Ein gefährliches Alter. Eva Ashinze

Ein gefährliches Alter - Eva Ashinze


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Ich war in der Stadt und mir war langweilig, meine Freundinnen konnten alle nicht abmachen an diesem Tag. Im Starbucks habe ich Luca getroffen, und dann haben wir zusammen abgehängt, und er hat gefragt, ob ich nicht noch zu ihm kommen will. Und dann bin ich mit zu ihm, und dann ist es passiert.» Nina ratterte das alles im Eiltempo herunter; sie wollte es hinter sich bringen.

      «Habt ihr miteinander geschlafen?»

      Nina nickte stumm. Sie warf der Protokollführerin einen Blick zu. Es war ihr nicht angenehm, vor so vielen Unbekannten ihre intimste Geschichte auszubreiten. Kein Wunder, immerhin war sie erst fünfzehn.

      «Danach sind wir dagelegen, und ich bin halb eingeschlafen, er steht auf, und plötzlich höre ich so ein Geräusch von seinem Telefon, und ich mache die Augen auf, und da steht der Arsch und macht einfach Fotos von mir. Dabei habe ich doch nichts an. So ein Arsch.» Nina klingt wütend. «Und diese Fotos wollte ich zurückhaben. Oder besser: Luca sollte sie löschen.»

      Deswegen hatte Nina sich mit Luca mitten in der Nacht getroffen. Er hatte sie erpresst. Entweder du kommst, oder ich verschicke die Fotos an die Jungs aus der Schule.

      «Schwein», sagte Nina. Ihr Gesicht war ausdruckslos. «Und als ich ihn dann getroffen habe, da hat er sich über mich lustig gemacht.»

      «Du scheinst mir nicht der Typ zu sein, der sich so leicht erpressen lässt», warf Koller ein.

      «Was wissen Sie schon über mich. Ausserdem – was hätte ich machen sollen?»

      Koller kritzelte etwas auf ein Stück Papier.

      «Soll ich weitermachen, oder was? Ich meine, irgendwie klingt es, als würden Sie mein Geständnis gar nicht wollen. Ich kann auch wieder gehen, wenn Ihnen das lieber ist», sagte Nina trotzig.

      «Mach bitte weiter, Nina.» Koller liess sich nicht aus der Ruhe bringen.

      «Ich habe zu Luca gesagt, ich bin hier, nun lösch die Fotos. Er hat gelacht. ‹Erst will ich was dafür›, hat er gesagt. ‹Was hast du zu bieten, Nina?› Ich bin wütend geworden, so furchtbar wütend, ich werde manchmal einfach so wütend, jähzornig sagt meine Mutter. Und da habe ich ihn gestossen. Er ist nach hinten gefallen und mit dem Kopf auf den Tischtennistisch aufgeschlagen, genau hier.» Sie berührt die Ecke des Schreibtischs. «Es hat ein ganz komisches Geräusch gemacht, wie ein Knacken. Und dann hat er am Boden gelegen, und da war plötzlich alles voller Blut, und ich habe Luca gerufen, aber er hat nicht geantwortet.» Sie machte eine Pause und starrte vor sich hin.

      Im Raum war kein Laut zu hören.

      «Ich habe ihn hier angefasst.» Nina deutet auf die Halsschlagader. «Ich habe keinen Puls gespürt. Da bin ich weggerannt.»

      «Und sein Handy? Hast du das mitgenommen? Wir haben bei Luca keines gefunden.»

      Nina zögerte einen Moment. «Ich habe es mitgenommen und danach weggeworfen.»

      «Weshalb hast du es mitgenommen?»

      «Na wegen der Fotos halt.» Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände: Wie konnte man nur so dumm fragen.

      «Wo?»

      «Was?» Sie warf ihm einen verständnislosen Blick zu.

      «Wo hast du das Handy weggeworfen?»

      «Ich … Bei diesem Spielplatz im Inneren Lind, der mit der orangefarbenen Rutschbahn, da habe ich es in einen Mülleimer geworfen.»

      Ich betrachtete Nina. Sie sah Koller mit weit geöffneten Augen an. Sie sah aus wie jemand, der die Wahrheit sagt. Aber mir hatte sie gestern etwas anderes erzählt. Mir hatte sie erzählt, sie habe das Handy in einen Mülleimer im Münzpark geworfen. Ein Detail nur. Trotzdem.

      «Weshalb hast du keine Hilfe geholt?», wollte Koller wissen.

      «Ich hatte Angst.»

      Koller nickte. Er schien zu überlegen und klickte mit einem Kugelschreiber. Im Raum war nur dieses Klicken zu hören. Nina starrte Koller an. Koller war in die Betrachtung seines Kugelschreibers vertieft.

