschaft, einen milden Strafbefehl bei Gericht zu beantragen. Oftmals kann auf diese Weise die Belastung bzw. Peinlichkeit einer Hauptverhandlung (ggf. mit Zuhörern als „Öffentlichkeit“) vor Gericht erspart werden. Vgl. zum Ablauf eines Gerichtstermins auch die Informationsschrift für den/die Mandanten/in Muster 10, Rn. 671.
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Ist der/die Mandant/in noch keine 21 Jahre alt, so besteht gemäß § 1 JGG regelmäßig die Zuständigkeit der Jugendgerichte (§§ 39–42 JGG). Und es kann Jugendstrafrecht gem. § 105 Abs. 1 JGG angewandt werden, wenn „die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt“[16]. Auch wenn eine Vielzahl von Staatsanwälten und Jugendrichtern bei Verkehrsstraftaten von Heranwachsenden in der Hauptverhandlung das allgemeine Strafrecht als Regelfall anwenden wollen, ist die Anwendung von Jugendstrafrecht immer sorgfältig zu prüfen. Im Strafverfahren gegen Jugendliche ist gemäß § 79 JGG das Strafbefehlsverfahren ausgeschlossen. Allerdings darf bei einem Heranwachsenden ein Strafbefehl erlassen werden, wenn das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist; zuständig bleibt jedoch der Jugendrichter (vgl. § 109 Abs. 2 JGG).
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Auch die wirtschaftlichen[17] Verhältnisse des/der Mandanten/in sollten für den Fall, dass Ziel der Verteidigung die Anregung gegenüber der Staatsanwaltschaft zum Erlass eines milden Strafbefehls ist, Beachtung finden. Auch sind im Strafbefehlsverfahren für den Mandanten die Kosten für die Verteidigung geringer, da es nicht zu einem gerichtlichen Verfahren mit einem zu vergütenden Hauptverhandlungstermin kommt.
Anmerkungen
So auch Weihrauch/Bosbach Rn. 129.
Vgl. Weihrauch/Bosbach Rn. 99, 103.
Vgl. LR-Lüderssen/Jahn § 147, Rn. 113.
Vgl. LR-Lüderssen/Jahn § 147, Rn. 115.
Vgl. LR-Lüderssen/Jahn § 147, Rn. 112.
Vgl. statt vieler: BGHSt 29, 99 (102).
Vgl. dazu u.a.: Malek