Tödliche Tour. Greg Moody
was sie kochte, auch gerne aß. Perfekt.
Seine Art von Café.
»Monsieur...?«
Das war das Schönste am Rad fahren, dachte Will, während er Kaffee, Obst, Müsli, Buttercroissant, Joghurt, vier Eier und eine Waffel bestellte. »Und bringen Sie bitte nicht alles auf einmal. Bringen Sie die Sachen gleich raus, wenn sie fertig werden. Ich esse alles hintereinander, ich habe es ein wenig eilig.«
Marie lächelte. Ein Fahrrad-Team nebenan war gut fürs Geschäft.
Als er zum Velodrom zurückging wünschte Will sich, er hätte noch ein bisschen mehr Zeit bis zum Training. Obwohl er erst 32 war, konnte er nicht mehr alles, was nicht niet- und nagelfest war, in sich reinstopfen, sich aufs Rad schwingen und bis zum Morgengrauen fahren. Er brauchte jetzt ein wenig Ruhe – wenigstens eine Stunde – oder eine Handvoll Magentabletten. Er begriffjetzt, warum es hieß, man solle eine Stunde nach dem Essen nicht schwimmen. Wenn er jetzt in eine Pfütze treten würde, würde er versinken wie ein Stein.
Will schaute auf die Uhr. Gut in der Zeit. Noch zehn Minuten bis zur Besprechung und er war bereit. Tomas hatte ihm frische Radklamotten auf die Tasche gelegt. Sogar Handschuhe, ein Helm und eine Sonnenbrille waren dabei. Alles passte zusammen und alles war mit den Logos von Haven und einem Haufen kleinerer Sponsoren versehen. Nicht schlecht. Große Mannschaften hatten ihre Vorzüge. Ross zog sich um, während der Rest der Mannschaft nach und nach eintrudelte. Keiner beachtete ihn weiter. Das einzige Mal, dass jemand mit ihm sprach, war, als er fragte, wo sich die Werkstatt befände. Er wusste, dass diese Dinge ihre Zeit brauchten, insbesondere, wenn man der Ersatzmann für den Kapitän war. Es würde Ablehnung geben, bissige Bemerkungen... und jede Menge nackter Wut auf ihn. Aber er war hier, zum Guten oder zum Schlechten und aus Gründen, die nur der liebe Gott kannte.
Er nahm seine Schuhe, seine Brille und seinen Helm und ging durch den teilweise tapezierten Tunnel auf die Geräusche und den Geruch zu, die ihm so vertraut waren. Das Geräusch von Laufrädern, die zentriert werden, von herunterfallenden Schraubenschlüsseln und die Gerüche von Lagerfett und Leder und Kettenöl. Vielleicht hätte er Mechaniker bleiben sollen. Nein. Er wollte fahren. Und auch die wunderbarste Sache der Welt kann zur Hölle auf Erden werden, wenn man sie zu lange tut oder zusammen mit den falschen Leuten.
Tomas schaute von seinem Montageständer auf, als Will durch die Schwingtüren trat.
»Du kommst gerade recht. Ich habe eben dein Rad auf die Rolle gestellt. Lass uns deine Sitzposition und deine Schuhplatten überprüfen.«
Tomas war ein Mechaniker alter Schule. Er tat viele Dinge nach Augenmaß. Sattelhöhe. Winkel der Schuhplatten. Effektiver Sitzrohrwinkel und Entfernung zum Lenker. Er scherte sich nicht um Computer oder Kaliber, nicht einmal um Maßbänder.
Will hatte gestern ganz gut auf seinem Rad gesessen, aber Tomas gab seiner Sitzposition einen letzten Schliff, den Will sofort spürte. Vielleicht war diese Maschine doch kein hoffnungsloser Fall. Er selbst vielleicht auch nicht. Moment. Eins nach dem anderen.
»Ich musste die Räder neu zentrieren. Bist du gestern über irgendetwas drübergefahren? Deine hintere Felge hatte einen riesen Schlag. Es wundert mich, dass du damit überhaupt angekommen bist. Ich musste das Schaltwerk gerade biegen und den Umwerfer neu einstellen. Der Lenker war auch verbogen. Es wundert mich, dass sie dir dieses Rad gegeben haben. Gestern früh war es schrottreif, aber heute wirst du damit ankommen.«
Will lächelte. Das war sein Freund Tomas, der Mann, der anfing über Räder zu sprechen, erst langsam, dann schneller und schneller bis er irgendwann Fakten in einem Tempo herunterrasselte, mit dem es schwer war Schritt zu halten, besonders wenn sein baskischer Akzent durchbrach.
Tomas war einer der echten Charaktere, die Will im europäischen Profi-Zirkus kennen gelernt hatte. Der Sport war reich an ihnen. Tomas, Colgan, sogar Deeds. Obwohl, wenn er es sich recht überlegte, jeder Sport ohne einen wie Deeds besser dran wäre.
