Tödliche Tour. Greg Moody
wenn meine Fahrer vor dem Training Pillen einwerfen.«
»Es waren Magentabletten«
»Pinkeln. Ich trau’ dir nicht.«
»Verstanden.«
»Willkommen bei den Profis.«
Will lächelte. »Willkommen bei der Wehrmacht.«
»Fick dich ins Knie, Ross.«
Als alle auseinander strömten, ging Will über den Flur ins Zimmer des Mannschaftsarztes. Der war nicht da, aber einer seiner Assistenten, Luis irgendwas, sagte, er würde alles regeln. Will machte zwei Probefläschchen voll, nahm ein drittes und füllte auch dieses. Luis versiegelte und beschriftete die ersten beiden. Will nahm ein drittes Siegel und verschloss auch noch die dritte. Er datierte das Etikett, unterschrieb es und bat Luis, das Gleiche zu tun.
»Ich brauche nur zwei.«
»Schon in Ordnung. Ich brauche die dritte – nur zur Sicherheit.«
Luis kritzelte seine Unterschrift auf das Etikett. Er schien davon nicht sehr begeistert zu sein. Will trug die Flasche in die Umkleidekabine und tat so, als würde er sie in die Tasche stecken. Dann nahm er sie zusammen mit seinen Sachen mit vor die Tür. Als er heraustrat, bog die Mannschaft gerade auf die Straße ein. Cheryl stand am Eingang und beobachtete die Fahrer, wie sie hinter der Biegung verschwanden. Will gab Tomas seine Probe.
»Könntest du das an einem sicheren Platz für mich aufbewahren?« »Klar, Kumpel«. Tomas steckte die Flasche in seine Manteltasche. Eine plötzliche Eingebung ließ ihn auffahren.
»Sie ist doch gut versiegelt, oder?«
»Sehr gut versiegelt. Danke, mein Freund. Ich habe den Kontrolleuren noch nie getraut.«
Cheryl wandte sich Will zu, als dieser sein Rad auf die Straße schob und sein Bein drüberschwang.
»Deeds hat gesagt, du wärst wieder zu spät. Diesmal musst du sie einholen.«
Ross blickte auf seine Handschuhe, an denen die letzten Jahre deutliche Spuren hinterlassen hatten. Er schaute Cheryl durch Augen an, an denen die letzten Jahre ebenfalls deutliche Spuren hinterlassen hatten.
»Kein Problem«, sagte er und machte sich auf die Jagd nach einem vielbeinigen Tier, das vermutlich schon wieder außerhalb seiner Reichweite war.
»Ich stimme völlig mit dir überein, Luc. Benedict auch. Das Problem ist nur, dass der Chefinspektor anderer Meinung ist – und der Kindergarten der Spurensicherung.«
Inspektor Godot stand mitten in den Überresten der Wohnung von Jean-Pierre Colgan auf dem letzten Fleck noch intakten Kachelbodens. Der übrige Boden war nur noch eine Berg- und Tallandschaft aus zerbrochenen Fliesen und hervorstehenden Trägern. Es war schwer, sich durch den Raum zu bewegen. Neben ihm stand Stephen La Sarge, ein Veteran mit mehr als zwanzig Dienstjahren auf dem Buckel. Er hörte La Sarge nur mit einem Ohr zu, während er das Chaos aus Trümmern, Metall- und Holzsplittern sowie Textilfetzen nach jenem entscheidenden Detail absuchte, das die Untersuchung in seine Richtung wenden würde.
Das war keine Gasexplosion.
Godot starrte auf eine Vase, in der eine einsame, verwelkte Blume stand. Die Explosion hatte sie nicht einmal gestreift. Unmittelbar darüber war ein Poster von Jean-Pierre Colgan, dem französischen Fahrrad-Champion, fast vollständig zerstört worden. An der Wand, die mit Splittern gespickt war, hing nur noch eine Ecke des Rahmens, ein Fetzen des Fotos und der Drahthänger. Er stieg über einen Stapel angekokelter Zeitungen auf dem Boden. Daneben stand die Verpackung eines Toasters. In Amerika hergestellt, aber auf das französische Stromnetz abgestimmt. Darauf lag eine Rechnung. Ein Geschenk?
Ein verbranntes und verbogenes Buttermesser und ein geschenkter Toaster.
Nachdem er monatelang im Büro nur Papier hin- und hergeschoben hatte, weil die Lieblinge des Chefs ihn bei allen neuen Fällen ausgestochen hatten, war er endlich wieder an einem Tatort und sein Geist war wieder wach und aktiv. Das Gefühl tat ihm gut.
