Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991. Urs Bircher
Zutreffend ist, daß Käte nicht aus Mitleid geheiratet sein wollte. Mit gutem Grund. Bereits am 29. August 1934 hatte ihr Max unmißverständlich erklärt, daß er für die Ehe nicht geschaffen sei: »Ich glaube an das Mysterium des Lebens, ich glaube an die Gewalt der Liebe und der Untreue, ich glaube an das schmerzlich Unberechenbare unseres Tuns … ich glaube an den Sinn, den wir nicht sehen können und den wir als Rätsel austragen müssen. Darum dünkt mich der größte Witz, den sich die Menschen erlauben: die bürgerliche Heirat, die wohl als Organisation der Masse, die ohne Eigenhaltung ist, ihre Notwendigkeit hat, aber die eine Überheblichkeit ohne Grenzen darstellt, indem die Unterzeichnenden die Welt und ihr unsagbares Vorhaben, das wir Schicksal heißen, einfach durchstreichen wollen …«124 Um so verwunderter – und verletzt – war Käte, als Frisch ihr acht Jahre später kommentarlos eine Heiratsanzeige schickte, auf der in gutbürgerlicher Manier die Eltern der Braut auf der einen, die Mutter des Bräutigams auf der anderen Seite sich beehrten, die Hochzeit ihrer Kinder anzuzeigen: die Hochzeit zwischen Max Frisch und Gertrude Constance von Meyenburg.
Mit der Manuskriptverbrennung schließt eine erste Arbeitsphase (1932 bis 1937). Aus den Briefen an Käte Rubensohn geht hervor, daß unter den verbrannten Manuskripten zwei weitgediehene Stückentwürfe waren, ferner ein Doppelgängerroman mit dem Titel Der Häßliche und der Heilige, ein fast fertiger Roman mit dem Titel Stern des Friedens (der möglicherweise identisch ist mit dem 1937 veröffentlichten Text Antwort aus der Stille) und eine fertige Erzählung Der Erneuerer. Wie muß dem jungen Mann zumute gewesen sein, als er, kurz nach der Absage an die Schriftstellerei, seinen ersten literarischen Preis erhielt: den mit 3000 Franken sehr gut dotierten Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis der Stadt Zürich?125
Fragen wir abschließend nach den Autoren, die Frisch in diesen frühen Jahren gelesen und für wichtig befunden hat, so verwundert es nicht, daß sein literarischer Geschmack durchaus seiner politischen Haltung entsprach. Exzentrische, experimentelle oder oppositionelle Literatur war ihm fremd. Seine Präferenzen galten konventionellen, bürgerlichen Schriftstellern. Abgesehen von den zahlreichen Neuerscheinungen, die er für die NZZ rezensierte – es handelte sich meist um zweitrangige Literatur –, las und schätzte er vor allen Albin Zollinger, Hermann Hesse, Max Mell, Heinrich Wackerl und Hans Carossa, dessen Kriegstagebuch sowie Führung und Geleit er mehrfach genau studierte. Von Wiechert schätzte er Die Majorin, Pagnols Komödien begeisterten ihn, doch seine »Bibel«, wie er es nannte, war Rilkes Malte Laurids Brigge. Von den älteren Autoren schätzte er besonders Gottfried Keller sowie den Don Quichote und Goethes Gespräche mit Eckermann. »Er las wenig, doch manche Bücher mehrfach, um deren Machart genau zu ergründen«, erinnerte sich Käte Rubensohn.126
Der Neubeginn des Schreibens
Als Frisch im Herbst/Winter 1939 wieder intensiv zu schreiben begann, hatte sich seine Situation gründlich verändert. »Das heimliche Gelübde, nicht mehr zu schreiben, wurde zwei Jahre lang nicht ernstlich verletzt; erst am Tag der Mobilmachung, da ich als Kanonier einrückte, überzeugt, daß uns der Krieg nicht erspart würde und daß wir kaum zurückkehren würden, wurde nochmals ein Tagebuch begonnen.«127
Angesichts der Todesgefahr bricht der Architekt sein Gelübde, um das Ende seiner Tage schreibend aufzubewahren. Auch diese Geschichte ist ein Stück weit Legende. Abgesehen davon, daß Frisch nach dem Gelübde mindestens vier weitere Zeitungsartikel mit durchaus literarischem Anspruch, darunter die fünfzehnseitige Jugenderinnerung Der erste Kuß, geschrieben hat, ersuchte er vermutlich im Herbst 1938, auf jeden Fall zu einer Zeit, als die Kriegsereignisse noch keinen Anlaß zum Bruch des »Gelübdes« boten, den eidgenössischen Fonds »zur Unterstützung arbeitsloser Künstler und Intellektueller« um Hilfe und bot dafür eine Novellensammlung an. Am 16. Januar 1939 wurde die Unterstützung gewährt, fünfhundert Franken sofort, weitere fünfhundert nach Ablieferung der druckfertigen Novellensammlung. Am 25. November 1939 bedankte sich Frisch für die ersten fünfhundert Franken und bedauerte, er könne die versprochenen Novellen nicht schicken. An ihrer Stelle kündigte er eine »neue und eben geschriebene Arbeit an: Es ist das Tagebuch eines Soldaten, eine Arbeit aus dem Grenzdienst … Ich danke … hoffe, daß Sie mir die zweite Hälfte möglichst bald zuweisen können, da ich sehr dringend darauf angewiesen bin«.128 Trotz »Gelübde« und »Schreibverbot« beschäftigte sich Frisch also weiterhin mit Schreiben – allerdings ohne den Druck des Broterwerbs und nur soweit das Architekturstudium ihm die Muße ließ.129 Aber mit der Wende 1936 hatte er sich, trotz gelegentlicher Inkonsequenzen, gegen ein Außenseiterdasein als Künstler entschieden. Es war daher nur folgerichtig, wenn er sich im nächsten Lebensabschnitt als guter Bürger unter Gutbürgerlichen etablierte.
