.
Generell erkennen die Auszubildenden die Bedeutung des Lesens im Berufsleben, jedoch wird im Betrieb primär mündlich kommuniziert. Zur Bewältigung beruflicher Anforderungen muss nur selten gelesen werden. Bei der Frage nach relevantem Textmaterial werden in erster Linie Zeichnungen genannt.
Die Lesemotivation wird nicht durch den Schulabschluss bestimmt, sondern ist davon abhängig, ob der Auszubildende die Bedeutung des Lesens für seine Arbeit und berufliche Entwicklung im Betrieb erkennt. Um Lesekompetenz zu stärken, sollte den Auszubildenden also zunächst vermittelt werden, welche Bedeutung das Lesen für ihre zukünftige berufliche Entwicklung haben kann. Im Betrieb können Auszubildende in Leseanlässe einbezogen werden, die sonst eher von Fach- und Führungskräften erledigt werden. In der Berufsschule sollten zur Förderung der Lesekompetenz fachlich relevant erscheinende Texte ausgewählt werden. Aufgrund der größeren Beliebtheit beruflicher Fächer könnte es von Vorteil sein, Leseaktivitäten verstärkt in diesen Fächern zu verorten.
5. Auf die Professionalisierung pädagogischen Personals für berufliche Schulen bezogene Arbeiten
Wie von Seiten der Akteure der Lehrerbildung auf die beobachtbare Diskrepanz zwischen sprachlichen Anforderungen auf der einen Seite und den Kompetenzen der Ausbildungsplatzbewerberinnen und Ausbildungsplatzbewerber auf der anderen Seite reagiert werden könnte, untersuchen die in diesen Kapitel vorgestellten Studien.
Happ et al. (2016) untersuchen die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen im Verlauf des Studiums sowie den Einfluss des Faktors „Sprache“ auf die Entwicklung des Fachwissens im Studienverlauf bei angehenden Lehrkräften für den kaufmännisch-verwaltenden Bereich.
Hierbei greifen sie auf durch das BMBF-Projekt ILLEV erhobene Daten zurück. Im Rahmen des Projektes wurde in einem längsschnittlichen Design an vier über drei Jahre verteilten Terminen die verbale Intelligenz von Lehramtsstudenten im kaufmännisch-verwaltenden Bereich erfasst. Getestet wurde diese mithilfe der Analogien aus dem Intelligenz-Struktur-Test (Liepmann et al. 2007). Das Fachwissen der Studierenden wurde mit Aufgaben aus dem Wirtschaftswissenschaftlichen Bildungstests (WBT) (Beck et al. 1998) sowie einer Kurzversion des Business Administration Knowledge Tests (BAKT) (Bothe et al. 2006) getestet. Außerdem wurde die Muttersprache der Probanden erfasst.
Insgesamt wurden 3.571 Beobachtungen ausgewertet, wobei einschränkend erwähnt werden muss, dass die Stichprobe nicht nur aus Studierenden der Wirtschaftspädagogik, sondern zu einem Anteil auch aus Studenten der Wirtschaftswissenschaften ohne Lehramtsoption bestand.
Happ et al. (2016) stellen fest, dass es sich bei der verbalen Intelligenz um ein konstantes Persönlichkeitsmerkmal handelt, das sich im Verlauf des Studiums nicht verändert. Sie sehen außerdem einen Zusammenhang zwischen sprachlichen Defiziten und Rückständen im Bereich Fachwissen. Probanden mit schlechteren sprachlichen Eingangsvoraussetzungen konnten ihre sprachlichen Defizite oder deren Einfluss auf die Wissensentwicklung im Laufe des Studiums nicht ausgleichen.
Bethscheider et al. (2016) gehen der Frage nach, wie betriebliche Ausbilder und Ausbilderinnen für den Umgang mit Auszubildenden mit sprachlich-kommunikativem Förderbedarf sensibilisiert und qualifiziert werden können.
Um Situationen zu identifizieren, in denen sprachliche Schwierigkeiten von Auszubildenden und ihr Umgang mit diesen die Vermittlung beruflicher Handlungskompetenzen beeinträchtigen, wurden zunächst 12 leitfadengestützte Interviews mit Ausbildern und Ausbilderinnen aus Betrieben unterschiedlicher Branchen und Größe sowie mit Personal aus Förderprojekten durchgeführt. Dabei wurden insbesondere Berufe ausgewählt, die einen deutlichen Anteil an mündlicher Kommunikation aufweisen.
In den Interviews stellen die Ausbilder und Ausbilderinnen vor allem fest, dass das Sprachrepertoire der Auszubildenden dahingehend eingeschränkt ist, dass diese nicht in der Lage sind, zwischen unterschiedlichen sprachlichen Registern zu wählen, sich also wenig differenziert und umgangssprachlich ausdrücken. Dies erschwert vor allem den Kundenkontakt, kann aber auch betriebsintern Kommunikationsschwierigkeiten nach sich ziehen, wenn zum Beispiel der Gebrauch von Jugendsprache die Verständigung mit den älteren Ausbildern und Ausbilderinnen erschwert. Sprachlichen Schwierigkeiten selbst begegnet man unterstützend, solange sie nicht mit fehlendem Problembewusstsein und Vermeidungsverhalten einhergehen. Es wird dabei wenig danach differenziert, ob die/der jeweilige Auszubildende Deutsch als Erst- oder als Zweitsprache erlernt hat.
