Ein gefährliches Alter. Eva Ashinze

Ein gefährliches Alter - Eva Ashinze


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kanns nicht gut mit Kindern», sagte ich.

      «Woher willst du das wissen?», fragte Béjart. «Hattest du jemals mit einem zu tun?»

      Ehrlicherweise musste ich diese Frage verneinen. Ich habe mit Kindern nicht viel am Hut.

      «Ausserdem ist Lily nicht irgendein Kind», sagte er voll Vaterstolz.

      Nein, natürlich nicht. Auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Ich unterdrückte einen weiteren Seufzer.

      «Also gut», kürzte ich diese Unterhaltung ab, «wann soll ich bei euch sein?»

      Nach dem Telefonat liess ich das Bad Bad sein. Stattdessen kehrte ich die Scherben zusammen, wischte den Boden. Dann zog ich schnell einen Pulli und eine Jeans über, kämmte meine Haare und legte einen Spritzer Parfum auf. Ich musste, bevor ich zu Béjart fuhr, kurz in die Stadt. Ich musste etwas für Lily kaufen. Kinder waren mir unbekannte Wesen. Ich begegnete ihnen lieber nicht mit leeren Händen.

      20 «Los, kommt.» Nina stürmt aufgeregt voraus. «Lasst uns da drüben läuten.» Sie deutet auf die alleinstehenden Häuser auf der anderen Strassenseite.

      Mathilda bleibt stehen, wirft einen unruhigen Blick auf ihre Uhr. Es ist kurz vor zehn. «Ich muss nach Hause, Nina. Ich bekomme sonst Ärger.»

      «Nur noch da. Komm schon, Matti.»

      «Geht ihr allein. Ich hab mehr als genug Süssigkeiten.» Mathilda hebt die volle Tüte hoch.

      «Nina, lass es. Wir waren lange genug unterwegs.» Alisar ist wie immer die Stimme der Vernunft.

      «Nur noch an einer Tür. Bitte. Es macht solchen Spass.»

      Mathilda seufzt. Wenn Nina sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bringen sie keine zehn Pferde davon ab. Aber für sie läuft die Uhr. Ihre Mutter versteht überhaupt keinen Spass, was Unpünktlichkeit anbelangt. «Wisst ihr was? Ich gehe nach Hause, und ihr bleibt noch.»

      «Aber es ist dunkel.» Nina schaut sie an.

      Mathilda muss grinsen. «Es ist Ende Oktober und beinahe zehn Uhr abends. Da ist es üblicherweise dunkel.»

      «Hast du keine Angst, allein zurückzugehen?» Alisar schaut von Mathilda zu Nina. «Ich weiss nicht, Nina. Sie ist erst vierzehn.»

      Widerstand regt sich in Mathilda. «Vierzehneinhalb», sagt sie kühl. «Ich bin kein Baby, Alisar. Ich schaffe das. Ich wohne fünf Minuten von hier.» Alisar benimmt sich immer, als sei sie, Matti, völlig unfähig. Sie geht zu Nina, küsst sie auf die Wange, macht dasselbe bei Alisar. «Viel Spass noch ihr beiden.» Sie dreht sich resolut um, geht los.

      «Bist du sicher?», ruft Nina ihr hinterher. Mathilda hebt im Gehen die Hand, winkt. Sie muss nur die nächste Querstrasse nach links und dann alles die Museumstrasse entlang. Sie biegt ab, wirft einen Blick zurück. Nina und Alisar sind nicht mehr zu sehen. Mathilda beschleunigt ihre Schritte. Etwas unheimlich ist es schon, so allein unterwegs in der Nacht. Und hat sie nicht gerade ein Geräusch gehört?

      «Süsses oder Saures!» Eine Gestalt im blutbefleckten weissen Hemd und Zombiemaske kommt aus dem Nichts, schneidet ihr den Weg ab. Matti stösst einen erstickten Schrei aus, die Tüte mit Süssigkeiten fällt zu Boden.

      Der Zombie krümmt sich vor Lachen. «Heute ein bisschen schreckhaft unterwegs, Mathilda?»

      Er kennt ihren Namen. Sie muss keine Angst haben. Sie will nach ihrer Tüte greifen, aber der andere ist schneller.

      «Besten Dank, schöne … Was bist du überhaupt?» Er mustert ihr Kostüm durch die Augenhöhlen seiner Maske.

      «Lass sie in Ruhe.» Ein Sensenmann hat sich von links genähert. Er nimmt dem Zombie die Süssigkeiten aus der Hand, hält sie Mathilda hin. «Hier.»

      «Danke», flüstert Mathilda. Ihr ist noch immer unbehaglich zumute.

