Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
Recht 2008, 295 ff.
BVerfG Beschl. v. 4.2.2004 – 1 BvR 1103/03, VersR 2004, 898, Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze verletzt keine Grundrechte privater Krankenversicherer; BVerfG Beschl. v. 18.7.2005 – 2 BvR 2/01, BVerfGE 113, 167 = GesR 2005, 501 zur Rechtmäßigkeit des Risikostrukturausgleichs.
Axer GesR 2007, 197; Pitschas GesR 2008, 64 ff.
Axer GesR 2007, 193 ff. m.w.N.
BVerfGE 113, 167, 196 ff.
Becker/Schweitzer 59 ff.
4. Kapitel Das Gesundheitswesen in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland › C. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG
C. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG
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Nach ganz h.M.[1] gibt es kein Grundrecht auf Gesundheit als Individualanspruch. Vielmehr ist Art. 2 Abs. 2 GG, soweit die Gesundheit angesprochen ist, eher als Auftrag an den Gesetzgeber und die Gerichte zu verstehen, bei den jeweiligen Entscheidungen z.B. über die Arzneimittelsicherheit[2] oder den Leistungsumfang der Sozialsysteme im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG auch die Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen eines Gesundheitssystems zu beachten, in dem der Einzelne wiederum gemessen am Anspruch des Art. 2 Abs. 2 GG geschützt ist.[3] Dies ist kein Widerspruch in sich. Zuck[4] weist zutreffend darauf hin, dass der früher auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unkritisch verwendete unsägliche Begriff der „Volksgesundheit“ den Wertgehalt von Art. 2 Abs. 2 GG ebenso wenig widerspiegelt wie die neuere Terminologie der „Gesundheit der Bevölkerung“. Letztlich sind dies inhaltsleere Floskeln, mit denen man alles und jeden „zu erschlagen können glaubt“ angesichts ihrer gerade in Deutschland nahezu metaphysischen Verklärung.[5]
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Bezogen auf Gesundheitssysteme dürfte der Zugang über das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG zutreffend sein. Konkret kann diese Frage dann eine Rolle spielen, wenn eine Methode oder ein Arzneimittel nicht im Leistungskatalog der GKV enthalten ist, der Betroffene aber behauptet, er benötige diese Methode oder Substanz, weil er ansonsten schwerwiegende gesundheitliche Nachteile hinzunehmen oder zu befürchten habe. Handelt es sich hingegen um eine lebensbedrohliche Erkrankung kann auch die Kostenübernahme für eine kurative Alternativtherapie erstattungsfähig sein, wenn die vorhandene Standardtherapie nur palliative Ziele verfolgt.[6] Der Ausschluss von OTC-Arzneimitteln von der Kostenerstattungspflicht in der GKV (§ 34 Abs. 1 SGB V) ist nicht verfassungswidrig.[7] In gleicher Weise wurde die Ablehnung einer begehrten Leistung im Rahmen der Behandlung von Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen bei Diabetes mellitus Typ I, die vom G-BA abgelehnt worden war, nicht als Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG und auch nicht als Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip eingestuft, da es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handele.[8] Das BSG hat die Altersgrenzen im Rahmen reproduktionsmedizinischer Maßnahmen sowie ihre Beschränkung auf Ehepaare in der GKV unter eingehender Begründung mit dem Kindeswohl begründet und deshalb die Pflicht zur Kostenübernahme für heterologe In-vitro-Fertilisationen abgelehnt.[9] Das BVerfG hat die gesetzgeberische Entscheidung in § 27a SGB V, Kosten im Rahmen der künstlichen Befruchtung nur bei Eheleuten und dort auch nur im homologen System zu übernehmen, gebilligt, dies aber im Wesentlichen mit der Abwägungsprärogative des Gesetzgebers begründet; ein generelles Unwerturteil heterologer Verfahren lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen.