Tödliche Tour. Greg Moody

Tödliche Tour - Greg Moody


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das Fahren, über Rennen und über diesen Anquetil reden.

      Innerhalb von zwanzig Minuten hatte er eine Antwort. Two Wheels, in einer der Vorstädte. Geöffnet bis fünf Uhr heute abend. Frag nach Stewart Kenally. Nicht schlecht für einen Dreizehnjährigen. Jetzt mussten die Tigers nur noch kurzen Prozess mit den Orioles machen.

      Es kam genau andersherum, aber das Spiel war vorbei und sie saßen um viertel vor vier im Auto. Papa wollte direkt auf den Highway, um dem Verkehr voraus zu sein, aber Will setzte sich durch. Schließlich war das Spiel das Rahmenprogramm der Reise gewesen. Nicht das Fahrradgeschäft.

      Sie brauchten fast eine Stunde, um den Laden zu finden – aber als sich der Nachmittag dem Abend zuneigte, bogen sie um eine Straßenecke und Will sah die verwitterten Laufräder, die über einem dunkelgrünen Schild hingen. Two Wheels. Er hätte sich vor Aufregung fast in die Hose gemacht.

      Eine Angewohnheit, die er sich von seiner Großmutter abgeschaut hatte, nachahmend, öffnete Will die Wagentür und hüpfte aus dem gelben Ford-Kombi, noch bevor dieser zum Stehen kam.

      »Verdammt noch ’mal ... «, tönte es vom Fahrersitz, aber Will rannte schon zum Geschäft. Schließlich schlossen sie um fünf und wer weiß? Vielleicht würden sie an einem Samstag ein paar Minuten eher dicht machen und einfach zum Essen nach Hause gehen. Er griff nach der Türklinke und drückte sie nach unten. Die Tür öffnete sich und er trat ein ins Wunderland.

      William Edward Ross war zu Hause.

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      Jetzt hatte er nichts mehr zu essen. Seinen letzten Energieriegel hatte er vor einer Stunde zu sich genommen. Seine Beine fühlten sich an wie Blei. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren und er konnte seinen Schnitt nicht mehr halten. Er hatte noch genügend Wasser und er trank fortwährend, aber er brauchte dringend etwas Festes zwischen den Zähnen. Sein Gehirn fühlte sich an, als wäre es in Baumwolle verpackt. Peng. Er war dabei zu platzen. Er rechnete sich aus, dass er noch etwa zwanzig Kilometer zu fahren hatte und er nahm sich einfach vor, weiterzufahren. Deeds würde innerlich ein Fass aufmachen, wenn er in Senlis in die Auffahrt zum Velodrom einbog. Was war das überhaupt für ein Ort? Ein altes Loch, das das Team für das Aufbautraining im Winter angemietet hatte, bevor alle ihren Saisonplan bekamen und die Mannschaft sich über den ganzen Kontinent verteilte, um wie Verrückte Rennen zu fahren und zu versuchen, von Arschlöchern wie Deeds, die nichts vom Rad fahren verstanden, außer einem Steine in den Weg zu legen und einen runterzumachen, einen Brocken Lob zu bekommen... Aufhören damit. Benutze deine Kraft zum Fahren. Verschwende sie nicht darauf, zu meckern und zu jammern und zu stöhnen. Einfach den Kopf unten halten und den Wind unterlaufen – er hatte schon wieder gedreht, oder hatte der letzte Streckenteil ihn einfach wieder in Windrichtung gebracht? Einfach treten. Bald ist es vorbei. Nur an die warme Dusche denken und an Deeds. Du wirst dich mit Deeds auseinandersetzen müssen. Aber das kann man überleben, selbst wenn man die Ausfahrt nicht überlebt. Und, mein Gott, morgen muss ich das wieder durchstehen...

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      »Hast Du ihn gesehen?«

      »Nicht in den letzten dreieinhalb Stunden, Tomas.« Cheryl Crane fuhr zusammen. Sie kannte diesen Ross-Typen überhaupt nicht, aber Tomas’ Sorge begann auf sie abzufärben.

      Tomas Delgado lief den Bürgersteig in Senlis auf und ab und fluchte. Irgendwo da draußen, auf einer 140-Kilometer-Runde, war sein Freund. Er war neu im Team und er hatte ihn noch nicht gesehen. Das Team war seit einer halben Stunde da und wie am Ende einer Fabrikschicht fuhren die Autos vor und die Fahrer kamen heraus, um sich in ihre Wohnungen rund um Senlis und in den nördlichen Vororten von Paris fahren zu lassen.

      Er wollte auf Will warten. Aber jetzt war die ganze Mannschaft weg und Deeds schloss das Velodrom ab.

      »Hey ... was ist mit Will?«

      »Wer?« Deeds schien aufrichtig verwirrt zu sein.

