Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
betreffend des Hilfsmittelverzeichnisses auseinandersetzen, denn obwohl sie keine Positivliste darstellt, richten sich Kostenträger bei ihrer Leistungsentscheidung im Sinne einer wichtigen Orientierungshilfe an diesem Verzeichnis aus.
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Einen neuen Leistungsbereich stellen seit dem 19.12.2019 Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) dar. Hierbei handelt es sich, wie bei den überwiegenden Hilfsmitteln, um Medizinprodukte weshalb sie systematisch neben diesen normiert werden. Die Aufnahme von DiGA nach § 33a SGB V erfolgt im Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendung nach dem durch das DVG[59] neu gefassten § 139e SGB V. Zuständig für die Aufnahme, Aktualisierung und Streichung im Verzeichnis ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die notwendigen, durch den Hersteller beizubringenden Nachweise regelt § 139e Abs. 2 SGB V. Neben Anforderungen an (Daten-)Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität und Datenschutz sind es vor allem positive Versorgungseffekte, die nachgewiesen werden müssen.[60] Details zum Verfahren regelt eine ergänzende Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV).[61] Nach Aufnahme in das Verzeichnis können DiGA durch den behandelnden Arzt bzw. Physchotherapeuten oder mit Genehmigung der Krankenkasse zulasten der GKV verordnet werden.
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Tipp
Mehr Information, insbesondere zur Aufnahme in das Verzeichnis, sog. Fast-Track-Verfahren für DiGA, finden sie unter https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/DVG/_node.html sowie dem hih – health innovation hub des Bundesministeriums für Gesundheit, https://hih-2025.de.
4. Das Gebot der Wirksamkeit und Qualität
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In § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V wird die Wirksamkeit und die Qualität von Leistungen hervorgehoben. Unter Wirksamkeit versteht man die indikationsbezogene Eignung. Die Qualität der Leistungen muss dem Stand der medizinischen Erkenntnisse und dem medizinischen Fortschritt entsprechen. Nur wirksame und qualitätsvolle Leistung kann in diesem Sinne auch wirtschaftlich sein.
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Mit der Pflicht, dem Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen, ist das Gebot der Wirksamkeit und Qualität verknüpft. Dieses Gebot fand nach seiner allgemeinen Erwähnung in § 2 Abs. 1 S. 3 und § 70 SGB V immer größere gesetzgeberische Beachtung. Die Qualitätssicherung war gesetzgeberischer Schwerpunkt des GRG und wurde in allen folgenden Änderungsgesetzen aufrechterhalten. Die Qualitätssicherung ist weiter gestärkt worden.[62] Auf Qualitätssicherung gerichtet sind die Richtlinien nach § 92 SGB V und die qualitätssichernden Normen der §§ 135a bis 137 sowie der §§ 139 ff. SGB V. Das durch § 139a SGB V geschaffene Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ist durch das GKV-WSG gestärkt worden. Es hat Nutzen- und Kostenuntersuchungen durchzuführen, hat eine eigenständige unabhängige Begutachtungsfunktion und Informationspflicht übertragen erhalten.
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Soweit Qualitätsanforderungen gestellt werden, wird das Niveau der Leistungen angehoben und die Inanspruchnahme nicht qualitätsgesicherter Methoden begrenzt. Die hiermit verbundenen Kostenfolgen werden in Kauf genommen. Die Forderung nach bestmöglicher Qualität und Wirksamkeit bestimmt die Leistungsansprüche der gesetzlichen Krankenversicherung maßgeblich.
7. Kapitel Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung › B. Grundprinzipien des Leistungsrechts › II. Prinzipien der Eingrenzung der Versorgung
II. Prinzipien der Eingrenzung der Versorgung
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Der Leistungsanspruch des Versicherten und die Erbringung von Leistungen ist begrenzt. Filterfunktion haben dabei die Prinzipien der Eigenverantwortung, Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit. Das Gebot der Beitragssatzstabilität nach § 71 SGB V ist zu beachten. Mit diesen Filterfunktionen soll eine Beschränkung des Leistungsgeschehens auf von der Solidargemeinschaft tragbare Kosten des Gesundheitssystems bei gleichzeitiger Sicherstellung der generellen Effizienz bewirkt werden.
1. Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit
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Dieser Grundsatz des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V ist aus § 1 SGB V abgeleitet. Er benennt die Verantwortung des Einzelnen für die eigene Gesundheit als Ausfluss des Solidarprinzips der gesetzlichen Krankenversicherung.
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Trotz des umfassenden Sicherstellungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben die Versicherten nicht von Einschränkungen verschont. Unter dem Begriff der Eigenverantwortung werden Leistungen aber nicht nur eingeschränkt, sondern wird auch gesteuert. Diese Steuerung soll den Umfang der Inanspruchnahme von Leistungen betreffen und damit Einfluss auf die Beitragshöhe der Krankenkassen haben. Dabei erfolgt z.B. ein Rückgriff auf Eigenmittel des Versicherten ebenso wie das Überborden von Kostenfolgen aus nicht gesundheitsbewusster Lebensführung. Die gesetzliche Krankenversicherung nimmt den Versicherten vielfältig durch Leistungsausgrenzungen, Begrenzungen oder Zuzahlungen in die Pflicht.
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Maßgebliche Bedeutung haben dabei begrenzte Kostenübernahmen (z.B. für künstliche Befruchtung nach § 27a Abs. 3 SGB V,[63] Festbeträge für Hilfsmittel, § 36 SGB V). Im Einzelnen werden im 3. bis 10. Abschnitt des 3. Kapitels des SGB V vielfältige Begrenzungen genannt. Dort ist auch geregelt, dass Versicherte Zuzahlungen zu leisten haben. Derartige Zuzahlungen betreffen bspw. Leistungen für die Rehabilitationsbehandlung nach § 39 Abs. 4 SGB V oder die Krankenhausbehandlung nach § 40 Abs. 2 und Abs. 6 SGB V. Mit den Leistungsbegrenzungen wegen nicht gesundheitsbewussten Verhaltens korrespondiert die Ausgrenzung ganzer Leistungsbereiche beispielsweise des Zahnersatzes nach § 55 SGB V.[64] Nach dieser Norm erhalten die Versicherten lediglich Festzuschüsse, deren Höhe vom nachweisbaren Umfang der vorangegangenen regelmäßigen Zahnpflege abhängig ist.[65] § 52 Abs. 1 SGB V führt zu einem Leistungsausschluss bzw. einer Leistungsbegrenzung bei vorsätzlicher Herbeiführung der Erkrankung oder wenn die Behandlungsnotwendigkeit auf strafbarem Verhalten beruht. Nach § 52 SGB V i.F.d. GKV-WSG haben Versicherte die durch Piercing, Tätowierung oder ästhetische Operationen verursachten Kosten in angemessenem Umfang ganz oder teilweise selbst zu tragen. Erfahrungen liegen offensichtlich noch nicht vor.[66]
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Die Belastungsgrenzen für Zuzahlungen wurden durch das GKV-WSG durch die Verknüpfung von § 62 mit § 25 SGB V in der Höhe für die Fälle beschränkt, in denen gesetzlich Krankenversicherte dokumentierte Vorsorgeleistungen in Anspruch genommen hatten. Neben Begrenzungen sieht die gesetzliche Krankenversicherung in § 65a SGB V Möglichkeiten vor, bei besonders gesundheitsbewusstem Verhalten Boni zu gewähren.
2. Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit
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Nur notwendige Leistungen für den prognostisch angestrebten medizinischen Behandlungserfolg können von der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen werden. Notwendig sind dabei alle Leistungen, die unvermeidlich und unentbehrlich einzusetzen sind. Diese Leistungen sind gleichzeitig auch ausreichend, wenn sie ihrem Zweck genügen, d.h. Mindesterfordernissen entsprechen. Sie dürfen die untere Grenze der Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit nicht unterschreiten. Über das Ausreichende hinausgehende Leistungen wären weder geschuldet noch wirtschaftlich. Gleiches gilt für die nicht zweckmäßigen Leistungen. Hier zeigt sich die Verknüpfung der leistungsgewährenden und der leistungsbegrenzenden Elemente der Grundprinzipien. Die leistungsgewährenden Elemente der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit werden