Die Besprechung fand in einem der wenigen renovierten Räume des verfallenen Velodroms statt. Er hatte einen dunkelblauen Boden und blasse Betonwände, die mit Lackfarbe überzogen waren. Schwer zu malen, leicht zu reinigen, dachte Will und erinnerte sich an seine Zeit als Maler in einem Bezirkskrankenhaus, wo er immer die Nachtschichten übernommen hatte, um tagsüber trainieren zu können. Er strich mit der Hand über die kühle, sanfte Oberfläche. Er kannte vielleicht nicht die Hauptstadt von Süd-Dakota, aber mit Farbe kannte er sich aus. Und das hier war Lackfarbe. Und auch noch sauber aufgetragen.
Er merkte, dass er es nicht mehr länger hinauszögern konnte. Er drehte sich um und sah seiner neuen Mannschaft ins Gesicht.
Abgesehen von Deeds war Will als letzter in den Raum getreten. Als er sich umschaute, bemerkte er, dass ihm viele Gesichter aus seiner allgemeinen Kenntnis des Profi-Pelotons heraus bekannt waren. Gegen andere war er in den vergangenen vier oder fünf Jahren selbst gefahren. Einen oder zwei kannte er nur aus Artikeln in L’Equipe. Er kannte sie nicht persönlich, aber er kannte ihren Ruf. Richard Bourgoin, der neue Kapitän, war ein Hai: kraftvoll und ausdauernd in den Bergen; solide bis spektakulär bei den Sprints; aber ein Anker, ein totes Gewicht im Zeitfahren. Keiner glaubte wirklich, dass er das Zeug dazu hatte, die Tour zu gewinnen, vor allem ohne ein erstklassiges Team im Rücken. Bis zu Colgans Tod war Bourgoin ein fähiger Leutnant gewesen, jederzeit bereit, Kräfte im Team zu mobilisieren, Taktiken vorzugeben, das Tempo im Peloton zu bestimmen... und wenn es nötig war, sich selbst heroisch zu opfern, um Jean-Pierre Colgan auf den obersten Podiumsplatz zu bringen. Jetzt hatte er diesen Ehrenplatz, wenn auch nur, weil der Leader tot war und es weder Zeit noch Gelegenheit gegeben hatte, einen gleichwertigen Ersatz zu finden.
Nur Will.
Nur ich, dachte Will. Bourgoin sollte dankbar sein. Er hat es nur mir zu verdanken, dass er seine Chance bekommt.
Dann war da Antonio Cacciavillani, der Sprinter. In den vergangenen fünf Jahren war er immer unter den besten drei in der Welt gewesen, bis ein böser Unfall im vergangenen Jahr ihn zwar nicht seinen Antritt gekostet hatte, aber seine Todesverachtung, wenn er sich zur Ziellinie durchschob und -biss.
Hans Merkel war der neue Leutnant der Mannschaft, weil Cacciavillani in den Bergen nicht die Beine hatte, um an den Besten dranzubleiben. Außerdem sind Sprinter meist krasse Einzelgänger und die Nummer Zwei muss sich ganz in den Dienst der Mannschaft stellen. Tony C. hätte das nie gekonnt, Merkel hingegen unterdrückte voll und ganz seine Begabung und seine Persönlichkeit, um Bourgoin über die Linie zu bringen.
Da waren Miguel Cardone, der Baske, und Masenti und Mooria, die italienischen Sechs-Tage-Meister, die so taten, als wären Straßenrennen eine Art Urlaub von der Bahn und eigentlich unter ihrer Würde; und John Cardinal, der amerikanische Mountain-Biker, der auf die Straße zurückgekehrt war, nachdem er seinen Vertrag bei einer italienischen Mountain-Bike-Mannschaft verloren hatte.
Und da war Cheryl. Sie schaute ihn mit wachen grauen Augen an, die seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zogen und deren Blick ihn berührte. Er konnte den Bann nicht brechen, in den sie ihn unzweifelhaft geschlagen hatten. Er zog seinen imaginären Hut und wandte sich zur Tür, als Deeds eintrat.
»Ross – fünfzig Dollar Strafe, weil du gestern zu spät zum Training gekommen bist. Ich würde mehr veranschlagen, aber ich habe gehört, dass du durch außergewöhnliche Umstände verhindert warst und außerdem bist du dann ja doch noch gefahren.«
»Etwa zwei Tage hinter uns«, spottete Cacciavillani. Die Mannschaft lachte und auch Deeds konnte sich nicht halten.
»Du weißt, wie man Freunde gewinnt, was Ross? Okay. Die gleiche Strecke heute, aber ich will ein schärferes Tempo sehen. Ihr seit gestern ein wenig abgeschlafft und gegen Ende faul geworden. Ich möchte die gleichen Gruppen wie gestern sehen – die drei Formationen. Ross, du fährst mit der B-Formation. Henri, pass auf, dass er dranbleibt – er wird Probleme bekommen.«
Henri Bresson schaute von seiner L’Equipe auf, herüber zu Will und warf ihm ein Lächeln zu. »Oui.«
»Außerdem