Verkehrsunfallflucht. Carsten Krumm
vor dem Schadenfall die mitversicherte Person ausdrücklich miteinbezieht, während es in § 6 KfzPflVV für Obliegenheitsverletzungen nach dem Schadenfall – eben z.B. für das unerlaubte Entfernen vom Unfallort – eine den Mitversicherten einbeziehende Vorschrift im Wortlaut nicht gibt.
Dem wird entgegengehalten, soweit sich eine mitversicherte Person gegenüber den geschädigten Dritten haftbar gemacht habe, entstehe auch ein Gesamtschuldverhältnis zwischen der mitversicherten Person und dem Versicherer auf welches § 116 VVG Anwendung finde; für den Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung sei das unbestritten und ergebe sich das auch aus der Gesetzesbegründung;[9] argumentiert wird auch mit § 47 Abs. 1 VVG[10].
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Ob in der Kfz-Haftpflichtversicherung Leistungsfreiheit bis zu 2.500 € oder 5.000 € besteht, hängt davon ab, ob eine „normale“ Obliegenheitsverletzung oder eine besonders schwerwiegende Verletzung der Anzeige- und Aufklärungspflicht vorliegt. Bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 142 StGB (vgl. Auflistung der verbraucherfreundlichen bzw. verbraucherstrengen Urteile Rn. 108 ff.) gilt, dass das insoweit immer als eine besonders schwerwiegende Obliegenheitsverletzung eingestuft worden ist mit der Folge, dass eine Leistungsfreiheit bis zu 5000 Euro angenommen wird. Allerdings bietet § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG die Möglichkeit, die Leistungsfreiheit abzuwenden, wenn die Obliegenheitsverletzung, also auch die Verkehrsunfallflucht auf die Feststellung des Versicherungsfalls und die Höhe der Versicherungsleistung keine Auswirkung hat, sog. Kausalitätsgegenbeweis. Dieses ist dann der Fall, wenn die durch die Verkehrsunfallflucht vereitelten Feststellungen mit entsprechender Verlässlichkeit durch andere Beweismittel nachgeholt werden können, z.B. den Behörden oder andere Versicherungen schon Ermittlungen angestellt haben, über die die eigene Kfz-Haftpflichtversicherung des Mandanten/der Mandantin nicht hätte hinausgehen können, z.B. wenn der Unfall durch Zeugen beobachtet wurde oder polizeilich aufgenommen wurde.[11]
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Bzgl. des Vorhalts, durch das Entfernen vom Unfallort seien Feststellungen zu einer eventuellen Alkoholisierung bzw. Berauschtheit des/der Fahrer/s/in vereitelt worden, ist zu erwidern, dass dafür gewisse Indizien bestehen müssten,[12] ein Generalverdacht ist zu verneinen. Auch hier ist ggf. mit dem äußere Bild des Unfallanstoßes, der gegen eine alkohol- bzw. betäubungsmittelbedingte Fahruntüchtigkeit spreche[13] zu argumentieren. Außerdem, könnten ja Angaben gemacht werden, dass der/die berechtigte Fahrer/in nicht alkoholisiert bzw. berauscht war. Da bei einer Unfallflucht keine polizeiliche Unfallaufnahme am Unfallort in Anwesenheit des/der berechtigte Fahrer/s/in erfolgte, liegen regelmäßig auch keine entgegenstehenden polizeilichen Erkenntnisse vor.
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Handelt der/die Mandant/in jedoch arglistig i.S.d. § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG, dann besteht immer Leistungsfreiheit und der Kausalitätsgegenbeweis ist ausgeschlossen. Nach neuerer Rechtsprechung ist für die Prüfung der Voraussetzungen der Arglist auf eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise abzustellen.[14] „Arglistig handelt der Versicherungsnehmer bereits dann, wenn er sich bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann.“[15] Da ist dann Argumentationsgeschick gefordert. Eine Hilfe bietet nachfolgende Liste mit versicherungsvertraglicher Rechtsprechung bei Verkehrsunfallflucht:
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• | Eher verbraucherfreundlich |
OLG Karlsruhe[16] Urt. v. 3.4.2017 – Az. 20 S 101/16: Es besteht kein genereller Regressanspruch der Kfz-Haftpflichtversicherung der Unfallflucht wegen fehlender zwingender Arglist.
