"Wenn Du absolut nach Amerika willst, so gehe in Gottesnamen!". Heinrich Lienhard
möglichst authentisch zu vermitteln. Er erkannte zu Beginn seiner Arbeit, dass die Transkription, die ihm als Vorlage dienen sollte, über weite Strecken nicht Lienhards Originaltext entsprach. Sein grosses Verdienst ist, dass er sich daraufhin entschloss, die ganze Transkription neu zu bearbeiten. Obwohl seine Deutschkenntnisse begrenzt waren, machte er sich mit der deutschen Schreibschrift vertraut und zog zur Übersetzung eine zweisprachige Mitarbeiterin bei.
Zwei Anmerkungen sollen hier kurz erwähnt werden. Der Name von Lienhards Aargauer Reisekamerad Heinrich Thomann wurde zwar brieflich kommuniziert, dessen Schreibweise in der Anmerkung aber versehentlich als «Thomman» angegeben.15 Die zweite Anmerkung betrifft ein Leseversehen. Lienhard schreibt: «Warte, Kerl, dich werde ich in das Staatskosthaus nach Alton schicken!» Die Übersetzung lautet: «Just you wait fellow, I’ll send you to the government courthouse at Alton!» Lienhard meinte mit «Staatskosthaus» natürlich Gefängnis (penitentiary), was irrtümlich mit «government courthouse» (staatliches Gerichtsgebäude) übersetzt wird. In einer Anmerkung erklärt Abbott dazu: «The Madison County Courthouse was in Edwardsville; Alton was the site of the State Penitentiary.» Lienhard wusste dies offensichtlich und formulierte es dementsprechend korrekt.16
Abbott ist mit «New Worlds to Seek» ein schönes Buch zu verdanken, das Lienhard und seinen Text auf überzeugende Art präsentiert. Es biete, schreibt Lienhards Urenkel John Henry im Vorwort, auch späteren Generationen seiner Familie die willkommene Möglichkeit, nicht nur über die frühe Zeit am Mississippi mehr zu erfahren, sondern auch über die von Fernweh geprägten Jugendjahre seines Urgrossvaters, der in Amerika ein freies, selbstbestimmtes Leben suchte und vom Zufall begünstigt auf unerwartete Weise fand.
1 Die Landzuweisungen erfolgten in der Regel in spanischen Quadratmeilen, wobei 1 Quadratmeile (spanisch «legua») rund 18 Quadratkilometern entsprach.
2 Die folgenden Ausführungen zur Entwicklung des Trails stützen sich vor allem auf George R. Stewart, The California Trail. An Epic with Many Heroes (1962/1971).
3 John D. Unruh, The Plains Across. The Overland Emigrants and the Trans-Mississippi West, 1840–1860 (1982), 84.
4 Es handelt sich dabei um 25 ungebundene Druckbogen mit Bleistiftnotizen von Lienhards Hand. Das Dokument gelangte 1983 aus Familienbesitz an die Bancroft Library in Berkeley, Kalifornien.
5 Reuben Louis Spaeth, Heinrich Lienhard in California, 1846–1850. Master’s Thesis, University of California, Berkeley 1933. Ein Exemplar dieser Arbeit ist in der Bancroft Library vorhanden.
6 Heinrich Lienhard, I knew Sutter. Translated from the Original German by Students of German at C. K. McClatchy Senior High School. Sacramento: The Nugget Press, 1939.
7 John Paul Von Grueningen (Hrsg.), The Swiss in the United States. Madison, Wisconsin: Swiss-American Historical Society 1940; Reprint: San Francisco: R and E Research Associates, 1970.
8 Erwin E. Gudde (1889–1969) war gebürtiger Deutscher, emigrierte als junger Mann in die USA und lehrte von 1923 bis 1956 Germanistik an der University of California in Berkeley.
9 Erwin G. Gudde, Review of Books, in: The Pacific Historical Review, XI, 2 (June 1942), 233.
10 Wilbur, Pioneer at Sutter’s Fort, 116–117; Manuskript 127/3–128/1.
11 Wilbur, Marguerite Eyer. John Sutter, Rascal and Adventurer (A New Romantic Biography). New York: Liveright Publishing Corp., 1949.