»Die Jungs von der Spurensicherung halten an ihrer Theorie von der Gasexplosion fest, weil es ihr erster Gedanke war«, fuhr La Sarge fort. »Sie verteidigen sie seit zwei Tagen. Sie würden lieber falsch liegen, als einen Fehler einzugestehen.«
»Und was ist mit dem Chefinspektor?«, murmelte Godot. »Ah... der Chefinspektor. Der hat die doch eingestellt. Uns hat er nicht eingestellt. Man steht immer zu seinen eigenen Kindern.« »Und es spielt auch keine Rolle, dass der Chefinspektor gerade in den Aufsichtsrat von Haven-Pharma berufen worden ist?«
»Ich sehe nicht, warum. Jean-Pierre Colgan ist nur ein winziger Teil des Haven-Konzerns.«
»War. «
La Sarge zuckte zusammen. »War.«
»Er war der französische Meister«, sagte Godot ruhig. Er trat kräftig auf, sodass einer Ratte, die zwischen den bloßliegenden Streben im Boden hervorschaute, die Beute aus dem Maul fiel.
»Ich bin kein Radsportfan«, murrte La Sarge. »Ich kenne die Champions eigentlich kaum. Ich seh’ lieber Fußball.«
Godot fuhr damit fort, den Raum abzusuchen, hielt jedoch plötzlich inne. Irgendetwas in seinem Unterbewusstsein nagte an ihm. Was war das? Er musste es hervorholen. Er schritt vorsichtig über die bloßliegenden Streben zurück zu der Stelle, wo er die Ratte gesehen hatte. Er kniete nieder und holte aus dem Staub und Schmutz von sechzig Jahren, der sich an den Streben angesammelt hatte, den Draht und das Metall hervor, die die Ratte in ihrem Maul gehabt hatte, sowie einen weiteren Schatz.
»Stephen. Du kennst dich doch mit Sprengstoff aus. Was glaubst du, was das hier ist?«
Godot warf seinem Kollegen den Gegenstand zu.
La Sarge fing den verglühten und verbogenen Metallstreifen und drehte ihn in seiner Hand hin und her. »Kann ich nicht sicher sagen, bevor ich es mir nicht im Büro angeschaut habe«, sagte er, »aber es sieht aus wie irgendeine primitive elektrische Apparatur.«
»Apparatur?«
La Sarge holte tief Luft. »Ein Zünder. Wo hast du das gefunden?«
»Genau hier, auf dem Boden. Unser guter Freund Monsieur Le Rat hatte sie zusammen mit anderen Schätzen aufgesammelt.« »Als da wären?«
»Stücke von Papier, Brotkrümel ... und das hier.« Godot warf einen bleistiftdünnen Gegenstand zu La Sarge, der sich vorbeugte, um danach zu greifen. »Es scheinen die Überreste eines Fingers von Monsieur Colgan zu sein.«
Es gab keine Erklärung dafür, dass sich Will so gut fühlte, nicht nach dem gestrigen Tag, noch nicht einmal nach einem guten Essen und einem erholsamen Schlaf. Er hätte in der ersten Stunde platzen müssen, aber es lief wie geschmiert, es lief tatsächlich wie geschmiert. Er fühlte sich wie neugeboren. Gestern ein Traktor, heute ein Sportwagen. Tomas hatte ein Wunder vollbracht. Will fühlte sich gut und stark und gerade wütend genug über seine Behandlung durch Deeds, dass er die Kraft fand, auf das Tempo zu drücken. Und es hochzuhalten. Das Tempo war der Grund gewesen, warum er überhaupt mit Radrennen angefangen hatte. Das und der Geruch.
Two Wheels machte gerade zu. Es war zehn vor fünf und die Lichter in einem Hinterzimmer, das vermutlich die Werkstatt beherbergte, gingen aus. Will stand mit großen Augen in der Eingangstür. Das war kein Fahrradgeschäft. Es gab nur ein oder zwei Räder mit Ballonreifen. Die übrigen Maschinen auf dem Boden und an der Wand waren reine Gefahr: schmale Reifen, schlanke Rahmen, Rasierklingen auf Rädern. Er ging durch den Raum auf eine Reihe von Rädern zu, rot, schwarz, lila und grün, das faszinierendste Hellgrün der Welt.
Es wurde ihm bewusst, dass das, was er roch, ihn genauso unwiderstehlich anzog, wie das, was er sah. Es war Lagerfett, Gummi und Kettenöl, es war Schweiß und es war Wolle und es war exotisch.
Er