»Wir sind Schweizer, leidenschaftlicher als je«
Stud. arch. Max Frisch als geistiger und militärischer Landesverteidiger (1936–1942)
In den Jahren von 1936 bis zum Kriegsausbruch am 1. September 1939 veränderte sich die politische Situation in Europa grundlegend: Von Estland bis nach Italien, von Spanien und Portugal bis nach Österreich, Polen und Rumänien etablierten sich autoritäre und faschistische Regime, deren Rückgrat die Achse zwischen Deutschland und Italien bildete. Der Abessinienkrieg, die Annexion Österreichs, der Einmarsch der Reichswehr im Rheinland, im Sudetenland, in Böhmen, Schlesien und Mähren – und im Fernen Osten der Einfall Japans in China –, überall wurde der aggressive und imperialistische Zug der neuen Politik offenkundig. Auch der Stalin-Hitler-Pakt – formell ein Nichtangriffspakt – entpuppte sich bald als ein Instrument für weitere Aggressionen.
Die Schweiz rüstet zum Krieg
Die Schweizer Regierung, der Bundesrat, steuerte das offiziell neutrale Schiff mit deutschfreundlicher Schlagseite durch die Turbulenzen der Zeit. Um nur zwei Beispiele aus diesen Jahren zu nennen: Während die Landesregierung durch Bundesrat Motta dem deutschen Gesandten zur »Rückholung« Österreichs gratulierte, verbot sie mit massiven Strafen selbst einfache Geldsammlungen zugunsten der spanischen Republikaner. Auch in der Judenfrage waren die Präferenzen des Bundesrats eindeutig: Obschon er über die Judenverfolgungen in Deutschland informiert war, anerkannte er Juden nicht als asylberechtigte Flüchtlinge. Auf Schweizer Vorschlag erhielten deutsche und österreichische Juden ein »J« in den Paß gestempelt, um sie an der Grenze erkennen und zurückweisen zu können.
Politisch, wirtschaftlich, militärisch und geistig rüstete die Bundesregierung das Land seit 1936 zum absehbaren Krieg. Innenpolitisch betrieb sie eine Integration nach rechts. Seit 1929 war die konservative Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (bgb) Mitglied der Regierungskoalition. Die Sozialdemokratie rückte von ihren Klassenkampfpositionen ab und sprach sich 1937 für die militärische Landesverteidigung aus. Im selben Jahr schloß der Schweizer Gewerkschaftsbund mit dem Unternehmerverband ein Stillhalteabkommen, den »Burgfrieden«. Gleichzeitig traten Repressionen gegen links und rechts in Kraft: 1937 wurden alle kommunistischen Organisationen verboten, 1938 die Fronten. Durch die Rechtsintegration hatten die letzteren ihre Bedeutung ohnehin weitgehend verloren130 . Die Mehrheit der Bevölkerung folgte diesem Kurs. 1936 wurde eine Rüstungsanleihe mehrfach überzeichnet. Auch Frisch beteiligte sich daran.
Die Außenpolitik der Schweiz paßte sich zunehmend dem Druck der faschistischen Nachbarn an131 . Ein Netz von Handels- und Finanzabkommen mit den Achsenmächten sollte die künftige ökonomische Stellung der Schweiz absichern. 1939 ließ sich die Schweiz mit der Begründung, die »integrale Neutralität« wieder herzustellen, von ihrer Verpflichtung, die Boykottmaßnahmen des Völkerbunds gegen die faschistischen Aggressoren mitzutragen, entbinden.
Es wäre allerdings falsch, Annäherung und Rechtsintegration als eine schleichende Angliederung der Schweiz ans Deutsche Reich zu interpretieren. Im Gegenteil: Die Anpassung sollte ihre Unabhängigkeit erhalten und die Isolierung und Einverleibung verhindern. Eine geradezu mystisch verstandene Unabhängigkeitsmaxime leitete diese Politik. Dabei entstand ein klassisches Paradox: Um die freiheitliche Demokratie vor dem faschistischen Totalitarismus zu schützen, deformierte sich die Schweiz zunehmend selbst zu einem Regime mit totalitären Zügen. Um fremde faschistische Strukturen abzuwehren, schuf sie eigene autoritäre Formen.
»Geistige