Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
zur Nichtigkeit des § 217 StGB ist ein vorläufiger Schlusspunkt zu dieser Frage gesetzt worden. Wie nicht anders zu erwarten löste diese Entscheidung heftige Kritik aus, die jedoch in der Sache unbegründet ist.[20] Erste Reformüberlegungen sind jedoch bereits im Gange. Feststeht jedenfalls, dass § 16 MBO, der ohnehin bislang nur in 10 von 17 Landesärztekammern umgesetzt war, in dieser Form nicht fortbestehen wird und schon jetzt, obwohl noch nicht geändert, keine Grundlage für Sanktionen mehr sein kann.[21] Folgende Voraussetzungen dürften nach der Entscheidung des BVerfG bis zu einer Neuregelung erfüllt werden müssen: Ergebnisoffene Beratung, Aufklärung einschließlich der Aufklärung über Alternativen, Einsichtnahme in medizinische Unterlagen, Fachärztliche Untersuchung, ggf. Patientenverfügung einschl. Entbindung von der Rettungspflicht, Einwilligungsfähigkeit des Suizidwilligen, kein Zwang durch Drohung oder Täuschung, Einnahme des tödlichen Mittels durch den Patienten selbst und keine Verschreibung/Überlassung von betäubungsmittelrechtlich verbotenen Mitteln.
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Erhebliche Diskussionen hat die Neuregelung des Umfangs der Personensorge bei einer Beschneidung eines männlichen Kindes in § 1631d BGB[22] ausgelöst.[23] Während Grams[24] von einer verfassungswidrigen Legalisierung der Körperverletzung und Verstößen gegen Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG spricht, hält Höfling[25] diese Kritik für überzogen.[26] Dass die Debatte gerade in Deutschland schwierig war und ist, kann niemanden verwundern. Statt gegenseitiger Vorhaltungen würde man sich allerdings mehr Faktensicherheit sowohl in historischer und medizinischer Hinsicht wünschen.
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Mit Urteil vom 24.7.2018 hat das BVerfG einschneidende Grenzlinien zur Zulässigkeit der Fixierung in Krankenhäusern, Heimen und Justizverwaltungen gezogen.[27] Danach kann eine Fixierung nur zur Abwendung einer drohenden gewichtigen Gesundheitsentscheidung sowohl des Betroffenen selbst, als auch anderer Personen wie des Pflegepersonals oder der Ärzte gerechtfertigt sein. Es darf nur fixiert werden, wenn mildere Mittel nicht in Betracht kommen. In einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt ist die Beteiligung eines Arztes unabdingbar. Die Fixierung bedarf einer Eins-zu-Eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal. Die Anordnung einer Fixierung, die maßgeblichen Gründe hierfür, ihre Durchsetzung, Dauer und die Art der Überwachung sind zu dokumentieren, um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu wahren, eine fortlaufende Qualitätssicherung zu gewährleisten und einen nachlaufenden Rechtsschutz zu ermöglichen.[28] Dauert die Fixierung länger als eine halbe Stunde, ist eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG). Dies sei nur dann entbehrlich, wenn zu Beginn der Maßnahme abzusehen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen werde oder die Maßnahme vor Herbeiführung der Entscheidung tatsächlich beendet sei und keine Wiederholung zur erwarten wäre.[29] Der Betroffene kann aber auch in diesen Fällen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme gerichtlich überprüfen lassen. Das BVerfG fordert zur Gewährleistung des Richtervorbehalts einen kalendertäglichen richterlichen Bereitschaftsdienst, also auch an Sonn- und Feiertagen, und zwar von sechs Uhr morgens bis 21 Uhr abends. Zuständig sind die Fachgerichte, die für die jeweilige Einrichtung angerufen werden können, also z.B. die Verwaltungsgerichte für Auslieferungs- und Abschiebehäftlinge, die Strafgerichte für Strafhäftlinge sowie den Maßregelvollzug und die Sicherungsverwahrung oder auch die Betreuungsgerichte. Für den Straf- und Maßregelvollzug hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen vom 28.6.2019 reagiert.[30]
Anmerkungen
Sachs/Höfling GG, 8. Aufl. 2018, Art. 1 Rn. 19.; siehe auch BVerfG Beschl. v. 27.5.2008 – 1 BvL 10/05, NJW 2008, 3117, § 8 Nr. 2 TSG ist mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 GG nicht vereinbar, weil er einem verheirateten Transsexuellen, der sich geschlechtsändernden Operationen unterzogen hat, die Möglichkeit, die personenstandsrechtliche Anerkennung seiner neuen Geschlechtszugehörigkeit zu erhalten, nur einräumt, wenn seine Ehe zuvor geschieden wird; BVerfG Beschl. v. 11.1.2011 – 1 BvR 3295/07, § 8 Abs. 1 Nr. 3, 4 TSG unwirksam: Es verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, dass ein Transsexueller, der die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1–3 Transsexuellengesetz erfüllt, zur rechtlichen Absicherung seiner gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nur dann eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründen kann, wenn er sich zuvor gem. § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 des Transsexuellengesetzes einem seine äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat sowie dauernd fortpflanzungsunfähig ist und aufgrund dessen personenstandsrechtlich im empfundenen und gelebten Geschlecht Anerkennung gefunden hat; BVerfG Beschl. v. 27.10.2011 – 1 1 BvR 2027/11, NJW 2012, 188, keine Aussetzung von Verfahren zur Personenstandsänderung nach BVerfG v. 11.1.2011 notwendig, Anspruch auf Anrede mit neuem Vornamen auch schon vor Personenstandsänderung.
Sachs/Höfling GG, 8. Aufl. 2018, Art. 1 Rn. 18 m.w.N.
BVerfGE 30, 1; 45, 187; 49, 86; 87, 209; 88, 203; 94, 49; 97, 275; 109, 133; 109, 276; BVerfG NJW 2006, 751.
BGH Urt. v. 6.7.2010 – 5 StR 386/09 PID auch nach geltendem Recht nicht strafbar.
Spickhoff/Müller-Terpitz § 3a ESchG Rn. 3 ff.
Stellvertretend für andere Benda NJW 2001, 2147, 2148, unter Bezugnahme auf die beiden Entscheidungen des BVerfG (E 39, 1 ff. und E 88, 203 ff. zu § 218a StGB); a.A. Merkel DIE ZEIT, Nr. 25/2001, 42; im Ergebnis ähnlich Sendler NJW 2001, 2148 ff.
Sendler NJW 2001, 2148 ff.; Koch Zum Status des Embryos in vitro aus rechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, 1. Österreichische Bioethik-Konferenz, Wien 13.7.2001.
Koch Zum Status des Embryos in vitro aus rechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, 1. Österreichische Bioethik-Konferenz, Wien 13.7.2001.
BVerfGE 39, 1, 41; 88, 203, 252.
Middel 219 ff.
Hoerster 128 ff. sowie weitere Nachweise bei Middel 225.
Ipsen NJW 2004, 268 ff.
Middel 245.
Siehe aber EGMR Urt. v. 19.7.2012 – 497/09, GesR 2013, 26, kein Anspruch auf Erwerb von Arzneimitteln zum Suizid; siehe auch Spickhoff/Müller-Terpitz Art. 1 GG Rn. 12 ff.