Prinz der Wölfe. Dave Gross

Prinz der Wölfe - Dave  Gross


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ihn zu Boden, während ich mich noch immer an seinen Ohren festklammerte. Er packte mich, und ich konnte spüren, wie sich seine Finger zu stählernen Nägeln verhärteten, die sich schmerzhaft in meinen Nacken bohrten. Ich zog sein Gesicht nah an meines und grinste ihn breit an.

      Das ist etwas, das ich nicht oft versuche, da meine Zähne nicht die hübschesten sind. Die Barbiere bekommen von mir ein zusätzliches Trinkgeld, wenn sie meinen Zahnstein entfernen sollen, und das Netteste, was je irgendjemand über meine Beißerchen gesagt hat, war, dass sie ihn an einen Kasten mit feinem Silberbesteck erinnerten, den der Hausdiener fallen gelassen hatte.

      Jemand in der Menge kreischte, und das halbe Publikum rannte entweder nach Hause oder in den nächsten Tempel. Selbst die Sczarni hörten auf zu klatschen.

      „Zwing mich nicht, dich zu beißen, Junge“, sagte ich, ohne darauf zu achten, dass er gut fünf Jahre älter aussah als ich. Von dem Geruch zu schließen war ich ziemlich sicher, dass er derjenige war, der Schiss hatte.

      Einer der Sczarni brüllte eine Übersetzung. Vili lockerte langsam seinen Griff, während er mich nicht aus den Augen ließ und blieb still auf dem Rücken liegen. Ich stand auf und musterte ihn nach einem Anzeichen dafür, dass die Kampfeslust wieder in ihm hochkommen würde.

      Als ich außerhalb seiner Reichweite war, sah ich, dass der Großteil der Menge verschwunden war. Bald würde ich mit den Sczarni allein sein, sodass es auf jeden Fall Zeit war zu gehen. Ich drehte mich um und sah, wie der Bursche vor meinem Messer floh, dass noch immer in dem Arbeitsblock des Goldschmieds steckte. Ich hätte gerne gesehen, wie er versuchte, es herauszubekommen. Ich zog es heraus und hob den schweren Block einen Zoll in die Höhe, bevor die Klinge herausrutschte.

      Vili stahl sich zu der Gruppe Sczarni zurück. Ohne das Publikum, das ihre Zahl verdeckt hatte, zählte ich vierzehn. Sie warfen dem grauhaarigen Geiger von der Seite lange Blicke zu, und ich erkannte, dass er ihr Anführer – Häuptling, Oberhaupt, was auch immer – sein musste. Ich zuckte mit dem Kinn in seine Richtung, bevor mir klar wurde, dass die Geste vielleicht nicht verstanden wurde, doch er erwiderte sie in einer Weise, die mich glauben machte, dass es so war. Das konnte heißen, dass alles geregelt war, oder es konnte bedeuten, dass ich einen Vorsprung bekam.

      Als ich mich umdrehte, sagte Malena: „Warte! Sei uns nicht böse, Radovan. Lass mich dir die Turmkarten legen. Als Geschenk.“

      Die besten Sprichworte über Rache stammen von den Sczarni, daher wusste ich, dass es keine gute Idee war, ohne eine Menschenmenge in der Nähe unter ihnen zu weilen. Außerdem habe ich die Turmdeuter noch nie gemocht. Sie sind schlimmer als die meisten Wahrsager, denn gelegentlich findet sich ein wahrer Turmdeuter unter ihnen, einer dieser Kartenleser, die tatsächlich etwas auf eine Distanz von tausend Tagen sehen können. Wesentlich öfter hat man nur ein paar Silbermünzen an einen Betrüger bezahlt, und dann geht man davon und glaubt, etwas über sich selbst gelernt zu haben, aber es ist nur das übliche Sczarni-Geschwätz: Irgendein Dreck über Liebe, irgendein Dreck über Reichtum, noch mehr Dreck über die eigene Großzügigkeit, die nur vom skeptischen Verstand in Schach gehalten wird. Ich könnte das selbst, wenn es mir gelänge, dabei ernst zu bleiben.

      Wie immer ich es auch betrachtete, es gab keinen guten Grund, wegen eines Kartentricks zu bleiben. Trotzdem, die Vorstellung, mich abzusetzen und dabei in Malenas Augen keinen Deut mutiger auszusehen als Vili – das wurmte mich.

      Bevor ich mich dazu entschlossen hatte zu gehen, brachte eine Gruppe von Sczarni-Frauen einen kleinen, runden Tisch und zwei Hocker, bevor sie sich wieder zurückzogen, und ließen Malena und mich auf den Teppichen allein. Der Geiger drückte sich in der Nähe herum, vielleicht weil er sich für eine Anstandsdame hielt.

      Alles geschah im Freien, mitten in Caliphas, und es gab noch immer genügend Tageslicht. Ach, zur Hölle! Ich nahm gegenüber von Malena Platz.

