Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
BVerfG Beschl. v. 15.8.2018 – 1BvR 1780/17; dazu Axer GuP 2019, 1 ff.; BVerfG Beschl. v. 10.11.2015 – 1BvR 2056/12, BVerfGE 140, 229; BSG Urt. v. 4.5.2016 – B 6 KA 24/15 R, GesR 2016, 304.
Veröffentlicht https://www.bundesgesundheitsministerium.de; hierzu Ebsen MedR 2018, 931 ff.
Hase GuP 2019, 43 ff.
NK-GesundhR/Harney SGB V § 92 Rn. 5 ff.; juris PK-SGB V/Wiegand § 92 Rn. 19.
BVerfG Urt. v. 27.7.2004 – 2 BvF 2/02, NJW 2004, 2803 ff.; BSG Urt. v. 14.10.2014 – B 1 KR 33/13 R, GesR 2015, 429, Mindestmengen Knie TEP rechtmäßig; ebenso BSG Urt. v. 12.9.2012 – B 3 KR 10/12 R, GesR 2013, 179; BSG Urt. v. 17.11.2015 – B 1 KR 15/15 R, Mindestmengen Perinatalzentren; aber auch BSG Urt. v. 18.10.2012 – B 1 KR 34/12 R, GesR 2013, 363, fehlende Nachvollziehbarkeit der Anforderungsschwelle bei Mindestmengen.
juris PK-SGB V/Wiegand § 91 Rn. 63 ff., § 92 Rn. 25 ff.
4. Kapitel Das Gesundheitswesen in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland › B. Berufswahlfreiheit, Berufsausübungsfreiheit, Unternehmensfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG
B. Berufswahlfreiheit, Berufsausübungsfreiheit, Unternehmensfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG
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Art. 12 Abs. 1 GG erfasst die Freiheit der Berufswahl und die Freiheit der Berufsausübung. Während die Freiheit der Berufswahl nur dann beschränkt werden darf, wenn wichtige Schutzgüter des Gemeinwohls dies zwingend erforderlich machen,[1] kann die Freiheit der Berufsausübung schon dann eingeschränkt werden, wenn vernünftige Gründe des Gemeinwohls dies zweckmäßig erscheinen lassen.[2] Allerdings ist z.B. ein Verbot in den Heilberufegesetzen der Länder, als Allgemeinmediziner weitere Facharzttitel zu führen, nicht durch Gemeinwohlbelange gedeckt.[3] Berufsrechtliche Werbeverbote sind ebenfalls mit Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG nicht in Einklang zu bringen, wenn sie einem Informationsbedürfnis der Bevölkerung zuwiderlaufen[4] (im Einzelnen dazu siehe § 5 Rn. 170). Aus Art. 12 Abs. 1 GG können aber auch Verfahrensrechte hergeleitet werden, so für den Fall einer defensiven Konkurrentenklage von Vertragsärzten gegen die Ermächtigung eines Krankenhausarztes entschieden.[5] Zwar gewähre Art. 12 Abs. 1 GG keinen Schutz vor Konkurrenz.[6] Die Vertragsärzte hätten aufgrund ihres Zulassungsstatus auch keinen Rechtsanspruch auf die Sicherung einer wirtschaftlich ungefährdeten Tätigkeit.[7] Die Wettbewerbsposition und die Erträge unterliegen grundsätzlich dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen. Eine Wettbewerbsveränderung durch Einzelakt, die erhebliche Konkurrenznachteile zur Folge[8] hat, könne aber das Grundrecht der Berufsfreiheit beeinträchtigen, wenn sie im Zusammenhang mit staatlicher Planung und der Verteilung staatlicher Mittel steht.[9] Eine solche Situation sei im System des Vertragsarztrechts, insbesondere wegen der Zulassungsbeschränkungen und Deckelungen der Gesamtvergütung, vorliegend gegeben: Der Vertragsarzt müsse zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit Einschränkungen seines Behandlungsspektrums ebenso hinnehmen wie Regelungen, die seine Niederlassungsfreiheit, seine Fallzahlen und seine Vergütung begrenzen. Diese Eingriffe können im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Gemeinwohlbelang der Sicherstellung der Versorgung der gesetzlich Versicherten gerechtfertigt werden. An diesem legitimen Zweck sind aber die jeweiligen Beschränkungen der Berufsfreiheit der im System tätigen Leistungserbringer auch zu messen.[10] Komme es durch hoheitliche Maßnahmen zu weiter gehenden Eingriffen in die gesetzlich durchstrukturierten Marktbedingungen, können die im System eingebundenen Leistungserbringer in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sein. Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung erfordere die Befugnis des Grundrechtsträgers, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für die Erteilung einer Ermächtigung zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen. Die Einbindung der Vertragsärzte in das System der gesetzlichen Krankenversicherung, das ihnen einen Vorrang gegenüber anderen Ärzten garantiert, korreliert mit dem Anspruch auf Rechtsschutz bei Vernachlässigung der gesetzgeberischen Entscheidung durch die Zulassungsgremien. Da das einzelne Mitglied nicht die Möglichkeit habe, seine KV zur Einlegung von Rechtsbehelfen zu verpflichten,[11] sei der Grundrechtsschutz des einzelnen Vertragsarztes weder durch die paritätische Besetzung der Zulassungsgremien noch durch die Möglichkeit der KV, eine Ermächtigungsentscheidung anzufechten, ausreichend abgesichert. Die verfahrensmäßige Absicherung des Grundrechtsschutzes setze daher nicht erst bei Willkür ein. Die entgegenstehende Rechtsauffassung des BSG überspanne im Ergebnis die Darlegungslast zum Nachweis der Klagebefugnis. Mittlerweile hat das BSG diese Grundsätze auch bezüglich der Anfechtungsbefugnis niedergelassener Vertragsärzte gegen Sonderbedarfszulassungen umgesetzt.[12]
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Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist, dass die Einschränkung auf der Stufe vorgenommen werden muss, die die geringste Belastung für die Betroffenen zur Folge hat,[13] wobei dem Gesetzgeber ein erheblicher Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zugestanden wird („Einschätzungsprärogative“). Letztlich führt dies dazu, dass Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG gerade im Gesundheitswesen zu einem der meist überschätzten Grundrechte aus Betroffenensicht geworden ist. Hufen[14] weist zurecht darauf hin, dass das BVerfG seine in anderem Zusammenhang aufgestellten Schranken zum Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG quasi mit einem Federstrich vom Tische fegt, wenn es im Rahmen sozialer Sicherungssystem um den Systemerhalt geht.[15] Allerdings gibt es hierfür vertretbare Argumente. Denn schließlich ist ein funktionierendes Sozialversicherungssystem eine der Grundvoraussetzungen für sozialen Frieden in einer Zivilgesellschaft. Sozialer Frieden wiederum ist Voraussetzung für freie Berufswahl und Berufsausübung. Die Mär des Arztes als „Freier Beruf“ ist aber zumindest im Rahmen der GKV längst als solche enttarnt,[16] so dass sogar Mitglieder des BVerfG[17] von einem staatlich gebundenen Beruf sprechen. Dennoch ist es vornehme Pflicht des prüfenden Anwalts, angesichts dieser Faktizität das Verfassungsrecht nicht einfach auszuklammern. Das Stufenprogramm des Art. 12 Abs. 1 GG muss bei einschlägigen Sachverhalten im Hintergrund immer mitlaufen. Der beratende Anwalt sollte sich allerdings davor hüten, Art. 12 Abs. 1 GG unkritisch wie eine Monstranz vor sich herzutragen; damit läuft er Gefahr, seine einfachrechtliche Argumentation zu entwerten. Maßgeblich dürfte sein, die – wenigen – Fallkonstellationen zu entdecken, in denen man auch in Kenntnis der Rechtsprechung von BSG, BVerwG und BVerfG mit Art. 12 Abs. 1 GG Pluspunkte sammeln kann. Hat man einen derartigen Fall, ist es nicht nur legitim, sondern geradezu geboten, schon von Anfang an die verfassungsrechtliche Dimension deutlich zu machen.
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Wie vielfältig einschränkbar Art. 12 Abs. 1 GG ist, wenn Gemeinwohlinteressen berührt werden, zeigt die Rechtsprechung der vergangenen Jahre: Bedarfsplanung verfassungsrechtlich zulässig;[18] bessere Ressourcensteuerung kann Abrechnungsbeschränkung technischer Leistungen in der GKV rechtfertigen,[19] auch wenn berufsrechtlich die Leistung (noch) zum Gebiet des ausgeschlossenen Fachs gehört;[20] Altersgrenze 68 zulässig;[21] für 68er Grenze und § 95 VII SGB V auch Zeiten als ermächtigter niedergelassener Psychotherapeut anzurechnen;[22] Altersgrenze 55 zulässig;[23] ausreichend ist Zulassungsantrag vor Vollendung des 55. Lebensjahres.[24] Wie kritisch derartige Regelungen zu betrachten sind, sieht man darin, wie der Gesetzgeber mit einem Federstrich die 55-Jahresgrenze