12 John A. Hawgood, John Augustus Sutter. A Reappraisal, in: Arizona and the West, IV, 4 (Winter 1962), 345, Anm. 2.
13Vom tragischen Schicksal der Donner-Gesellschaft wird weiter unten im Text ausführlicher die Rede sein (siehe Seite 250ff.).
14 Henry H. Clifford, Buchbesprechung, in: California Historical Society Quarterly, XLI (September 1962), 259f.
15 Abbott, New Worlds to Seek, 232, Anm. 24.
16 Manuskript 31/3/22; New Worlds to Seek, 139 und 236, Anm. 40.
Heinrich Lienhards Biografie 1822–1846
Kindheit und Jugend auf dem Ussbühl 1822–1843
Heinrich Lienhard wurde am 19. Februar 1822 in Bilten, Kanton Glarus, geboren. Er war ein Nachfahre Conrad Leonhardts1 von Urnäsch, der im 17. Jahrhundert aus dem Appenzellerland in die Linthebene gezogen war und sich am Ussbühl niedergelassen hatte, einem zu Bilten gehörenden Weiler. Heinrichs Eltern, Kaspar und Dorothea Lienhard-Becker,2 bewirtschafteten einen einfachen Bauernhof mit einigen Hektar Land und einem bescheidenen Viehbestand. Dorothea Lienhard gebar sieben Kinder, von denen drei im ersten Lebensjahr starben.3 Heinrichs Geschwister waren Peter, geboren 1812, Barbara (1819) und der jüngere Bruder Kaspar (1825).
Lienhards Geburtshaus steht in malerischer Lage hoch über dem Talgrund, nur ein paar Schritte von der Kantonsgrenze entfernt, die den Ussbühl in eine schwyzerische und eine glarnerische Hälfte trennt. Es ist noch heute in Familienbesitz und bietet seinen Bewohnern einen einzigartigen Blick von der March im Westen, über das weite Riedland der Linthebene im Norden bis zu den Vorläufern der Glarner Alpen im Osten. Hinter dem Haus ragt der bewaldete Nordhang des Hirzli in die Höhe, über den ein steiler Fussweg zum ehemaligen Bergland der Familie hinaufführt, wo Heinrich oft Vieh hütete und Holz sammelte. Auf alten Karten ist dort noch die Bezeichnung «Lienhard-Berg» (heute Hämmerliberg) zu finden, dem früheren Brauch entsprechend, eine Alpweide nach ihrem Besitzer zu nennen.
Obwohl seit seiner Jugend auf dem Ussbühl viele Jahre vergangen sind, blickt Heinrich Lienhard beim Schreiben ohne Verklärung auf jene Zeit in der alten Heimat zurück, wenn er gleich zu Beginn seiner Erinnerungen feststellt: «Meine Eltern waren brave und arbeitsame Bauersleute, welche uns, solange ich mich zu erinnern weiss, zu strenger Zucht und zur fleissigen Arbeit hilten.»4 Die unbeschwerten Kinderjahre waren von kurzer Dauer, denn der Vater setzte dem fröhlichen Kritzeln auf dem grossen Schiefertisch in der Wohnstube bald ein Ende. «Schon im sechsten Jahre musste ich Vieh hüten», erzählt Lienhard, «man band einer Kuh, welche im Sommer nicht auf die Alpen getrieben wurde, einen Strick um die Hörner, an diesem musste ich sie auf unserm Grundstück halten.»5 In den folgenden Jahren wurde der Viehbestand auf zehn bis fünfzehn Tiere vergrössert; der Hütedienst erstreckte sich nun im Frühling und Herbst jeweils über die ganze Woche, einschliesslich Sonntag, und er wurde auch schwieriger, besonders auf Wiesen, wo es weder Hecken noch Zäune noch Gräben gab.
So ist es nicht verwunderlich, dass ein kleines Drama während des Viehhütens zu Lienhards ersten und eindrücklichsten Kindheitserinnerungen gehörte. Es ereignete sich im Sommer auf dem Bergland, wo das Hüten besondere Aufmerksamkeit erforderte. Der Tag war schwül, die von Fliegen und Mücken geplagten Tiere wurden unruhig und versuchten, durch Gebüsche und Wald davonzulaufen. Heinrich war auf Geheiss seines älteren Bruders damit beschäftigt, Tannäste einzusammeln, als ein junger Ochse, der sich ein wenig von der Herde entfernt hatte, auf einer Felsplatte ausrutschte und in einen der steilen Lattenzüge fiel, eine