      »Will. Will Ross. Der Neue. Er ist noch unterwegs.«

      »Sein Problem.«

      »Ich warte auf ihn.«

      Deeds seufzte. »Fahr nach Hause, Tomas. Du und Crane. Ich bin der Sportliche Leiter. Es ist meine Aufgabe. Ich warte auf Ross. Hab’ mich noch nicht daran gewöhnt, dass er bei uns ist. Hab’ einfach nicht an ihn gedacht.«

      »Er fährt alleine – es könnte eine Weile dauern.«

      »Ich warte. Mach dir keine Gedanken. Geh nach Hause, mach dir was zum Abendessen und ruh dich aus. Wir sehen uns morgen.«

      Cheryl Crane kletterte in den Kombi. Tomas Delgado zögerte beim Einsteigen.

      »Fahr, Tomas. Fahr einfach. Ich bin hier. Ich warte. Egal wie lange es dauert.«

      Delgado hielt einen Augenblick lang inne, dann stieg er in den Haven-Mannschaftswagen und zog die Tür hinter sich zu. Das Auto fuhr an und verschwand im Feierabendverkehr von Senlis. Carl Deeds schaute ihm hinterher, dann ging er zu seinem eigenen Auto, stieg ein und machte sich auf die lange Fahrt zu seiner Wohnung in Paris, wo eine Flasche Wein auf ihn wartete.

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      Er hatte das Ortsschild passiert. Er war in den Vororten von Senlis. Senlis. Sinnlos. Diese ganze gottverdammte Sache war sinnlos. Noch zehn Kilometer. Nach der nächsten Abzweigung würde er durch den Verkehr fahren müssen und er würde sich noch mehr konzentrieren müssen, damit er nicht auf einer Kühlerhaube landete.

      Zehn. Nicht mehr weit. Wieviel – sechs Meilen? Bestimmte Amerikanismen hatte er trotz vieler Jahre in Belgien beibehalten. Er rechnete Kilometer in Meilen um. Er übersetzte Flämisch in Französisch und Französisch in Englisch, obwohl es auf diese Art ewig dauerte, bis er sein Essen bestellt hatte. Es war dumm und es war engstirnig, aber es war eben das Verfahren, das er während des ersten Jahres entwickelt hatte, um mit dem Alltag zurecht zu kommen. Jetzt war es einfach nur seine Art. Es war nicht schnell und es war nicht schön, aber es funktionierte für ihn. Noch acht. Noch sieben. Noch sechs.

      Jetzt schossen Autos an ihm vorbei. Er hätte auf sie achten müssen, aber er konnte seinen Kopf nicht heben. Er sah seine Füße. Er sah seine Pedale. Sollten sie sich nicht schneller bewegen? Er überfuhr eine rote Ampel und er verfuhr sich in eine Einbahnstraße. Wohin? Welche Straße? Wenn er die verkehrte nahm, würde er wieder zurück fahren. Die Karte ergab keinen Sinn mehr. Aber hier, hier war die richtige Straße, denn da war das Geschäft, an dem er mit dem Taxi auf dem Weg zum Trainingszentrum vorbeigefahren war. Das Velodrom müsste gleich um die Ecke sein, in all seiner braunen, verfallenen Hässlichkeit. Was für eine Rattenfalle. Wie konnte irgendjemand an diesem Ort Fahrrad fahren, an diesem teuflischen Ort? Mein Gott, ich würde es nie tun, niemals, niemals.

      Will hielt am Eingangstor. Er schaute auf den Tacho. Er zeigte nichts an. Wie viele Stunden im Sattel? Zu viele. Hatte er wirklich so viele Stunden seines Lebens verloren, und wofür? Er schwang sein Bein über den Sattel und betrat zum ersten Mal seit dem Fahrradladen festen Boden. Wo war dieser Laden gewesen? Wie lange war das her? Seine Beine zitterten. Er ging wie Opa Ross nach seinem Schlaganfall. Er zog das Rad hinter sich her wie ein Sheriff in einem Comic einen bewusstlosen Desperado hinter sich herschleift, und stolperte zur Tür. Deeds würde bei seinem Anblick erschrecken.

      Vielleicht. Oder auch nicht. Die Vordertür war abgeschlossen.

      Will kehrte um und zog das Rad am Vorderrad hinter sich her um die Ecke des Gebäudes, die Allee hinunter und in den Hof neben der Bahn. Die Umkleidekabinen waren auch abgeschlossen.

      Zu diesem Zeitpunkt wäre er zusammengebrochen, wenn die in ihm aufsteigende Wut ihn nicht aufrecht gehalten hätte. Er lehnte sich gegen die Tür und begann mit den Fäusten dagegen zu trommeln, erst langsam, dann immer schneller und fester.

      »Du Hurensohn!«

      Peng!

      Jetzt war er noch erschöpfter und die Tür


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