      Sie ließ das einführende Brimborium weg, das ich schon einmal gesehen hatte, und gab mir einfach die Turmkarten. Die Karten waren alt, aber ihre Ränder waren noch immer so glatt, dass ich die Markierungen eines Falschspielers nicht sofort bemerkte. Ich drehte sie um und betrachtete die Vorderseiten: Der Jongleur, Der Pfau, Die Königinmutter, Der Paladin. Ich hatte sie alle schon einmal gesehen, von anderen Künstlern gemalt. Wer auch immer diese Karten bemalt hatte, hatte eine gruselige Art von Talent, oder die Bilder erschienen mir unter den gegebenen Umständen einfach unheilvoller.

      Zufrieden, dass ich ihren Karten den nötigen Respekt oder sonst irgendwas entgegengebracht hatte, nahm Malena sie wieder an sich. „Warum du gekommen bist“, sagte sie, während sie die Karten mischte. Sie tat es wie ein Glücksspieler in einer Hafenkneipe und legte die Karten, anstatt sie zurück in die bekannte Schachtel zu tun, mit der Vorderseite nach oben in einem halbmondförmigen Muster aus, dessen Spitzen auf mich zeigten. „Was du finden wirst.“

      Schließlich, ohne Kommentar, legte sie eine einzelne Karte mit der Vorderseite nach unten zwischen die Spitzen des Halbmondes.

      Sie begann in der Mitte mit dem Teufel. „Dies zeigt, wo du herkommst“, sagte sie. „Von einem Ort der Stärke.“

      „Unglaublich“, sagte ich. Sie ignorierte meinen Sarkasmus. Wenn ihre Finger so geschickt waren, wie ich es mir vorstellte, war es kein großer Trick für sie, die Karten dort zu platzieren, wo sie sie haben wollte, und nachdem sie mein breites Grinsen gesehen hatte, gab es keine andere Möglichkeit mehr: Sie musste verstanden haben, dass meine Vorfahren aus einem wärmeren Klima stammten.

      „Dies sind die Mächte, die dich antreiben.“ Sie zeigte auf die Karten, die daneben lagen. Den Tyrannen und den Wanderer. Sie sprach dichterisch über die Aspekte des Geistes und der Persönlichkeit, und ich nickte, ohne richtig zuzuhören. Ihre Augen waren grüner, als ich es zuvor bemerkt hatte, und sie hatte mehrere Ringe in ihren Ohrläppchen. Eine tätowierte Schlange wand sich über ihren Hals und eine Schulter hinab. Ich wollte ihr folgen, doch da fiel mein Blick auf den Geiger. Würde ich einen neuen Streit anfangen, wenn ich eine Haarlocke von dieser freiliegenden, gebräunten Schulter strich?

      „Dies sind die Mächte, die sich dir entgegenstellen“, sagte sie. Der Narr und Der Verrat – gute Wahl. „Und diese könnten dich unterstützen oder irreleiten.“ Die Stumme Vettel und Der Tanz. Dies erschien mir einigermaßen in Ordnung, wenn man die derzeitige Gesellschaft in Betracht zog, und ich wurde langsam nervös. Ich sah mich um und bemerkte dass niemand mehr in Sichtweite war.

      Sie hatte die Spitzen des Halbmondes erreicht und beschrieb den Zwilling und den Leeren Thron als Schatten meines Schicksals. Perfekt, dachte ich. Als Nächstes wird sie mir erzählen, dass ich die Reichtümer eines lange verloren geglaubten Bruders erben werde, und dann wird mir der Geiger eine Landbesitzurkunde zum Kauf anbieten.

      Ich erhob mich. Sie sah mit einem rätselhaften Blick zu mir auf. Wartete sie jetzt darauf, dass ich eine Frage stellte? Dass ich ihr Geld anbot? Ich tastete nach meiner Börse, um sicherzugehen, dass sie noch da war, doch dann bemerkte ich, dass sie die letzte Karte nicht angerührt hatte. Ich drehte sie um.

      Die Karte zeigte einen Mann, der auf einem vom Mondlicht beschienenen Hügel stand, mit einem Zepter in der Hand und einer Krone zu seinen Füßen. Unter ihm blickten Dutzende glühender Augen aus den Schatten heraus, als warteten sie auf einen Befehl von oben.

      „Nein!“, schrie der Geiger. Er trat den Tisch um, und die Karten segelten davon.

      Etwas in seinem Ton erschreckte mich. Ich war mehrere Schritte zurückgetreten, bevor ich es richtig begriffen hatte. Malena bückte sich, um die Karten aufzuheben, und der Geiger schalt sie heftig auf Varisisch. Ich schnappte nur ein paar Worte auf, doch ihre Körpersprache sagte mir alles, was ich wissen musste. Sie hatte etwas falsch gemacht, und er war zornig.

      „Wo liegt das Problem?“, fragte ich.

      „Schnell“, sagte Malena. Sie drückte mir etwas in die Hand. „Hier ist deine Münze. Jetzt geh!“

      Der Geiger zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger und kleinem Finger auf mich; irgendwie eine umgedrehte Form des Zinkens. „Halt dich von meiner Familie fern, Teufel“, sagte er. „Du bist verflucht!“

      „Na, von mir aus“, war die schlagfertigste


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