      «Mann, was soll das?», fragt der Zombie. «Die Beute habe ich mir verdient.» Er will wieder nach der Tüte greifen.

      Der Sensenmann schüttelt den Kopf. «Lass sie in Ruhe.»

      «Stehst du etwa auf die Braut, Kevin? Ich mein, die Haare sind ja ganz geil, aber der Rest …»

      Mathilda schiesst die Schamröte ins Gesicht. Sie macht einen Bogen um die beiden.

      «Mathilda», sagt der Sensenmann, «ich …»

      Mathilda lässt ihn nicht ausreden. «Ich muss los», sagt sie und stürmt davon.

      21 «Schläft sie?», fragte ich Béjart, als er auf den Balkon trat. Ich hatte hier draussen eine Zigarette geraucht, während er Lily zu Bett gebracht hatte. Béjart bewohnte eine hübsche Wohnung in einem alten Bauernhaus am Stadtrand. Von seinem Balkon aus sah man über die Felder und weiter hinten ein Stück Wald.

      Er nickte.

      «Sie ist süss», sagte ich. Ich musste nicht einmal lügen. Lily war süss; sie hatte langes, seidiges Haar, dunkle Augen und ein glückliches Lächeln.

      «Sie sieht aus wie du», sagte ich.

      Béjart schwoll die Brust vor Stolz.

      «Abgesehen von ihrem Lächeln», fügte ich hinzu. Ich zündete mir noch eine Zigarette an, reichte ihm die Packung. Er nahm sich eine, ich gab ihm Feuer. Mein Gesicht war nah an seinem.

      «Was stimmt an meinem Lächeln nicht?», fragte er.

      «Du lächelst nie», erwiderte ich. Ich sah Béjart an. Er sah immer ein wenig müde aus, ein wenig traurig und von Sorgen zerfurcht. Ich verspürte plötzlich den Drang, ihn an der Wange zu berühren. Béjart war mein Freund. Vielleicht war er mehr als mein Freund. Aber ich wollte nichts riskieren. Und sowieso: Schwang nicht in den meisten Freundschaften eine Spur körperlicher Anziehung mit?

      Ein Geschrei, halb Mensch, halb Tier, liess mich zusammenzucken.

      «Schon wieder diese Katzen!» Béjart war ungehalten. «Jeden Abend veranstalten sie ihre Kämpfe.»

      Der Moment war vorbei. Ich trat einen Schritt zurück, drehte mich um und spähte über das Geländer in die Dunkelheit. Ich konnte keine Katzen sehen, aber das Geschrei hörte nicht auf.

      «Lass uns rein gehen.» Béjart berührte mich am Arm. «Es ist kalt.»

      Im Wohnzimmer setzte ich mich auf die dunkle Ledercouch, Béjart sich in einen Sessel mir gegenüber. Zwischen uns auf einer zum Beistelltisch umfunktionierten alten Truhe standen eine Flasche Wein und unsere Gläser. Ich beugte mich vor, griff nach meinem.

      «Frau Behrens hat mich gebeten, Nachforschungen anzustellen. Sie will, dass ich herausfinde, wer Luca tatsächlich getötet hat. Sie will wissen, weshalb Nina die Schuld auf sich nehmen wollte.» Ich hatte Béjart, während Lily am Fernsehen das Sandmännchen geguckt hatte, bereits von meinem ereignisreichen Nachmittag erzählt.

      «Wie ich dich kenne, hast du eingewilligt.» Béjart griff ebenfalls nach seinem Glas.

      Ich zuckte mit den Schultern, nippte am Wein. «Ich musste.»

      «Du musstest?», fragte Béjart mit einem ungläubigen Unterton.

      Ich fuhr mit dem Finger über den Rand meines Weinglases, versuchte, ihm einen Ton zu entlocken. Ich dachte an Luca und an Nina. Irgendetwas musste vorgefallen sein zwischen ihnen. Wie Koller bemerkt hatte: Ninas Wut war echt. Ich fragte mich, wozu Nina gezwungen worden war. Und von wem.

      Ich sah auf. Béjarts Blick ruhte auf mir; seine dunklen, tiefliegenden Augen verrieten nichts über seine Gedanken.

      «Du vergisst, dass du Anwältin bist, keine Detektivin, Moira», sagte er sanft.

      «Ist das nicht manchmal fast dasselbe?», entgegnete ich.

      «Du weisst genau, weswegen du diesen Fall angenommen hast. Aber egal, wie sehr du dich anstrengst, du kannst deine Schwester nicht mehr retten.»

      «Meine Schwester nicht. Aber eine andere Fünfzehnjährige.»

      Ein


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