      «Kannst du mir die WhatsApp zeigen?»

      «Was?», fragte Nina verwirrt.

      «Die WhatsApp, mit denen ihr euch verabredet habt. Kannst du sie mir auf deinem Handy zeigen?»

      Nina errötete leicht und schüttelte den Kopf. «Die habe ich gelöscht.»

      Wieder nickte Koller. Wieder betrachtete er seinen Kugelschreiber. Dann sah er auf: «Nina, würdest du bitte zu deiner Mutter gehen? Ich muss mich kurz allein mit Frau van der Meer unterhalten.» Er stand auf und öffnete die Tür für sie. «Es dauert nicht lange. Frau Moser wird dir eine Cola bringen.» Er machte mit dem Kinn eine Bewegung zur Protokollführerin. Die erhob sich ebenfalls.

      Nina sah fragend zu mir.

      «Ist in Ordnung, Nina», sagte ich.

      Sie machte die gleiche Bewegung wie gestern: Sie nestelte an ihrem Pferdeschwanz, löste das Haargummi und arrangierte die Haare neu. Bevor sie die Tür hinter sich schloss, warf sie mir einen ängstlichen Blick zu.

      17 Ich stand auf, stellte mich ans Fenster und sah hinaus. Es war nicht viel los; ein einzelner Polizist in Uniform schritt über den Kiesplatz.

      «Gibt es hier drinnen einen Rauchmelder?» Ich wandte mich Koller zu.

      Der schüttelte stumm den Kopf.

      «Gut.» Ich zog ein zerdrücktes Päckchen Zigaretten aus der Tasche, hielt es ihm hin. «Sie auch?»

      Diesmal nickte er. Er trat zu mir, öffnete das Kippfenster einen Spalt. «Mehr geht nicht. Fluchtgefahr», erläuterte er knapp und griff nach den Zigaretten.

      Wir befanden uns in der dritten Etage. Ich warf einen Blick nach unten. Nur Lebensmüde würden aus dieser Höhe einen Fluchtversuch wagen.

      Wir rauchten und schwiegen. Ab und zu schnippte einer von uns die Asche aus dem Fenster. Ich wartete. Er wollte mir etwas mitteilen. Irgendwann würde er damit anfangen.

      «Schlimme Sache das mit Luca.»

      Ich gab einen zustimmenden Laut von mir, stiess Rauchwolken aus.

      «Nina lügt», fügte Koller hinzu.

      Wieder stimmte ich wortlos zu. Nina log. Aber warum log sie? Was war wahr an ihrem Geständnis und was nicht? War der Tod von Luca am Ende gar Absicht gewesen?

      «Sie war es nicht.»

      Ich verschluckte mich am Rauch und musste husten. Das überraschte mich nun doch.

      «Geht es?» Koller sah mich besorgt an.

      Ich nickte. Mir tränten die Augen. Ich zog noch einmal an meiner Zigarette, sah mich suchend nach einem Aschenbecher um.

      «Einfach raus damit.» Er drückte seinen Stummel am äusseren Fensterrahmen aus, liess ihn fallen. Er landete auf dem Vordach über dem Haupteingang. «Geht ja nicht ins Grundwasser.»

      War das seine Art von Humor? Äusserst trocken, sogar für meine Verhältnisse. Ich lächelte schwach und schnippte meine Kippe ebenfalls nach draussen, sah ihr nach. Dann sah ich Koller in die Augen. «Reden wir Klartext.»

      «Ich will Ihnen etwas zeigen.» Koller trat zu seinem Schreibtisch, nahm einen Briefbeschwerer aus Glas zur Hand, ein massives Teil. Er hob den Arm nach oben, zielte auf meinen Kopf. «So ist Luca erschlagen worden, von schräg hinten gegen den Hinterkopf.» Koller beendete seine Demonstration, nahm ein Blatt Papier zur Hand, fasste sich mit der anderen Hand an den Hinterkopf knapp über dem Nacken. «Das ist das Hinterhauptbein, die Stelle über dem Nacken.» Dann sah er auf das Blatt. Es war vermutlich der Obduktionsbericht. Koller zitierte daraus. «Todesursache ist ein schweres Schädelhirntrauma im Kleinhirnbereich. Wahrscheinlich ist der Tod sofort eingetreten. Die Wunde wurde von einem einzigen, sehr heftigen Schlag verursacht. Bei der stumpfen Waffe handelt es sich vermutlich um einen abgerundeten Zylinder aus hartem Material, Metall oder Holz.» Er sah hoch. «Luca ist nicht gefallen. Und an der Tischtennisplatte ist kein Blut gefunden


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