Ein gefährliches Alter. Eva Ashinze
und fing dann an, die Küche zu machen. Ich war gerade dabei, die Pfannen abzuwaschen, als Béjart zurückkam. «Alles gut?»
Er nickte. «Nur ein schlechter Traum.» Er nahm ein Küchentuch und begann abzutrocknen. Ich betrachtete ihn. Ich fragte mich, was für eine Art Mann er vor Lily gewesen war. Manchmal wünschte ich, ich hätte, was er hatte. Manchmal wünschte ich, ich hätte etwas zu verlieren.
«Du guckst traurig, Moira.»
Unbewusst hatte ich beim Abwaschen innegehalten. Schnell machte ich weiter. «Alles gut», sagte ich. «Ich habe nur nachgedacht.»
Schweigend machten wir weiter, setzten uns danach zurück ins Wohnzimmer.
Béjart schenkte uns beiden Wein nach.
«Wie geht’s Asim?», fragte Béjart aus heiterem Himmel.
Asim war seit Jahren ein guter Freund von mir. Manchmal half er mir bei meinen Fällen; so hatten Béjart und er sich kennengelernt.
«Er ist für einen Monat in Pakistan bei seiner Familie.»
«Und das «Alibaba»?» Das «Alibaba» war Asims Restaurant, sein Baby.
«Bilal, sein Hilfskoch übernimmt in dieser Zeit. Ich hoffe, er enttäuscht Asim nicht.» Asim nahm es sehr genau, was die Zubereitung seiner Gerichte betraf. Deswegen lief das «Alibaba» seit Jahren gut.
«Vermisst du ihn?»
«Was?» Die Frage überraschte mich.
«Ob du Asim vermisst?» Béjarts Gesichtsausdruck war unergründlich.
Jetzt, wo ich darüber nachdachte, vermisste ich Asim tatsächlich. Ich war es gewohnt, ihn mindestens einmal pro Woche zu sehen, mich im «Alibaba» verköstigen zu lassen oder eine Flasche Wein mit ihm zu trinken. «Ja», antwortete ich.
Béjart sah mich nicht an. Bildete ich mir das ein, oder hatte sich seine Miene verdüstert? Ich nahm die Flasche vom Couchtisch, verteilte den Rest Wein auf unsere Gläser. Er nahm seines, trank einen grossen Schluck.
«Eifersüchtig?», fragte ich Béjart.
Seine Augen bohrten sich in meine. «Habe ich Grund dazu?», fragte er.
Ich erwiderte den Blick und schüttelte wortlos den Kopf.
22 In der Nacht hatte ich wieder den gleichen Traum; wieder versuchte ich Maria einzuholen und kam nicht vom Fleck. Wieder mischte mein Vater mit. Auch diesmal stand er plötzlich vor mir, in ein violettes Boubou gekleidet, das Gesicht dunkel und faltig. Wenigstens lachte er mich heute nicht aus.
«Du bist auf dem falschen Weg, Mmesoma», sagte er. «Deswegen kommst du nicht vom Fleck. Hör auf deinen Namen. Er leitet dich.»
Mmesoma ist mein zweiter, nigerianischer Vorname. Er bedeutet «Der gute Weg». Obwohl ich mit den Worten meines Vaters nicht viel anfangen konnte, schrieb ich sie später in mein Traumtagebuch. Vielleicht konnte James sie entschlüsseln. Dann erhob ich mich und setzte Kaffee auf. Ich fühlte mich wie gerädert.
Gestern bei Béjart war es spät geworden. Wir öffneten eine zweite Flasche Wein, was im Nachhinein betrachtet ein Fehler war. Dazu hatten wir «The Pledge» mit Jack Nicholson als obsessivem Ex-Polizisten Jerry Black geschaut.
«Wirst du auch mal so wie Black?», hatte ich Béjart gefragt.
«Wie denn?»
«Bitter und voller Sehnsucht und mit einer Reihe zerbrochener Beziehungen.»
Béjart überlegte. «Eine Reihe zerbrochener Beziehungen habe ich schon», hatte er geantwortet. «Und voller Sehnsucht bin ich auch.» Béjart hatte mich wieder mit diesem unergründlichen Gesichtsausdruck angeschaut. Ich hatte den Blick gesenkt. Ich war mir Béjarts Nähe plötzlich wieder sehr bewusst gewesen.
«Fehlt also nur noch die Bitterkeit», hatte ich leichthin gesagt. «An der musst du noch arbeiten.»
Bald darauf hatte ich mich verabschiedet. Ich hatte lange nicht einschlafen können.
