"Wenn Du absolut nach Amerika willst, so gehe in Gottesnamen!". Heinrich Lienhard


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Schuler freute sich über den Lerneifer des aufgeweckten Bauernbuben vom Ussbühl, und Heinrich fand beim Pfarrer die Anerkennung und Förderung, die sein Vater ihm nicht geben konnte.

      Die folgende Episode zeigt anschaulich, wie viel dem Heranwachsenden die Wertschätzung des Pfarrers bedeutete und wie bestrebt er war, sich diese zu erhalten. Eines Tages beobachtete Heinrich bei einer Schreibübung, dass einige Kameraden in der Reihe vor ihm eine kurze Abwesenheit des Pfarrers dazu benutzten, bei den vor ihnen sitzenden Mädchen abzuschreiben. Als der Pfarrer zurückkam, ging er durch die Bankreihen, korrigierte nacheinander alle Schiefertafeln und strich bei Heinrich sechzehn Fehler an. «Ich hatte allerdings viele erwartet», gesteht dieser, «aber doch soviele nicht, und im Bewusstsein, dass die Untern ihre Aufgaben gar nicht selbst gemacht hätten, machte ich anstatt der 16 nur 14 auf die Tafel, und zwar schnell und im selben Augenblick, als der Pfarrer dem Nächsten nach mir die Tafel abnahm. Als ich diese famose That begangen, zeigte ich die Tafel meinem nächsten Nachbar. Nun war aber auch seine Tafel schon kurigirt; er hatte einige Fehler weniger als ich, drei oder vier der Untern aber noch weniger.

      Als alle kurigirt waren, kam der Pfarrer wieder zu mir, um zu fragen, wie viele Schreibfehler ich habe (denn jetzt sollten die Schüler danach die Plätze wechseln), leider gab ich ihm nicht die Sechszehn, sondern nur Vierzehn an. ‹Das ist nicht die Wahrheit›, sagte er, ‹hast du nicht Sechszehn?› – ‹Ich habe Vierzehn, Herr Pfarrer!›, war meine Antwort, denn ich dachte, wenn einer 16 hat, muss er gewiss 14 haben und lügt daher nicht, wenn er so sagt. Aber ein Schlag auf mein Gesicht – es war der Erste und auch der Letzte, den er mir je gab – lehrte mich sogleich, dass der Pfarrer die Sache anders auffasste als ich. Ich war sehr ärgerlich, aber noch mehr beschämt, und bereute sogleich, diesen Betrug versucht zu haben. Doch sagte ich ihm noch, dass mehrere Nachbarn ihre Aufgabe gar nicht selbst gemacht und sie sowohl als ich Strafe verdient hätten; denn ich hatte sie noch lachen sehen und war nicht geneigt, still zu bleiben.»21

      Der Pfarrer liess sich dadurch aber nicht beeindrucken, denn er schien entschlossen, dem Knaben eine Lehre zu erteilen, die ihm das Lügen in der Zukunft verleiden würde. Nicht nur liess er die Mitschüler ungestraft, sondern er befahl Heinrich auch, sich an einem gut sichtbaren Ort hinzustellen und sich zu schämen. «Ich fühlte diese Demüthigung nur zu sehr», erinnert sich Lienhard, «auch war ich überzeugt, dass ich sie reichlich verdient habe, und ich nahm mir vor, in Zukunft durch gutes Betragen und tüchtiges Lernen den guten Willen des Pfarrers wieder zu gewinnen.»22 Den Mitschülern zeigte Heinrich seine Verachtung, indem er sich anderntags nicht, wie der Pfarrer es verlangte, neben die «Abschreiber» setzte, sondern freiwillig in die unterste Bank. Der Pfarrer schien ihm die kleine Eigenmächtigkeit nicht übel zu nehmen, sondern behandelte ihn, wie Heinrich erleichtert feststellte, sogar freundlich, «wodurch ich nur noch mehr in meinem Beschluss erstarkte, in Zukunft mir keine derartige Vergehen mehr zu schulden kommen zu lassen».23

      Er wusste, dass die beste Gelegenheit, das Vertrauen des Pfarrers zurückzugewinnen, der nächste Aufsatz sein würde. Aufsatzschreiben stand zwar erst in einigen Tagen auf dem Programm, aber möglicherweise bemerkte der Pfarrer die Ungeduld seines Schülers, und vielleicht war er ja auch selbst nicht ganz glücklich über die Ohrfeige vom Vortag – jedenfalls entschied er sich, sein Unterrichtsprogramm zu ändern. «Gegen mein Erwarten und zu meiner grossen Freude erhielten wir am selbigen Tage schon den Auftrag, auf den nächsten Tag Aufsätze zu schreiben, und er gab uns die Wörter auf, über welche wier schreiben sollten, die er dann wie gewöhnlich einigermassen auseinander setzte. Ich konnte meine Freude darüber kaum verbergen, und ich erinnere mich noch sehr wohl, wie mich der Pfarrer lächelnd ansah. Er mochte wohl wissen, was ich empfand, und ich glaube, dass ich das empfand, was er sich vorstellte. Mit besonderm Eifer gab ich mich meiner Aufgabe hin, um das Wort oder die Meinung und Bedeutung dessen womöglich recht und richtig zu erklären, auch gab ich mir Mühe, dass Dieselbe so Fehlerfrei als möglich ausfiel.

