Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
War doch für ihre Rechtfertigung auf eine funktionierende Bedarfsplanung Bezug genommen worden.[26] Wird aber die Bedarfsplanung z.B. im Bereich der Zahnheilkunde aufgehoben und im humanmedizinischen Bereich durch die Möglichkeit der Filialisierung durchlöchert, schwindet auch hier zunehmend die Rechtfertigung für derartige Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit. Dies zumal die 68-Jahresgrenze auch nicht mehr strikt durchgehalten wurde. So können auch ältere Ärzte weiterhin Vertretungen übernehmen,[27] in unterversorgten Gebieten konnte der Landesausschuss beschließen, dass auch über 68-jährige Ärzte vertragsärztlich tätig sind. In manchen Arztgruppen (z.B. Pathologie) herrscht Nachwuchsmangel, eine Bedarfsplanung gab es für diese Fachrichtung bislang nicht, was rechtfertigt also die 68-Jahresgrenze? Folgerichtig hat sie der Gesetzgeber auch im Bereich der Humanmedizin mit dem GKV-OrgWG rückwirkend zum 1.10.2008 aufgehoben.[28]
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Auch Unternehmen können sich grundsätzlich auf Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG berufen.[29] Teilweise wird in diesem Zusammenhang auch Art. 14 GG genannt, wenn z.B. Gewinnmöglichkeiten des Arzneimittelherstellers beeinträchtigt werden. Hier ist allerdings bereits der Schutzbereich von Art. 14 GG sehr strittig.[30] Dies gilt auch für den Eigentumsschutz durch Zulassung,[31] soweit Preisregelungen gemeint sind, wie das Festbetragsurteil des BVerfG[32] zeigt. Wenn auch den Entscheidungen zu entnehmen ist, dass durch die angegriffenen Regelungen zwar in die Berufsausübungsfreiheit von Unternehmen in zulässiger Weise (Stabilisierung des Sozialversicherungssystems) eingriffen werden darf, steht auf der anderen Seite eine Stärkung der verfahrensrechtlichen Position der Unternehmen, um ihnen Beteiligungsrechte zu sichern. Zunehmend können sich Unternehmen im Gesundheitswesen auf die Transparenzrichtlinie 89/105 EWG berufen,[33] zumal der EuGH[34] ihre direkte Anwendung für die Aufnahme in (leistungsbeschränkende und/oder gewährende) Listen bestätigt hat. Der Gesetzgeber hat dem in § 34 Abs. 6 SGB V[35] für den Fall der OTC-Liste des G-BA und in § 35b SGB V für die Nutzenbewertung Rechnung getragen. Generell ist eine Entwicklung zu beobachten, dass Preisregelungsinstrumente im Arzneimittelsektor, soweit jedenfalls ihre Abgabe im Rahmen der GKV betroffen ist, sowohl auf Seiten der Pharmazeutischen Industrie wie auch der Apotheker, erhebliches Gewicht bekommen. Verfassungsrechtlich wird dies weitgehend nicht beanstandet.[36]
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Wie weit der Gesetzgeber im Rahmen seiner Reformvorhaben der GKV in das Recht der Unternehmen der Privaten Krankenversicherung eingreifen darf und welcher Kompetenztitel hierfür einschlägig ist, ist Gegenstand eines heftigen Meinungsstreits.[37] Während die Einführung der (privaten) Pflegepflichtversicherung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gestützt werden konnte und letztlich vor dem BVerfG Bestand hatte,[38] lässt sich dies auf den Basistarif und den Kontrahierungszwang der PKV nicht unkritisch übertragen, weil das Regelungskonzept in § 110 SGB XI und § 178a Abs. 5–9 VVG[39] nicht deckungsgleich ist.