Nach der ersten Tasse Kaffee fühlte sich mein Kopf schon etwas weniger wie in Watte gepackt an. Ich goss mir eine zweite Tasse ein und rauchte dazu am Fenster eine Zigarette. Ich verdrängte alle Gedanken an meinen Vater und an Béjart. Damit konnte ich mich nach Feierabend wieder befassen. Ich hatte zu tun. An diesem Morgen stand eine Gerichtsverhandlung an; die sollte nicht lange dauern. Die Parteien hatten im Vorfeld eine Scheidungsvereinbarung geschlossen, und ich begleitete die Ehefrau mehr als moralische Stütze denn als rechtlichen Support.
Fünf Stunden später stand ich vor dem Istanbul-Döner und biss heisshungrig in einen Dürüm mit allem, extra scharf. Die Verhandlung war zum Desaster mutiert. Der Anwalt des Ehemannes und ich hatten im Gerichtssaal verzweifelte Blicke ausgetauscht, als sowohl der Mann als auch die Frau angefangen hatten, sich gegenseitig zu beschimpfen und sich der Inhalt der Vereinbarung sozusagen in Luft aufgelöst hatte. Statt einer einvernehmlichen Scheidung hatte ich es nun mit einem Rosenkrieg zu tun.
Missmutig schaute ich mich nach einem Sitzplatz um, aber alle Bänke vor der Migros waren besetzt, von den Stühlen vor dem Istanbul-Döner ganz zu schweigen. Es war immer etwas los hier am Obertor. Ich setzte mich auf eine der steinernen Baumumrandungen und widmete mich meinem Dürüm. Meine Laune hob sich mit jedem scharfen Bissen. Als ich fertig war, wischte ich mir den Mund mit einer dünnen Papierserviette, zerknüllte sie und warf sie in den nächsten Papierkorb. Dann nahm ich mein Telefon zur Hand, wählte.
«Frau Behrens, hier ist van der Meer», sagte ich. «Ist Nina zu Hause?»
23 «Du redest also noch immer nicht mit mir.»
Nina lag auf ihrem Bett und drehte mir den Rücken zu. Sie trug einen dieser unsäglichen Ganzkörperanzüge mit Einhornkapuze, die bei den Jungen gerade angesagt waren. War sicher ganz kuschelig, dieses Ding, aber es sah total albern aus.
Ich sah mich in Ninas Zimmer um. Es sah aus wie ein typisches Mädchenzimmer. Kleider lagen auf allen möglichen Flächen, das Poster einer mir unbekannten jungen Sängerin zierte eine Wand, und auf dem Schreibtisch standen und lagen Parfumflakons, Schminkutensilien, Hefte, Stifte und Süssigkeiten kreuz und quer.
«So ist sie seit gestern», flüsterte Frau Behrens. «Sie hat kein Wort mit mir geredet. Nicht einmal, als ich ihr angedroht habe, ihr Handy und ihr Notebook zu konfiszieren, hat sie den Mund aufgemacht.»
«Haben Sie?»
«Habe ich was?»
«Handy und Notebook konfisziert.»
Frau Behrens nickte. «Ohne Erfolg», sagte sie. «Bis jetzt auf jeden Fall.»
Nina warf uns einen bitterbösen Blick zu und setzte demonstrativ Kopfhörer auf.
Ich machte einen Schritt ins Zimmer hinein, betrachtete die Fotos, die an die Pinnwand neben ihrem Schreibtisch geheftet waren. Fotos von Nina als kleinem Mädchen, von einem Mann, der wohl Ninas Vater gewesen war, er hatte die gleichen Augen, Fotos von Freundinnen. Ich griff nach einem der Bilder, entfernte die Stecknadel, mit dem es befestigt war. Drei Mädchen waren darauf abgebildet. In der Mitte Nina mit ihrem rundlichen Gesicht und dem breiten Mund, rechts von ihr eine aparte Schönheit mit dunklen Augen und Haaren, links eine Wesen mit langer rotgoldener Mähne, durchscheinender Haut und riesigen blassgrauen Augen. Das Mädchen war nicht hübsch im eigentlichen Sinn, trotzdem konnte ich den Blick kaum von ihm wenden. Und das lag nicht allein an diesem wunderbaren Haar. Etwas an ihr fesselte mich. Die drei hielten sich eng umschlungen, grinsten in die Kamera.
Ich setzte mich auf Ninas Bett. Sie musste die Bewegung der Matratze wahrgenommen haben, ignorierte mich aber weiterhin. Ich zog ihr die Kopfhörer von den Ohren, hielt ihr das Foto hin.
«Das sind Alisar und Mathilda, nicht?»
Frau Behrens hatte mir eine Liste mit Namen gegeben – Freundinnen, Mitschüler, Lehrer von Nina – und explizit auf Alisar und Mathilda hingewiesen.
«Wenn jemand etwas weiss, dann die beiden», hatte sie gesagt.
«Alisar