Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie. Erich Auerbach

Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie - Erich Auerbach


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Temperamenten und in ihrer Vorgeschichte zu finden sein mögen. Davon wußte der Verfasser nichts; das wenige, was bei Ursinus noch durchschimmerte, interessierte ihn nicht. Leodegar ist gut und folgt Gott, Ebroin ist böse und hat sich dem Teufel verschrieben; das genügt ihm. Selbst wirksame und dramatische Auftritte, wie bei Ursinus das Auftreten Leodegars und seines Bruders beim Verhör (cap. X, XI), läßt er fort, wenn es umständlich ist, sie zu begründen und einzufügen. Was er übrig läßt, ist das exemplarische Bild des Märtyrers, und das ist sehr ausdrucksvoll. Das Wichtigste dabei ist die teuflische Marter, die Blendung und Verstümmelung von Zunge und Lippen, mit der Gegenbewegung der göttlichen Gnade; sie macht den Märtyrer innerlich unberührbar, schon bevor das Wunder der Wiedererlangung der Redegabe geschieht. Das ist zu einiger Wirkung gebracht, und hier finden sich sogar Redefiguren. Sie stehen zwar ähnlich schon bei Ursinus, aber besitzen im Lateinischen nicht die gleiche Stoßkraft. Es ist überraschend, wie früh in den uns erhaltenen Dokumenten romanischer Sprache anaphorisch-antithetische IsokolaIsokolon erscheinen. (Sie finden sich auch in der Passion Christi der gleichen Handschrift.) Wenn Ebroin dem Leodegar Zunge und Lippen hat durchschneiden lassen, da ruft er triumphierend:7

      Hor a perdud don deu parlier;

      Ja non podra mais Deu laudier.

      Darauf fährt das Gedicht fort:8

      Sed il non ad lingu’ a parlier,

      Deus exaudis lis sos pensaez;

      Er si el non ad ols carnels,

      En cor los ad espiritiels;

      Et si en corps a grand torment,

      L’anima·n awra consolament.

      Der Verfasser dieser kunstvollen Strophe hat nicht nur die Abfolge der Ereignisse sehr vereinfacht, sondern auch die Lehre, die er verbreiten will, auf eine sehr einfache Form reduziert. Sie ist darum nicht weniger wirksam. Von der vielverschlungenen Dogmatik und Typologie der gleichzeitigen lateinischen HymnendichtungHymne erscheint nichts. Nur ein Grundmotiv ist zum Ausdruck gebracht, der Sieg des leidenden Märtyrers, die gloria passionis. Die teuflische Absicht, durch Verstümmelung von Zunge und Lippen Leodegar am Preise Gottes zu verhindern, und so auf eine gewaltsame, gleichsam mechanische Weise das Reich Gottes einer Seele zu berauben, wird durch den Sieg des Geistes zunichte gemacht. Der Triumph des Märtyrers ist der Sieg des Geistes im Leiden. Obwohl es die Gnade Gottes ist, die ihm Kraft gibt zu siegen, so erweist er sich doch, durch den inneren Sieg, würdig der äußeren Wunder, die an ihm und durch ihn geschehen. Es ist also in dem einfachen und etwas rohen Vorgang alles enthalten, was gelehrt werden sollte; und wenn die Hörer gewiß nicht oft fähig waren, den ganzen Zusammenhang der Lehre zu durchdenken, so wurden sie doch, in der Aufnahme des Vorgangs, von ihr erfüllt.

      Über das Persönliche in der Wirkung des heiligen Franz von Assisi (1927)Franz v. Assisi

      Facta est proinde in eo et per eum

      insperata exsultatio … 1. CEL. 89

      GörresGörres, J. v. hat vor nunmehr hundert Jahren Franziskus den Troubadour gefeiert, und seit ThodeThode, H. und SabatierSabatier, P. ist es allgemein geworden, in diesem ganz unliterarischen und anspruchslosen Heiligen einen Schöpfer des komplizierten Gebildes der RenaissanceRenaissance, einen Urahn modernen Empfindens zu sehn. Als repräsentativ, wenn auch in engerem Sinne, haben ihn schon die Zeitgenossen betrachtet, und es ist merkwürdig genug, wie ihn SalimbeneSalimbene dem EzzelinEzzelin gegenüberstellt, dem Vikar Kaiser Friedrichs II.,Friedrich II. (Kaiser) den Jakob BurckhardtBurckhardt, J. als das Vorbild seiner antikischen Renaissancetyrannen ansah – credo certissime, sagt Salimbene, quod sicut Deus voluit habere unum specialem amicum quem similem sibi faceret, scilicet beatum Franciscum, sic diabolus Ycilinum.1 Es spricht ein inneres Gefühl für die Wahrheit der Auffassung, daß der Heilige weit über den Rahmen des Kirchlichen hinaus auf die Nachfolgenden gewirkt hat, allein Nachweis und Formulierung sind schwer, sobald man über das leicht greifbare Kunsthistorische hinaus die Gesinnung aufspüren will, die unsere Bildung ihm verdankt. In den Sätzen, die man häufig hört und liest – er habe ein unmittelbares, dichterisches, nicht mehr allegorisches Naturgefühl besessen – oder er sei, als Gottsucher auf eigene Faust, den Vorläufern der Reformation zuzurechnen – oder er habe zuerst das Recht der Armen verteidigt – in diesen Sätzen liegt wohl etwas Wahres verborgen, aber sehr verborgen, und darüber spreizt sich eine moderne, romantisierende Gefühlsschablone. Es ist überhaupt hier nichts anzufangen, wenn man unmittelbar auf Ideengeschichte oder Literaturentwicklung aus ist. Eine rational zu erfassende, irgendwie systematische geistige Gesinnung hat der Heilige nicht besessen. Er war weder ein eschatologischer Schriftausdeuternoch ein theoretischer Schulmeister des irdischen Daseins, und darin gerade lag seine Kraft. Schon die Spiritualen haben den ungeheuren Irrtum begangen, sich an das Wort zu klammern, und über dem Kampf um den usus pauper und die Besitzlosigkeit Christi das Hauptgebot: sint minores et subditi omnibus zu vergessen. Noch heute begeht eine analytisch gerichtete Zeit oft einen ähnlichen Irrtum; wenn sie diesen einmaligen Menschen einem geistesgeschichtlichen Schema einordnen will, in das vielleicht manches seiner Worte, aber nicht ihr Geist hineinpaßt.