[40] Der Kontrahierungszwang ohne Risikoprüfung stellt einen eklatanten Bruch mit den Grundsätzen des privaten Versicherungsrechts dar. Verbunden mit der Verpflichtung, dies auch noch zu einer nicht kostendeckenden Prämie zu vollziehen, und damit letztlich den bisherigen eigenen Versichertenbestand zu belasten, bedeutet dies eine sozialversicherungsrechtliche Umverteilung im privaten Versicherungsrecht, für die jedenfalls Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht ausreichen dürfte. Dennoch hat das BVerfG die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.[41] Für die Einführung eines Basistarifs in der privaten Krankenversicherung hat es den notwendigen Kompetenztitel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gesehen. Der Kontrahierungszwang nach § 12 Abs. 1b VAG, § 193 Abs. 5 VVG stelle keinen übermäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen dar und verletze daher Art. 12 Abs. 1 GG nicht. Allerdings treffe den Gesetzgeber eine Beobachtungspflicht, inwieweit die einzelnen Regelungen zum Basistarif, der Portabilität von Altersrückstellungen sowie die erweiterte Versicherungspflicht in der GKV nicht zu (unzumutbaren) Prämiensteigerungen für Versicherte in den Normaltarifen führen werde und dadurch wieder die Stabilität der Versicherungsunternehmen gefährden könne.[42]
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Wiederum andere Fragen stellen sich in Bezug auf die Organisation der Gesetzlichen Krankenversicherung selbst. Die Kompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG kann nicht ernsthaft bestritten werden. Die Eingriffsbefugnisse reichen weit, sofern sie mit der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems begründet werden (was regelmäßig nicht allzu schwer fällt).[43] Es gibt keine Garantie sozialer Selbstverwaltung aus Art. 87 Abs. 2 GG.[44] Krankenkassen als Körperschaften öffentlichen Rechts genießen keinen Bestandsschutz wie etwa Kommunen aus Art. 28 GG. Krankenkassen als Körperschaften öffentlichen Rechts sind letztlich keine Grundrechtsträger. Deshalb scheint die im GKV-WSG vorgesehene Organisationsreform der GKV vom Grundsatz her möglich. Ob dies für die Einzelheiten der Finanzierung und der Verteilung der Mittel in gleicher Weise gesagt werden kann, ist umstritten.[45] Immerhin hat das BVerfG die Mittelverschiebung über den RSA als dem Solidarprinzip immanent mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vereinbar erklärt.[46] Fragen nach wettbewerblichen Elementen im Gesundheitswesen spielen zunehmend eine Rolle, auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht.[47] Dies betrifft sowohl das Organisationsrecht der Kassen wie auch der Teilnahmestatus z.B. der Vertragsärzte bei Selektivverträgen.
Anmerkungen
BVerfGE 7, 377, 378.
BVerfG Beschl. v. 8.9.2017 – 1 BvR 1657/17, ZMGR 2017, 348, § 5 Abs. 2 BÄO „Unwürdigkeit“ hinreichend bestimmt.
BVerfG Beschl. v. 29.10.2002 – 1 BvR 525/99, MedR 2003, 2 ff.
BVerfG Beschl. v. 13.7.2005 – 1 BvR 191/05, NJW 2006, 282; EGMR NJW 2003, 497.
BVerfG Beschl. v. 17.8.2004 – 1 BvR 378/00, MedR 2004, 680 = NZS 2005, 199.
Vgl. BVerfGE 94, 372, 390 ff.
Vgl. hierzu etwa BVerfGE 34, 252, 256.
Vgl. BVerfGE 106, 275, 299.
Vgl. BVerfGE 82, 209, 224 für die Aufnahme eines Krankenhauses in den Krankenhausplan.
BVerfGE 103, 172, 184 f.
Vgl. BSGE 68, 291, 297 f.
BSG Urt. v. 17.6.2009 – B 6 KA 38/08 R, GesR 2010, 85, 87; BSG Urt. v. 17.8.2011 – B 6 KA 27/10 R.
BVerfGE 77, 308, 332; 88, 203, 262; 102, 197, 218; 110, 141, 157.
Hufen NJW 2004, 14, 16