Prinz der Wölfe. Dave Gross

Prinz der Wölfe - Dave  Gross


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wollte, den er dem Prinzipal hätte zeigen können. „Wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du die Börse gar nicht mehr.“ Der junge Beutelschneider, dem wir zuvor begegnet waren, war kein Anfänger gewesen, aber ich hatte mehr Übung als er mit seinen zehn oder zwölf Jahren.

      „Und für diesen Dienst werde ich dich mit Freuden Seiner Exzellenz empfehlen“, sagte Nicola. „Und als persönlichen Dank werde ich darüber hinwegsehen, dass du die Aufmerksamkeit der Gendarmen auf uns gezogen hast.“

      Da konnte ich kaum widersprechen. Die kleine Kanalratte hatte mich gebissen, als ich ihn um die Börse erleichterte, und wir hatten so nahe am Wasser gestanden, dass ich nicht hatte widerstehen können und ihn hineinschmiss. Mir hätte klar sein müssen, dass er sofort Zeter und Mordio schreien würde, sobald er nach Luft schnappend an die Oberfläche kam. Trotz Nicolas makelloser Jeggare-Livree sah der Wächter, der uns angehalten hatte, in uns beiden keine unschuldigen Besucher seines schönen Landes sondern zwei Ausländer mit einer fetten Geldbörse. Mein teuflisches Aussehen half dabei wenig. Che­laxianer sind selten irgendwo willkommen, aber eine Höllenbrut reicht aus, um einen Aufstand anzuzetteln.

      Ich atmete tief durch und schenkte Nicola ein schmales Lächeln, weil es keinen Sinn gehabt hätte, ihm zu drohen. „Hör zu, der Wächter wollte nur ein kleines Stück vom Kuchen. Das ist alles, was ich dir sagen wollte.“

      „Du meinst, so etwas wie ein Schmiergeld?“ Nicolas Wangen wurden rot.

      Desna weint. „Ich meine genau so etwas wie ein Schmiergeld.“

      „Mach dich nicht lächerlich. Er hat immer wieder betont, dass es ihm nur um das Wohlergehen dieses Straßenbengels ging ...“

      „Der sich verzogen hat, weil er ein Taschendieb war.“

      „... und um die Aufrechterhaltung des Friedens entlang des Ufers ...“

      „Der von dem Bengel gestört wurde, der deine Börse geklaut hat.“

      „Wenn dein Varisisch zu etwas mehr ausreichen würde, als zu ein paar Phrasen, um Bier zu bestellen und die Dienste von Prostituierten in Anspruch zu nehmen, hättest du verstanden, dass der Mann nur seine Pflicht getan hat.“

      „Warum hat er dann seine Hand so aufgehalten?“ Ich demonstrierte es ihm.

      Nicola blickte auf meine Hand hinunter. Ich übertrieb nicht zu sehr, doch man konnte diese Aufforderung unmöglich missverstehen. „Ich hatte angenommen, es sei eine lokale Geste“, sagte er. „Außerdem ist er schließlich doch weggegangen, oder nicht?“

      „Sicher doch“, sagte ich mit so viel Sarkasmus, dass ich fürchtete, meine Lippen würden gleich bluten. „Und wann genau war das nochmal?“

      „Gleich nachdem du seine Hand geschüttelt ...“ Er stand einige Sekunden mit einem komischen Gesichtsausdruck da, als der Groschen langsam fiel. „Du hast ihm Schmiergeld gezahlt!“

      „Den Rest von meinem Kleingeld“, sagte ich, „weshalb ich auf den Aquirierungsfonds zurückgreifen muss.“ Nun wurde es Zeit für Nicola zu kapieren, dass es einfacher war, mir das Geld zu geben. Er war zwar ein händeküssender Speichellecker, aber nicht völlig verblödet. Manchmal brauchte er nur einen kleinen Stoß in Richtung Vernunft. Ich winkte mit meiner Hand und hielt sie so auf, wie der Stadtwächter es getan hatte.

      „Das kannst du vergessen, Radovan“, sagte er mit einem griesgrämigen Blick. „Trotz deines offensichtlichen Grolls darüber, dass mir Graf Jeggare vertraut, habe ich versucht, dir ein Freund zu sein. Zweifellos hast du in der Vergangenheit den zwangloseren Umgang mit dem Herrn genossen, aber da er mich in seine Dienste genommen hat, solltest du keinen Zweifel daran haben, dass er eigentlich eine traditionelle Rangordnung unter seinen Dienern bevorzugt.“

