Tödliche Tour. Greg Moody

Tödliche Tour - Greg Moody


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lief es besser für Will, er begann seinen Rhythmus und seine Konzentration zu finden. Er hielt gut mit, übernahm Führungsarbeit, wenn er dran war, bekam wieder ein Gefühl für die Gruppe und war immer bereit, wenn Deeds wollte, dass er vorne wegsprang, um auszureißen oder um Ausreißer zu jagen. Es tat gut. Er wusste, dass es nicht immer so sein würde. Es würde Tage geben, an denen er nicht im Sattel sitzen konnte, an denen er in seiner Einsiedlerwohnung aufwachen und eine Viertelstunde brauchen würde, bis er seine Knie geradebiegen und aufstehen konnte, ohne dass ihm vor Schmerz Tränen in die Augen schossen oder er sich im Türrahmen anlehnen musste, Tage, an denen nichts und niemand ihn dazu würde bringen können, mit irgendjemandem mitzuhalten oder auch nur hinterherzufahren.

      Aber heute fühlte er sich gut.

      Heute gehörte er aufs Fahrrad.

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      Godot langweilte sich.

      Er hatte seinen Bericht über den Fall Colgan vor Wochen eingereicht, zusammen mit den Untersuchungsergebnissen der Gerichtsmediziner und den Aufzeichnungen von La Sarge zu dem Draht und dem Metallstück, die sie zwischen den bloßgelegten Streben gefunden hatten. La Sarge war gut gewesen: »Die Teile, die am Tatort gesichtet und aufgefunden wurden, gehören mit einer 85-prozentigen Wahrscheinlichkeit zu einem elektronischen Sprengstoffzünder, vermutlich für Plastiksprengstoff.«

      Die Tageszeitungen vergaßen das Attentat auf Colgan schon langsam. Die Berichte über die laufende Untersuchung waren auf den hinteren Seiten vergraben, versteckt in einem Wald von Kleinanzeigen. Sie schrieben noch immer, es sei eine Gasexplosion gewesen.

      Von wegen Gasexplosion.

      Also wartete Godot. Er wartete darauf, vom Chef der Mordkommission zu hören. Er wartete darauf, vom Leiter der Untersuchungskommission für den Fall Colgan zu hören. Er wartete darauf, vom Chefinspektor der Pariser Polizei zu hören, oder von irgendeinem der vielen Bürokraten und Politiker, von deren Urteil er abhängig war.

      Ich habe keine Lösung für den Fall, dachte er. Das stört mich auch gar nicht. Ich will im Augenblick nicht einmal unbedingt den Mörder finden. Ich will nur, dass irgendwer zugibt, dass es ein Mord war. Das wäre an sich schon ein Triumph.

      Sein Telefon klingelte. Godot nahm hastig den Hörer ab. »Luc.«

      »Stephen. Gibt’s was Neues? Hast du was gehört?«

      »Ja. Aber ... « Die lange Pause ließ Godot nichts Gutes ahnen. »Sie kaufen es nicht. Der Sekretär des Chefinspektors hat mir gesagt, dass dem Chef ein 1 5-prozentiges Risiko zu hoch ist, um einen Mordverdacht zu äußern. Vor allem, wenn es um einen der großen Rennställe Frankreichs geht, der von einem der größten Konzerne Frankreichs gesponsort wird.«

      »Ein Konzern, zu dessen Vorstand er selbst gehört«, fügte Godot hinzu.

      »Mmhh. Stimmt. Er sitzt drin.«

      »Also hab’ ich verloren?«

      »Ja, Luc. Tut mir Leid. Sie bleiben bei der Gasexplosion. Das ist einfach und sauber. Und Colgans Familie verhandelt bereits mit Gaz de France über eine Abfindung von mehreren Millionen.«

      »Schön, dass sie gewartet haben. Verlangen sie auch Geld für seinen Finger? Sie standen ihm ja offenbar sehr nahe.«

      »Du hast recht, da wurde keine Liebe verschwendet. Aber der Finger ist außer Reichweite.«

      »Zerstörtes Beweismittel?«

      »Nein«, erwiderte La Sarge prompt. »Er liegt auf dem Schreibtisch des Chefinspektors, in Kunstharz gegossen. Ich glaube, er möchte ihn als Briefbeschwerer benutzen.«

      Godot legte wortlos den Hörer auf. Er war von der Abteilung in die Ecke gedrängt worden. Er mochte es nicht, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, egal um was es ging. Es gab zwei Auswege.

      Zuerst rief er einen Reporter an, der sich seit zwanzig Jahren mit Mordfällen beschäftigt hatte. Können wir uns treffen? Ich habe etwas, das dich interessieren könnte.

