Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
in ihrer Gegenäußerung vom 30.8.2006 zur Stellungnahme des Bundesrates die vorgeschlagene Bezugnahme auf eine Kompatibilität mit Landesrecht ablehnte (§ 95 Abs. 9 S. 1 SGB V, § 24 Abs. 3 S. 3 Ärzte-ZV, § 33 Abs. 3 S. 5 Ärzte-ZV, § 24 Abs. 3 S. 1 Zahnärzte-ZV und § 33 Abs. 3 S. 5 Zahnärzte-ZV), hielten z.B. der Medizinrechtsausschuss des DAV[13] und andere daran fest, dass dem Bund insoweit die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Der Verweis in der Entwurfsbegründung auf Art. 72 Abs. 2 GG (Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, S. 17 III. 1. und S. 31 zu Nummer 11 – § 33) übersieht nämlich, dass Art. 72 Abs. 2 GG im Zuge der Föderalismusreform geändert worden ist. In der neuen Fassung von Art. 72 Abs. 2 GG[14] bezieht sich das Gesetzgebungsrecht des Bundes im Rahmen der Gesetzgebungsmaterien in Art. 74 GG mit der Zielsetzung des Art. 72 Abs. 2 GG nur noch auf die enumerativ in der Neufassung aufgeführten Sachgebiete.[15] Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gehört nicht dazu. Auf diese Einschränkung des Anwendungsbereichs der Erforderlichkeitsklausel in Art. 72 Abs. 2 GG (n.F.) hat die Bundesregierung mit Drucksache 651/06 vom 4.9.2006 hingewiesen.[16] Der Vorrang der Länderkompetenz im Rahmen der originären Berufsausübung ohne sozialversicherungsrechtliche Ausgestaltung bleibt daher unberührt. Insofern war die Formulierung in der Gegenäußerung der Bundesregierung, diese Änderungen würden nur den vertragsärztlichen Bereich betreffen und eventuelle Zulässigkeitshindernisse unberührt lassen, irreführend. Der „Vertragsarzt“ ist kein eigenständiger Beruf. Der Kompetenztitel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG trägt nur dort, wo spezielle sozialversicherungsrechtliche Ziele, wie etwa die Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit berührt sind, nicht aber im Bereich der reinen Berufsausübung ohne zwingenden Bezug zur Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung.[17] Dies wird auch an folgendem Beispiel deutlich. Während in der vertragsärztlichen Versorgung strikt auf die Einhaltung der Fachgebietsgrenzen – auch im Hinblick auf die Vergütungsfähigkeit von Leistungen geachtet wird –, scheint dies bei rein privatärztlichen Leistungen nicht mehr konsequent durchgehalten zu werden. Zwar haben die Zivilgerichte[18] teilweise eine Abrechnungsfähigkeit fachfremder Leistungen abgelehnt; nach einer Entscheidung des BVerfG[19] können auch fachfremde Leistungen abgerechnet werden, wenn der Arzt die Leistung medizinisch korrekt erbringen kann.
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Ein Dauerbrenner ist – trotz der Einführung von § 91 Abs. 6 SGB V – die Diskussion über die verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses.[20] Das BMG hatte eigens drei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben,[21] die die bisherige Konzeption, wenn auch mit unterschiedlichen Überlegungen im Ergebnis für vertretbar hielten, allerdings auf erhebliche Kritik stießen.[22] Trotz nach wie vor erheblicher Bedenken in der Literatur[23] halten sowohl das BVerfG wie auch das BSG an der grundsätzlichen Legitimation des G-BA zur Normgebung fest, wenn auch in Teilbereichen die Regelungsintensität diskutiert wird.[24] Im Ergebnis hält die Rechtsprechung die demokratische Legitimation des G-BA für ausreichend belegt.[25]
Anmerkungen
BVerfGE 33, 125 ff. (Facharztentscheidung); Spickhoff/Steiner Art. 74 GG Rn. 4 ff.
Siehe nur die Diskussion um die duale oder monistische Krankenhausfinanzierung oder der durch das GKV-WSG in § 140d Abs. 1 S. 5 SGB V vorgesehene Wegfall der Rückerstattung nicht verbrauchter Einbehalte zur Förderung der integrierten Versorgung.
BSGE 82, 55 ff. (Zytologie); Wenner NZS 2002, 1 ff.; Axer VSSR 2002, 215 ff. ausdrücklich unter Berufung auf Art. 72 Abs. 2 GG; Engelmann ZMGR 2004, 1, 5; dagegen Butzer MedR 2004, 177 ff.; Sodan NJW 2003, 257 ff.; siehe auch BVerfGE 106, 62 ff. (Altenpflegergesetz).
Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG betrifft nur das Vertragsarztrecht und Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG nur den Zugang zum Beruf, nicht die Berufsausübung; siehe auch § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV; BVerfG Urt. v. 27.7.2004 – 2 BvF 2/02, NJW 2004, 2803 ff. „Juniorprofessur“ (zur Reichweite der Rahmengesetzgebungskompetenz); Pestalozza GesR 2006, 389 ff.
BVerfGE 88, 203, 313 m.w.N.
Engelmann GesR 2004, 113, 117 m.w.N.
BSGE 82, 55 ff. (Zytologie); BSG Urt. v. 8.9.2004 – B 6 KA 18/03, GesR 2005, 86 (Schmerztherapievereinbarung: höhere Anforderungen zur Teilnahme als zur berufsrechtlichen Bezeichnung „spezielle Schmerztherapie“ zulässig).
BVerfG Beschl. v. 17.6.1999 – 1 BvR 2507/97, NJW 1999, 2730 f.; BSG Beschl. v. 11.11.2005 – B 6 KA 12/05 B.
BVerfG Nichtannahmebeschl. v. 15.8.2018 – 1 BvR 1780/17, ZMGR 2019, 26, Nichtmitnahme Versorgungsauftrag kein Verstoß gegen Anlage 9.1 BMV-Ä.
Umfassend zu diesem Thema Engelmann GesR 2004, 113 f.
Stellungnahme v. 7.7.2006, BR-Drucks. 16/2474.
Pestalozza GesR 2006, 387 ff.
http://www.anwaltverein.de/01/04/37/archiv_index.html (Stellungnahme von Oktober 2006).
BGBl. I 2006, 2034.
Sachs/Degenhart GG, 8. Aufl. 2018, Art. 72 Rn. 5.
Siehe hierzu auch das Föderalismusreform-Begleitgesetz, BGBl. I 2006, 2098.
BVerfGE 102, 26, 36 (Frischzellen); BVerfG Beschl. v. 30.4.2004 – 1 BvR 2334/03, GesR 2004, 539 (Botox); BVerfG Beschl. v. 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02, GRUR 2003, 966; siehe auch Engelmann FS 50 Jahre BSG, 429, 436 ff.; Pestalozza GesR 2006, 389 ff., zutreffend insbesondere Rixen VSSR 2007, 213 ff.
OLG Celle Urt. v. 22.10.2007 – 1 U 77/07, MedR 2008, 378, MRT-Leistungen durch Orthopäden.
BVerfG Beschl. v. 1.2.2011 – 1 BvR 2383/10,