      Mit Begierde erwartete ich am nächsten Tag den Augenblick, wo er unsere Aufsatzschriften entgegen nahm, und konnte meine Ungeduld kaum mässigen, bis ich die Meinige, von ihm kurigirt und mit seinem geschriebenen Urtheilsspruch darunter, wieder zurück erhielt. Meine Erwartung war nicht nur nicht getäuscht, sondern übertroffen, denn es war das beste Urtheil, welches mir bis dahin zu Theil geworden. Und es war für mich eine besondere Genugthuung, auf diese art und so bald den ersten Platz wieder einzunehmen, und ich konnte ein kleines, frohlockisches Lächeln kaum verbergen, ja sogar der Pfarrer selbst schien mir dadurch ein wenig Vergnügt. Von nun an blieb ich oben, und ich führte mich so auf, dass ich keinen Grund mehr zur Unzufriedenheit gab.»24

      Pfarrer Schulers für damalige Zeiten fortschrittliche Ideen stiessen bei vielen Eltern auf Unmut und Ablehnung, so dass er sich zeitweise heftigem Widerstand ausgesetzt sah. Gerade das häufige Aufsatzschreiben entwickelte sich zu einem Stein des Anstosses bei der Dorfbevölkerung, denn «dabei sollen von den Kindern oft 10 bis 20 Seiten lange Aufsätze eingeliefert worden sein, manche bis spät in die Nacht hinein darüber gearbeitet haben. Hatte daran der Hr. Pfarrer seine Freude und spornte er durch Ruhmeserhebung der Fleissigen auch die Andern zu ähnlichen Leistungen an, so erschienen diese Hausaufgaben seinen Leuten von Bilten als etwas Unerhörtes, zu der Väter Zeiten nicht Dagewesenes, als eine all zu überspannte Forderung, und beschloss desshalb die Gemeinde 1835, dass alle und jede Aufsatzarbeit bei Hause untersagt sein solle und erneuerte dieses Verdikt auch 1837, 1839 und noch wieder 1853.»25

      Nicht viel besser erging es dem Pfarrer mit seinen Bemühungen, die persönlichen Talente der Schüler zu fördern. Heinrich war unter den Mitschülern als «Zeichenkünstler»26 bekannt, und auch dem Pfarrer war seine Begabung nicht lange verborgen geblieben. Er brachte ihm deshalb zuerst einfache, dann immer anspruchsvollere Vorlagen mit, die der Knabe nach Hause nehmen durfte, um sie abzuzeichnen und die verschiedenen Formen zu üben. Vom Lob des Pfarrers ermutigt, scheint Heinrich dabei jenen Eifer entwickelt zu haben, den sein Vater bei der Arbeit in Feld und Stall vermisste. Die Folgen waren hart für Heinrich: «Gerne wollte ich regnerische Tage zum Zeichnen benützen, aber da hiess es vom Vater: ‹Heraus mit dem faulen Kerl, ich will ihm schon zeichnen mitten im Tage, wenn man so viele nöthige Arbeit zu verrichten hat! Deine Zeichnerei bringt uns doch kein Brod ins Haus, ist auch für Bauersleute ganz unnütz.›

      Mein Vater war überhaupt der Ansicht, dass ein Bauer nebst Schreiben, Lesen und Rechnen sonst gar keine weitere Schulkenntnisse bedürfe. Unter diesen Umständen blieb mir daher keine Zeit zum Zeichnen ausser Abends, nach dem Abendessen, beim trüben Schein der Öllampe. Da mag Jeder, der es versucht hat, schon wissen, ob man dabei Vortschritte machen kann und ob dessen Augen eine solche Anstrengung auf längere Zeit aushalten können. Die meinigen entzündeten sich bald, und ich ward verbunden, das Zeichnen für eine Zeitlang ganz zu unterlassen. Unser Pfarrer meinte zwar, meine Eltern bewegen zu können, dass sie mich entweder zum Maler, Musterzeichner oder Bildhauer ausbilden lassen sollten, indem er sagte, dass es eine Sünde sei, ein solch gutes Talent nicht auszubilden, womit ich in Zukunft ein gutes Auskommen finden könnte. Doch war alles umsonst, und mein Vater war darin nicht zu bereden.»27

      Am Palmsonntag 1838 wurde Heinrich konfirmiert und damit aus der Schule entlassen. In Bilten gab es zu jener Zeit keine Möglichkeit, eine höhere Schule zu besuchen, und auswärtiger Schulbesuch kam nicht in Frage. Auch später noch merkt er dies mit Bedauern an: «Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie ich Jünglinge meines alters oft um ihr Glück beneidete, deren Eltern befähigt waren, sie auf höhere Lehranstalten zu schicken, und welche dann in den Ferienzeiten mit punten Farben um ihre Kapen oder farbigen Schlingen als sogenannte Studenten fröhlich nach ihren Heimathen zurück kehrten. Nach meines Vaters Wille sollte ich von nun an ganz Bauer werden, denn dass man mich nach meinem Geschmack, Willen oder Talent frage, fiel meinem Vater natürlich nicht ein. Das musste der Vater ja besser wissen als ich, so meinte er, und damit hatte ich mich zu fügen, mochten da meine Gedanken in die weite, liebe Welt hinaus schweifen, so viel sie wollten. Und wie oft schweiften meine Gedanken hinaus, besonders wenn ich oben auf dem Berg beschäftigt war! Die herrliche Aussicht über das weite Thal, in welchem unser Vaterhaus stand, die Berge, Tähler, Flüsse und Seeen von vier sich nahegrenzenden Cantonen, die prachtvolle Aussicht auf den Zürichsee mit seinen zahlreichen prächtigen Ortschaften! Dorthinunter, dorthinaus, war es mir immer, werde, ja müsse ich einst auch gehen. Doch


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