      Und zweitens, er würde es einfach selbst in die Hand nehmen. Die Verdächtigen treffen, sie befragen, sie ausquetschen. Ohne Autorisierung.

      Und er würde mit dem Mann anfangen, der Colgan ersetzt hatte.

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      Während der Januar verstrich, hatte Will immer mehr gute Tage. Er hatte sogar einen richtigen Schub von Energie und Enthusiasmus, als die Mannschaft sich zu formieren begann und auf die Bedürfnisse von Bourgoin und den anderen wichtigen Fahrern blind zu reagieren lernte.

      Will arbeitete hart an seinen Beinen und trainierte außerdem, wenn er nach Hause kam, in seiner kleinen Wohnung seinen Oberkörper, indem er Gewichte hob und Liegestütze machte. Er dachte an Stewart Kenally, der immer gepredigt hatte, die Kraft müsse sich aus dem ganzen Körper entfalten, nicht nur aus den Beinen, sondern auch aus den Armen, der Brust, aus dem Rumpf und dem Herzen und dem Geist und der Seele.

      Und an manchen Tagen war sie da, die Kraft.

      Aber dann wurde er wieder an die Erkenntnis erinnert, die er vor Jahren gewonnen hatte, als er plötzlich merkte, klar und deutlich, dass er nie ein Champion sein würde. Er konnte fahren, er konnte manchmal sogar fliegen, aber er konnte nicht schnell genug fahren und nicht weit genug fliegen, um ein Champion zu sein. Champions konnten es immer. Und es hatte bei ihnen immer diese gewisse Leichtigkeit. Auch sie hatten ihre schlechten Tage und ihre Durchhänger, aber im Vergleich zu Will spielten sie in der ersten Liga, während er bestenfalls Kreisklasse war. Es gibt eine unsichtbare Mauer, die dich immer an deinem Platz hält. Wenn du sie nicht in Angriff nimmst und es nicht schaffst, sie zu durchbrechen, bleibst du immer im zweiten oder im dritten oder im vierten Glied.

      Domestike.

      An den Tagen, an denen die Kraft nicht da war, spukte das Wort unentwegt in seinem Kopf herum. Es waren Tage, an denen es schien, als habe sich die Kraft die man braucht, um die Kurbeln schnell und ausdauernd um sich selbst zu drehen, Urlaub genommen oder als sei sie einfach nicht aus dem Bett gekommen.

      Er fuhr immer mit. Er gab nie auf. Aber er fiel dann nach drei Vierteln der Strecke aus dem Feld heraus. Manchmal ging es ganz langsam, als triebe man bei ruhiger See von einem Schiff weg. An anderen Tagen wurde er einfach weggesprengt: Eben noch mittendrin, konnte er im nächsten Augenblick gerade noch den letzten Mannschaftswagen sehen, wie er einen halben Kilometer vor ihm um die Kurve bog.

      Es gab Tage, da schien es für ihn so sogar das Beste zu sein. Will kam dann zwischen zehn Minuten und einer Stunde nach den anderen im Trainingszentrum an und bis er geduscht hatte, war Cheryl mit den Mannschaftsführern fertig und bereit, sich den kleineren Lichtern zu widmen, die es nötig hatten. Mit 32 Jahren hatte Will es nötiger, als er zugeben wollte.

      »Was war los?« würde sie fragen, während sie einen steinharten Muskel an seinem Rücken bearbeitete.

      »Ich... konnte... einfach... daaaaaaaas Tempo nicht mehr halten. Erst ging es gut – dann ging gar nichts mehr und ich konnte sie einfach nicht mehr einholen.«

      »Das kann passieren, aber du darfst deine Konzentration nicht verlieren. Wenn du anfängst im Feld zu träumen, bekommst du echte Schwierigkeiten.«

      »Da haben wir ja eine echte Expertin... auuaaa.«

      »Oh, entschuldige, ich vergaß, dass ja nur Männer Fahrrad fahren. Und nur Männer Rennen fahren. Und nur Männer mit 90 Stundenkilometer, den Hintern in der Luft und Jeannie Longo am Hinterrad, den Berg runterjagen. Natürlich. Hatte ich vergessen.«

      »Entschuldige.«

      »Das reicht nicht.« Sie grub sich fest in seine Schultern und traf einen Punkt tief im Inneren des Muskels. Will zuckte zusammen und Tränen stiegen ihm in die Augen. Er vergrub sein Gesicht in die Öffnung der Kopfstütze.

      »Sag mir, wenn der Schmerz nachlässt.«

      Will versuchte zwischen seinen


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