[10] Interessant ist allerdings der Hinweis des BVerfG, die Ungleichbehandlung zwischen verheirateten und nicht verheirateten Paaren sei im Ergebnis nur deshalb kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil es sich bei der Kinderwunschbehandlung durch künstliche Befruchtung nicht um Krankenbehandlung im eigentlichen Sinne, wie z.B. chirurgische Eingriffe handle (sic!), sondern vom Gesetzgeber nur den Regelungen für Krankenbehandlung unterworfen wurde.[11] Auch der BGH hat nur die homologe extra-korporale Befruchtung innerhalb der Ehe als medizinisch notwendige Heilbehandlung qualifiziert und die Einstandspflicht der Krankenkasse für zunächst drei Versuche bejaht.[12] Grundsätzlich darf der Ausschluss eines Patienten von „zuteilungs- bzw. verteilungspflichtigen“ Leistungen wie z.B. in der Transplantationsmedizin aber nicht willkürlich sein, so angenommen für die Nichtaufnahme eines Patienten auf die Warteliste wegen mangelnder Deutschkenntnisse.[13]
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Regelmäßig gibt es immer wieder Diskussionen um den Sinn und die Rechtmäßigkeit einer Impfpflicht. Durch das Präventionsgesetz[14] wurde 2015 das Infektionsschutzgesetz (IfSG) geändert. Eltern müssen seitdem bei der Kita-Anmeldung nachweisen, dass eine ärztliche Beratung über einen ausreichenden Impfschutz vorliegt. Wenn der Nachweis nicht erbracht wird, benachrichtigt die Kita-Leitung das Gesundheitsamt. Das wiederum nimmt Kontakt mit den Eltern auf und mahnt sie, diese Beratung in Anspruch zu nehmen. Das BMG wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann insoweit eingeschränkt werden.[15] Solange das BMG von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen zum Erlass dieser Rechtsverordnung ermächtigt. Wird festgestellt, dass eine Person in einer Gemeinschaftseinrichtung erkrankt ist, dessen verdächtig oder ansteckungsverdächtig ist, kann die zuständige Behörde Personen, die weder einen Impfschutz, der den Empfehlungen der STIKO entspricht, noch eine Immunität gegen Masern durch ärztliche Bescheinigung nachweisen können, Tätigkeiten untersagen, bei denen Kontakte zu den dort Betreuten bestehen sowie Betreuten Betretungs-, Benutzungs- und Teilnahmeverbote erteilen, bis eine Weiterverbreitung der Krankheit in der Gemeinschaftseinrichtung nicht mehr zu befürchten ist (§ 28 Abs. 2 IfSG). Auch Nichtstörer können zu diesen Maßnahmen herangezogen werden. Ziel ist es, die Infektionskette zu unterbrechen. Maßnahmen nach § 28 IfSG werden auf Vorschlag des Gesundheitsamts von der zuständigen Behörde angeordnet. Bei Gefahr im Verzug kann das Gesundheitsamt auch selbst handeln. Widerspruch und Klage haben keine aufschiebende Wirkung.[16] §§ 33–35 IfSG beinhalten besondere Vorschriften für Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen, wie Kinderkrippen, Kindergärten, Kindertagesstätten, Schulen, Kinderhorten oder sonstigen Ausbildungsorten tätig sind. Diese besonderen Vorschriften richten sich auch an die Besucher/Nutzer dieser Einrichtungen. So können etwa auch Schulbesuchsverbote ausgesprochen werden.[17]
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Anfang 2019 stieß der SPD Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die Diskussion um eine Impfpflicht zum Schutz vor Masern angesichts des weltweiten Anstiegs der gemeldeten Erkrankungen erneut an. Gesundheitsminister Jens Spahn nahm die Initiative auf. Derzeit liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) vor. Darin wird u.a. für bestimmte Personenkreise, z.B. Kindergartenkinder und Schüler, eine Impfpflicht zum Schutz vor Masern eingeführt (dazu unten Rn. 15). Das Meinungsbild hierzu ist sehr unterschiedlich.[18] In der früheren DDR gab es eine entsprechende Impfpflicht. Dies schlägt sich auch in Umfragen nieder. Die ostdeutsche Bevölkerung steht der (Wieder-)Einführung einer Impfpflicht wesentlich offener gegenüber als der Rest der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Aber auch in der „alten“ Bundesrepublik gab es bis weit in die siebziger Jahre hinein – von vielen vergessen – eine Impfpflicht gegen Pocken, die im Übrigen vom Bundesverwaltungsgericht als mit dem