LG Schweinfurt[17] Urt. v. 13.4.2017 – Az. 22 O 748/15: „Kommt ein VN mit seinem Fahrzeug an einem Baum zum Stehen, ohne dass an diesem ein unfallbedingter Schaden erkennbar ist, verletzt er durch Weiterfahrt seine Obliegenheit nicht.“
Das OLG Saarbrücken[18] Urt. v. 10.2.2016 – Az. 5 U 75/14: Die Definition der Leistungsfreiheit der Versicherung nach AKB wegen Unfallflucht entspricht der strafrechtlichen Pflicht nach § 142 StGB.“
Das OLG Saarbrücken[19] Urt. v. 10.2.2016 – Az. 5 U 75/14 verneint eine über die Strafbarkeit des Unerlaubten Entfernens vom Unfallort hinausgehende Pflicht nach AKB den Unfallort nicht zu verlassen und bejaht die Entlastung des VN durch erlaubtes oder irrtümliches Entfernen.
Das AG Andernach[20] Urt. v. 19.8.2016 – Az. 64a C 342/16 – verneint eine Verletzung der Obliegenheiten, wenn die Einlassung der Beklagten, den Unfall nicht bemerkt zu haben, nicht widerlegt werden kann.
Das AG Emmendingen[21] Urt. v. 15.3.2016 verneint Feststellungsnachteile der Kfz-Haftpflichtversicherung, wenn der VN bereits wenige Minuten dem Unfall von der Polizei gestellt wird.
Das AG Landshut[22] Urt. v. 8.12.2011 – Az. 4c 1006/11 verneint ein arglistiges Verhalten mit der Rechtsfolge des § 28 Abs. 3 VVG, wenn es nach einem Verkehrsunfall zu einem Missverständnis kommt und sich die Unfallbeteiligten verfehlen.
Das AG Erkelenz[23] Urt. v. 14.9.2016 – Az. 8 C 35/16 verneint die Kausalität, da die Einhaltung der Pflichten aus § 142 StGB der Kfz-Haftpflichtversicherung keine weitere Aufklärungsmöglichkeit verschafft hätten, da Zeugen den Unfall beobachteten und verneint auch Arglist, da kein Handeln gegen die Interessen der Versicherung vorlag. Insbesondere müssen für eine eventuelle Alkoholisierung bzw. den Konsum von BtM gewisse Indizien bestehen.
Das AG Hamm[24] Urt. v. 26.3.2014 führt aus, dass durch das Unterlassen der Unfallanzeige und des Schadens hat der Beklagte auch nicht arglistig gehandelt. Die strafrechtliche Verurteilung wegen Unfallflucht bedeutet nicht ohne Weiteres die Annahme einer arglistigen Obliegenheitsverletzung (…)
Das LG Duisburg[25] hat bei einem Regress nach §§ 116 Abs. 1 Satz 2 VVG, 426 Abs. 2 BGB, 7 Abs. 1,18 StVG ausgeführt, dass es einen allgemeinen Erfahrungssatz nicht gebe, dass derjenige, der sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, damit „stets gegen die Interessen des Versicherers“ handele.
Das LG Bonn[26] hat bei einem Regress gemäß § 426 Abs. 2 BGB i.V.m. § 116 Abs. 1 Satz 2 VVG entschieden: „Die Kammer folgt der (...) vom BGH bestätigten, differenzierten Betrachtungsweise. Wie bereits die 6. Kammer des LG Bonn den dem Urteil vom 15.11.2012 – 6 S 63/12 – überzeugend aufgeführt hat, findet die „Gleichschaltung“ der Voraussetzungen der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG und der Arglist gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG keine Stütze im Gesetz.
Das Amtsgericht Borna[27] mit Urt. v. 13.11.2014 – Az. 4 C 1354/13 verneint einen grundsätzlichen Ausschluss des Kausalitätsgegenbeweises nach § 28 Abs. 3 VVG bei Unfallflucht des Versicherungsnehmers.
Das Landgericht Karlsruhe[28] mit Urt. v. 13.4.2017 – Az. 20 S 101/16 bejaht einen Verstoß gegen die die Aufklärungsobliegenheit beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort durch den Versicherungsnehmer, verneint jedoch einen grundsätzlichen Ausschlusses des Kausalitätsgegenbeweises nach § 28 Abs. 3 VVG.
Das Amtsgericht Mitte[29] bestätigt durch das Landgericht Berlin[30] verneint ausdrücklich die Auffassung, dass jede vorsätzliche Verkehrsunfallflucht Arglist darstelle und fordert eine Einzelfallbetrachtung, der Versicherte müsse