Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
oder spürbar positive Einwirkung auf den Behandlungsverlauf verspricht.[13]
Diese aus den Grundrechten abgeleitete Kontrolle der Einhaltung von Behandlungs- und Medikamentierungsansprüchen in Grenzfällen wurde später zwar etwas modifiziert,[14] dann aber auch wieder ausdrücklich unter Bezug auf den Nikolaus-Beschluss bestätigt.[15]
13
Der Bundesgesetzgeber hat im GKV-Versorgungsstrukturgesetz mit § 2 Abs. 1a SGB V eine Öffnungsklausel aufgenommen:
Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Abs. 1 S. 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Nach einem ebenfalls neu aufgenommenen § 2a und 2b SGB V sind den besonderen Belangen Behinderter und chronisch kranker Menschen sowie geschlechtsspezifischen Besonderheiten Rechnung zu tragen.
14
Da das Leistungserbringungsrecht im Wesentlichen unter der Normebene von Parlamentsgesetzen durch Richtlinien des G-BA oder Normen der Selbstverwaltung geregelt ist, stellt sich eine Vielzahl von Fragen, die insbesondere die untergesetzlichen Normsetzungsbefugnisse betreffen, mittels derer materielle Ansprüche der Versicherten geregelt werden, die Befugnisse von Kostenträgern verkürzt oder extendiert werden, oder in die Berufsausübung von Leistungserbringern regelnd eingegriffen wird. Dies ist Anlass, die Probleme der Normkonkretisierung im Leistungserbringungsrecht gesondert (siehe unten Rn. 96 ff.) zu behandeln.
15
Tipp
Die aktuellste Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit kann im RID, dem Rechtsprechungsinformationsdienst der Deutschen Gesellschaft für Kassenarztrecht recherchiert werden: www.dg-kassenarztrecht.de jeweils mit Überblick über das Thema und Verweisen auf vorangegangene Rechtsprechung; umfassend für die Recherche auch die Rechtsprechung in „Sozialgerichtsbarkeit“ siehe www.sozialgerichtsbarkeit.de und natürlich juris und beck-online. Anhängige Rechtsfragen beim BSG sind ebenfalls im RID aufgeführt und vom BSG in das Internet gestellt – www.bsg-bund.de.
Anmerkungen
Auf die entsprechenden Kapitel des Handbuchs (Ambulante Behandlung, Krankenhausbehandlung, Rehabilitation, Arzneimittelrecht u.a.) sei verwiesen, im Übrigen auf die umfassende Darstellung von Fastabend-Schneider sowie insbesondere auf die Kommentierung von Hauck/Noftz/Noftz SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung.
Schnapp/Wigge/Neumann 2. Aufl. 2006, § 13 Rn. 1.
Hauck/Noftz/Noftz § 2 Rn. 4, 80; grundlegend BSGE 81, 54; 88, 20.
BSG Urt. v. 24.4.2018 – B 1 KR 10/17 R.
BSG Urt. v. 11.9.2018 – B 1 KR 7/18.
Noftz VSSR 1997, 393; Neumann SGB 1998, 609; grundlegend Schwerdtfeger NZS 1998, 49 ff. und 97 ff.
BSGE 81, 54 und 81, 73.
Schnapp/Wigge/Propp § 12.
BSGE 78, 70.
BSGE 81, 54.
Schnapp/Wigge/Neumann 2. Aufl. 2006, § 13 Rn. 10 ff.
BVerfG Urt. v. 6.12.2005 – 1 BvR 347/98, MedR 2006, 164 f., Nikolaus-Beschluss.
BVerfG Urt. v. 6.12.2005 – 1 BvR 347/98, MedR 2006, 164 f., Nikolaus-Beschluss.
BVerfG Urt. v. 29.11.2007 – 1 BvR 2469/07, NZS 2008, 365 (zum Darmkarzinom).
BVerfG Urt. v. 30.6.2007 – 1 BvR 1665/07, GesR 2009, 104 (Multiple Sklerose), s. hierzu im Übrigen unten Rn. 122 ff. sowie BVerfG Beschl. v. 19.3.2009 – 1 BvR 316/09: In dieser Entscheidung hatte das BVerfG in der Verweigerung der begehrten Elektrotiefenhyperthermie und Behandlung mit dendritischen Zellen einen Grundrechtsverstoß auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG wegen schwerer Rechtsanwendungsfehler gesehen und im einstweiligen Rechtsschutz eine entgegen stehende Entscheidung des Landessozialgerichts aufgehoben. Siehe auch BVerfG Beschl. v. 26.3.2014 – 1 BvR 2415/13, NJW 2014, 2176 f.
7. Kapitel Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung › B. Grundprinzipien des Leistungsrechts
B. Grundprinzipien des Leistungsrechts
16
Die gesetzlich Krankenversicherten haben nach § 11 SGB V Anspruch auf eine umfassende medizinische Versorgung. Der Grundstruktur des § 2 Abs. 1 und 2 SGB V nach sind die Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen und nur ausnahmsweise auf Kostenerstattung oder Geldleistungen gerichtet. (Zu den Strukturen der Leistungsarten siehe unten Rn. 71 ff.).
17
Anspruch auf Krankenversorgung und Rehabilitation zu haben, bedeutet indessen nicht, dass die Versicherten unbegrenzt Zugang zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung hätten. Das gesetzliche Krankenversicherungsrecht hat verfassungsrechtlich lediglich einen staatlichen Gesundheitsauftrag zu beachten. Der Gesetzgeber hat dabei einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum.[1] Die Grenzen des verfassungsrechtlich Gebotenen sind Gegenstand ständiger verfassungsgerichtlicher Konkretisierungen.[2]
18
Eine Rationierung von Leistungen ist im System grundsätzlich nicht vorgesehen, auch wenn nicht jede wirksame Leistung allein aus diesem Grunde in Anspruch genommen werden kann. Das