6. Reflexion der vorgestellten Studien hinsichtlich der Aufgaben der Berufs- und Wirtschaftspädagogik
Die vorgestellten Studien geben einen Einblick in die Vielfalt der Fragestellungen, die von Berufs- und Wirtschaftspädagogen hinsichtlich der Sprache und Kommunikation in der beruflichen Bildung bearbeitet werden. Die Erkenntnisse und Ergebnisse können für die Professionalisierung des zukünftigen pädagogischen Personals nutzbar gemacht werden. Überlegungen dazu sollen den vorliegenden Text beenden.
Studierende sollten während ihres Professionalisierungsprozesses umfassendes Wissen zu wissenschaftlichen Methoden aufbauen. Damit könnten fehlerhafte Aussagen, Interpretationen und Schlussfolgerungen identifiziert und hinsichtlich der eigenen Lehraktivitäten korrigiert werden. Z.B. würde so die Idee der Mindestanforderung des Ausbildungsreifekonzeptes bereits auf der Basis von Alltagsbeobachtungen kritisch hinterfragt werden können. Eine Verwechselung von Befragungen und empirisch beobachtbaren Fakten würde vermieden. Schülerinnen und Schüler würden bzgl. ihres beruflichen Werdegangs besser beraten werden können.
Lehrerprofessionalisierung wird kaum in der Breite auf Migrantensprachen eingehen können. Dafür gibt es zu viele Sprachen und das Beherrschen auch nur einer weiteren Sprache stellt viele Lehramtsstudierende vor große Herausforderungen. Im Professionalisierungsprozess könnte aber auf eine Sprachsensibilisierung mehr Wert gelegt werden. Dies würde schon für deutsche Schülerinnen und Schüler hilfreich sein, um fachliche Defizite ggf. auf sprachliche Defizite zurückführen zu können. Es könnte dann auch gezielter auf die sprachlichen Anforderungen von Abschlussprüfungen vorbereitet werden. Zudem würden sprachliche Barrieren ggf. gar nicht erst entstehen.
Studierende sollten in deutlich stärkerem Maße die Chance erhalten, Diversität zu erfahren. Dies gelingt vor allem durch längere Auslandsaufenthalte. So würden nicht nur zweit- und drittsprachliche Kompetenzen aufgebaut, sondern vor allem auch Offenheit und Akzeptanz gegenüber Diversität, auch sprachlicher Diversität, entstehen.
Da kommunikative Kompetenz für die Dauer eines Ausbildungsabschnittes als kaum bis gar nicht veränderbar angesehen werden kann, gleichzeitig aber umfangreiche fachliche Entwicklungen angestrebt werden, muss die Professionalisierung von pädagogischem Personal das Ziel haben, Kompetenzen zur Entwicklung sprachsensibler Lehr- Lernmaterialien und -arrangements aufzubauen.
Literatur
Artelt, Cordula/Naumann, J./Schneider, Wolfgang (2010). Lesemotivation und Lernstrategien. In: Klieme, Eckhard et al. (Hrsg.). PISA 2009. Bilanz nach einem Jahrzehnt. Münster: Waxmann, 73–112.
Baumann, Katharina (2014). "Man muss schon ein bisschen mit dem Schreiben zurechtkommen!". Eine Studie zu den Schreibfähigkeiten von Auszubildenden im unteren beruflichen Ausbildungssegment im Kontext von Ausbildungsreife. Paderborn: Eusl-Verl.-Ges.
Beck, Klaus/Krumm, Volker/Dubs, Rolf (1998). Wirtschaftskundlicher Bildungs-Test. (WBT). Göttingen [u.a.]: Hogrefe, Verl. für Psychologie.
Bethscheider, Monika/Käferlein, Anna/Kimmelmann, Nicole (2016). Sprachlich-kommunikative Schwierigkeiten in der betrieblichen Ausbildung. In: Siemon, Jens et al. (Hrsg.). Beruf und Sprache. Anforderungen, Kompetenzen und Förderung. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 165–182.
Birnbaum, Theresa/Dippold-Schenk, Katja/Hirsch, Désirée (2016). Unterrichtliches Schreiben in der beruflichen Qualifizierung. Methodologisches Vorgehen in der Bedarfserhebung und ausgewählte Ergebnisse des Verbundprojektes SpraSiBeQ1. In: Siemon, Jens et al. (Hrsg.). Beruf und Sprache. Anforderungen, Kompetenzen und Förderung. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 101–122.
Bothe,