      Sint minores et subditi omnibus – das ist die ganze Lehre. Sancta obedientia, so heißt es in den Laudes de virtutibus, und SabatierSabatier, P. hat die schöne Stelle einmal zum Gipfelpunkt seiner Darstellung gemacht2 – sancta obedientia facit hominem subditum omnibus hominibus hujus mundi et non tantum hominibus, sed etiam bestiis et feris, ut possint facere de eo quidquid voluerunt, quantum fuerit eis datum desuper a Domino. Geht in die Welt, doch wie Fremde und Pilger; nichts darf darin euer sein – dient und predigt Buße, doch widersteht nicht dem Bösen – der heilige Franz persönlich hat die Unterordnung und demütige Selbstverachtung bis zu einem fast absurden Grade gesteigert, indem er sich bemühte, den eigenen Willen, die eigene Meinung, das Selbstgefühl zu unterdrücken und zu verdammen, und das Gleichnis vom Kadavergehorsam findet sich wohl zuerst bei ihm.3 In diesen Eigenschaften liegt sein eigentlichstes Wesen, und von hier führt kein unmittelbarer, rationaler Weg zu der, wie auch sonst immer, so doch stets aufs Persönliche und mindestens vorläufig aufs Irdische gerichteten Bewegung des erwachenden neuzeitlichen Geistes. Kein Wort von ihm ist überliefert, soviel ich weiß, das prinzipiell Stellung nähme zu den menschlichen Einrichtungen, zu der Welt der ϑέσις, und ohne Zweifel ist ihm der Gedanke, sie zu kritisieren, die Vorstellung, es könne ihre Besserung oder Beherrschung von Bedeutung sein für den Weg des Heils, niemals gekommen; für ihn gab es einen unmittelbaren Weg von einer jeden Seele zu Gott, und welche irdische Gewalt wäre wohl imstande, die Befolgung des sint minores et subditi omnibus zu hindern? Vollkommenste Unterordnung war selbstverständlich auch seine Haltung gegenüber der Kirche, und wie sehr ihm die Institution als solche heilig war, ergibt sich aus der immer wiederholten Mahnung, auch in dem sündigen und unwürdigen Priester das göttliche Amt zu verehren – noch drastischer vielleicht aus seinen Worten bei Cel. 2, 201: wenn er zugleich einem vom Himmel kommenden Heiligen und irgendeinem armen Priester begegnete, so würde er zuerst diesem die Hände küssen; dicerem enim: Oi! Exspecta, sancte Laurenti, quia manus huius Verbum vitae contrectant … Der heilige LaurentiusLaurentius, hl. war nämlich nur Diakon.

      In dem gedanklichen Grunde seiner Lehre, wenn man von einem solchen sprechen darf, liegt also gewiß nicht die Ursache seiner geistigen Wirkung – um so weniger als es kurz vor ihm und gleichzeitig Bußprediger genug gab, die die vollkommene Armut zur Regel erhoben; ja sie hatten sogar vielfach, im Gegensatz zu ihm, eine Art geistigen Systems, ein weltverbesserndes Programm, wodurch sie freilich bald in Konflikt mit der Umwelt gerieten und den ursprünglichen Impuls in Zank und Geschwätz vertaten. Der heilige Franz war zuerst einer von vielen – aber er handelte im Gegensatz zu jenen vielen ausschließlich aus dem ungeheuren, nur religiösen, nur gefühlsmäßigen, ganz einfachen Antrieb, den ihm das eigene böse Leben, der Anblick der Aussätzigen und die Betrachtung des Opfertodes Christi gegeben hatten; und die Besonderheit seiner Gründung liegt in ihrem anspruchslosen Verzicht auf alles Irdisch-Programmatische, auf alles Maßregelhafte. Die irdische Wirksamkeit, soweit sie nicht unmittelbar auf die Nachfolge Christi hinausläuft, hat er nicht geachtet, und selbst ihre reinste Form, das Streben nach Weisheit, hat er mit ein paar unvergeßlich festsitzenden Worten von sich gewiesen: wenn du alle Wissenschaft besäßest,


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