Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Der EBM beinhaltet demnach keine Liste sozialrechtliche geprüfter und erstattungsfähiger Untersuchung- und Bewertungsmethoden, sondern bezieht sich lediglich auf die damit verbundene ärztliche Leistung. Diese muss dem sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechend; nur insoweit ist der Arzt bei der Auswahl des Produkts gebunden. Er muss sich selbst darüber informieren, welches Produkt diese Voraussetzungen erfüllt, da ihm keine Vorauswahl des G-BA in der Art eines Hilfsmittelverzeichnisses zur Verfügung steht.
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Praxishinweis
Für Hersteller ist es problematisch, dass sie den Methodencharakter ihrer Innovation vorher oftmals schwer abschätzen können und die Rechtsprechung nur für Einzelfallentscheidungen Klarheit schafft. Abhilfe kann insoweit die neue Verfahrensordnung des Bewertungsausschusses schaffen, § 87 Abs. 3e S. 1 Nr. 1 SGB V. Diese ist nunmehr unter https://institut-ba.de abrufbar.
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Durch das GKV-VStrG wurde mit § 137e eine Regelung über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden während einer Erprobungsphase bei entsprechender Beschlussfassung des G-BA (vorläufig) in das Leistungssystem der GKV aufgenommen. Das Ziel der Erprobung ist die Generierung der noch fehlenden Erkenntnisse, die für die Bewertung des Nutzens erforderlich sind. Die neue Methode wird in diesem Fall zeitlich befristet zu Lasten der GKV nach § 137e Abs. 1 S. 2 SGB V erbracht.[44] Antragsberechtigt sind Medizinproduktehersteller, auf dessen Einsatz die technische Anwendung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode maßgeblich beruht bzw. Unternehmen, die als Anbieter der zu erprobenden Methode ein wirtschaftliches Interesse an einer Erbringung zulasten der Krankenkassen haben. Allerdings wurde das Verfahren bisher nur unzureichend beansprucht, weil Unternehmen die Kosten der Studien für zu hoch, oder die Gewinnaussichten für zu gering bewerteten.[45] Zudem bestand kein wirksamer rechtlicher Schutz vor Trittbrettfahrern, da Konkurrenzunternehmen von einem positiven Beschluss profitieren konnten ohne sich an den Kosten beteiligen zu müssen.[46]
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Mit dem TSVG hat insbesondere die Organisation und Finanzierung der Erprobung Änderungen erfahren.[47]So erhalten die Antragsberechtigten Unternehmen ein zeitlich befristetes Wahlrecht, die wissenschaftliche Begleitung und Auswertung der Erprobung statt durch den G-BA unmittelbar selbst und auf eigene Kosten durch ein unabhängiges Institut zu beauftragen. Die Kostentragung regelt der neue Abs. 6. Hierbei gilt das „Besteller-Prinzip“, d.h. die beauftragte Institution bezahlt die Kosten der Begleitung und Auswertung der Erprobung. Es finden dabei keine Differenzierungen nach der Größe des Unternehmens oder nach der ambulanten oder stationären Erbringung der Methode sowie keinerlei gegenseitige Kostenerstattungen statt.
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Praxishinweis
Der G-BA ist nach § 137e Abs. 8 SGB V verpflichtet, Hersteller und Unternehmen zu den Voraussetzungen der Erbringung einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zulasten der Krankenkassen, zu dem Verfahren der Erprobung sowie zu der Möglichkeit, eine unabhängige wissenschaftliche Institution auf eigene Kosten mit der wissenschaftlichen Begleitung und Auswertung der Erprobung zu beauftragen, zu beraten. Die Beratung ist kostenpflichtig und die Gebührenhöhe richtet sich nach der jeweiligen Kategorie (I–IV). Infomaterialien sind auf der Internetseite des G-BA unter der Rubrik „Beratung nach § 137a Abs. 8 SGB V“ abrufbar, s. www.g-ba.de.[48]
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Bereits erbrachte herkömmlich angewandte, aber nicht ausdrücklich positiv anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden stehen nach § 135 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB V unter dem Vorbehalt einer Überprüfung durch den gemeinsamen Bundesausschuss. Insoweit liegt eine Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt vor.