      „Eigentlich bin ich nicht sein Diener, sondern ...“

      „Sei mir gegenüber bitte so höflich und unterbrich mich nicht. Ich versuche, dir zu helfen, Radovan. Viele in meiner Position würden dies nicht tun. Nein, ich spreche nicht von den unglücklichen Umständen deiner Herkunft – natürlich beuge ich mich in all diesen Dingen dem Urteil des Herren, und da er es für angebracht hält, dich trotz des höllischen Schandfleckes auf deiner Familie in seinen Diensten zu haben, unterstütze ich seine Wahl vorbehaltlos. Stattdessen ist es vielmehr der Schatten, unter den dich deine eigenen Handlungen gestellt haben, Radovan, der verhindert, dass andere dich in einem so sympathischen Licht sehen, wie ich es immer getan habe. Kam nach dem bedauernswerten Vorfall mit dem Wein des Herrn je ein Wort der Verurteilung über meine Lippen? Nein, kam es nicht, Radovan!“

      Wenn er meinen Namen noch einmal gesagt hätte, wäre es mir schwergefallen, ihm nicht mein besonders breites Grinsen zu zeigen, und das endete immer übel. Stattdessen atmete ich tief durch die Nase ein und zischte: „Du hast ihm gesagt, ich sei der derjenige gewesen, der den Seeleuten verraten hätte, dass Wein im Frachtraum lagerte.“ Ich wusste nicht, ob das stimmte, doch die Art, wie böse der Prinzipal mich nach seiner Unterredung mit Nicola angesehen hatte, war ein ziemlich guter Hinweis gewesen. Der Prinzipal hätte mir dankbar sein müssen. Ich bin der Einzige, der es ihm sagt, wenn er zu tief im purpurnen Meer schwimmt. Alles, was ich getan hatte, war – ganz zwanglos und in Hörweite der Mannschaft – zu erwähnen, dass eventuell ein paar Dutzend Flaschen guten chelischen Weines in der Kabine der roten Kutsche verstaut wären, die sie mit so viel Mühe in den oberen Lade­raum verfrachtet hatten. Diese Arbeit hätte sicher durstig gemacht, hatte ich – mehr oder weniger – beiläufig erwähnt. Wie hätte ich denn wissen sollen, dass der abstinente Kapitän den Rest des Weines über Bord werfen lassen würde? Ich konnte schließlich nicht der Einzige gewesen sein, der mitgehört hatte, wie er Cayden Cailean und all seine betrunkenen Diener verflucht hatte, während er seiner verkaterten Mannschaft Befehle zubrüllte.

      Nicola hob in schlechter Nachahmung des Prinzipals eine Augenbraue, und ich wusste, dass ich richtig geraten hatte. Er sagte: „Der Herr wünschte, dass ich ihm einen wahrscheinlichen Grund für das Verschwinden seines persönlichen Vorrates nannte, und es war meine Pflicht zu gehorchen. Ich habe mich allerdings nicht schlecht über deinen Charakter oder über die Gewissheit deiner Schuld geäußert. Wie ich jedoch bereits gesagt habe, liegt es an deiner eigenen Unfähigkeit, wenn du das Vertrauen des Herrn verloren hast, und nicht an irgendeiner eingebildeten Konkurrenz meinerseits. Außerdem, während es dir gefällt, den Begriff ‚Diener‘ zu verunglimpfen, hat meine Familie seit Generationen voller Dankbarkeit den Herrschern von Egorian gedient, und ich bin nicht weniger stolz als mein Urgroßvater Orellius, der täglich die Stiefel und die Schwertscheide des großen Generals Fedele Elliendo polierte, mich den Bedürfnissen unseres geehrten Herrn und Meisters, Graf Varian Jeggare, anzunehmen.“

      Ich wartete einen Moment, um zu sehen, ob Nicola sein Ziel aus den Augen verloren hatte oder sich bloß aufplusterte. Als er mich ansah, als erwarte er eine Antwort, klopfte ich ihm leicht auf den Arm und sagte: „Tja, Nicola, du hast mich erwischt.“

      „Du verstehst also?“, fragte er zögernd.

      „Voll und ganz“, antwortete ich und tätschelte ihm erneut den Arm.

      „Ausgezeichnet“, sagte er. „Einen Moment lang fürchtete ich, du könntest die Beherrschung verlieren. Ich bin froh, dass wir diese Möglichkeit genutzt haben, uns auszusprechen. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, ich muss noch einige Dinge für die nächste Etappe der Reise des Herrn erstehen.“ Er zupfte am Revers seiner Jacke und wartete, ob ich ihm die Hand reichen würde. Was ich auch tat und ordentlich zudrückte, aber nicht so fest, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb.

      „Danke, Nicola. Ich bin froh, dass wir diesen kleinen Plausch halten konnten.“ Ich winkte und schlenderte davon – dieses Schlendern hatte ich für ebensolche Gelegenheiten eingeübt – und klopfte auf die fette Börse, die ich ihm gerade stibitzt hatte. Sehr bald würde es Nicola sein, der die Beherrschung verlor.

      Abgesehen von dem Geschrei der Sklavenhändler oben auf ihren Gerüsten ist der auffälligste Unterschied zwischen den Märkten von Caliphas und Egorian der Geruch von Knoblauch. Wir Chelaxianer mögen das Zeug. Wir ertränken nur nicht alles darin, wie es diese Ustalaver tun. Vielleicht sollte ich mich langsam daran


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