b) Grundsätze für die Krankenhausbehandlung
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In der Krankenhausbehandlung ist die Rechtslage demgegenüber umgekehrt. Hier gilt auch hinsichtlich der Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die generelle Erlaubnis unter Vorbehalt der Überprüfung durch den G-BA.[49] Dies folgt aus § 137c SGB V.[50] Ausnahmen greifen nur dann ein, wenn diese ausdrücklich im Gesetz zugelassen sind, § 31 SGB I. Eine solche Ausnahmeregelung enthält beispielsweise § 137c Abs. 2 S. 2 Hs. 2 SGB V, der gestattet, dass die Krankenkassen jedenfalls die notwendige stationäre Versorgung derjenigen Patienten vergüten, die in eine klinische Studie zu einer an sich aus dem Leistungskatalog ausgeschlossenen Methode einbezogen sind. Strukturell ist das Krankenhaus also für die Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden geöffnet, ohne dass damit auch die Forschung und die Entwicklung derartiger Methoden Finanzierungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung wäre. Die Anwendung im Krankenhaus setzt also lediglich ihre allgemeine Anerkennung voraus. Die Rechtsprechung erteilt aber einer Verlagerung nicht anerkannter ambulanter Methoden in die stationäre Behandlung eine Absage.[51] Behandlungen im Rahmen von Forschungsvorhaben folgen anderen rechtlichen Zulassungskriterien des Krankenversicherungsrechtes bzw. des Arzneimittel- und Medizinprodukterechts. Eine entsprechende Regelung fehlt für den Rehabilitationsbereich. Für diese öffnet § 137d SGB V den Spitzenverbänden der Krankenkasse und den Verbänden der Leistungserbringer ein erweitertes Gestaltungsfeld.
c) Arzneimittel
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Die Zulassung neuer Arzneimittel richtet sich nach dem Arzneimittelgesetz. Grundsätzlich[52] können nur zugelassene Fertigarzneimittel im Rahmen der §§ 31, 34 SGB V, der hierauf aufbauenden Arzneimittelverordnungen und im Rahmen der Arzneimittelrichtlinien des G-BA eingesetzt werden.[53] Unter dem Vorbehalt dieser Normen können neue Arzneimittel unbegrenzt eingesetzt werden.
d) Sonstige Leistungsbereiche
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Neue Heilmittel nach § 32 SGB V können von Vertragsärzten nur nach Anerkennung durch den gemeinsamen Bundesausschuss verordnet werden. Dies folgt aus § 138 i.V.m. § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V. Bspw. hat der G-BA beschlossen, die Heilmittel-Richtlinie mit Wirkung ab 1.1.2018 um den Bereich Ernährungstherapie zu erweitern. Somit ist die Ernährungstherapie für Patienten mit Mukoviszidose oder einer seltenen angeborenen Stoffwechselerkrankung ein verordnungsfähiges Heilmittel[54].
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Bei langfristigem Heilmittelbedarf, beispielsweise in der Physiotherapie sieht § 32 Abs. 1a SGB V nunmehr eine Genehmigungsmöglichkeit durch die Krankenkassen und damit eine Entlastung von Vertragsärzten vor Regressrisiken vor.
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Die Aufnahme neuer Hilfsmittel nach § 33 SGB V erfolgt im Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen nach dem durch das GKV-WSG[55] neu gefassten § 139 SGB V. Das Hilfsmittelverzeichnis ist keine Rechtsnorm, es hat lediglich deklaratorische Charakter im Sinne der Feststellung des Vorhandenseins entsprechender Wirkung.[56] Erforderlich für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis ist der Nachweis der Funktionstüchtigkeit, der Sicherheit, der Qualität und des therapeutischen Nutzens nach § 139 Abs. 4 SGB V. Eine Übersicht über die Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses sind abrufbar unter https://hilfsmittel.gkv-spitzenverband.de/hmvAnzeigen_input.action.
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Praxishinweis
Der § 139 SGB V ist durch das HHVG mit Wirkung zum 11.4.2017[57] materiell-rechtlich erweitert worden. Insbesondere wurden neben den Regelung für Hilfsmittel, die untrennbarer Bestandteil einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darstellen, die Kongruenz mit dem MPG (CE-Kennzeichnung) hergestellt, eine Fortschreibungs-, Aktualisierungs- und Bereinigungsverpflichtung und die Involvierung maßgeblicher Spitzenorganisationen der Hersteller und Leistungserbringer implementier, sowie darüber hinaus der SpiBuKK verpflichtet,