PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Fremder: Daß wir sagen, die Natur erzeuge dies kraft einer von selbst gedankenlos wirkenden Ursache? Oder mit Vernunft und göttlicher von Gott kommender Erkenntnis?
Theaitetos: Ich zwar wende mich sonst oft, vielleicht meiner Jugend wegen, von einer dieser Vorstellungen zur andern, nun ich aber auf dich sehe und vermute du glaubest daß dies auf eine göttliche Art entstehe, nehme auch ich dasselbige an.
Fremder: Sehr gut, o Theaitetos, und gewiß wenn wir dich für einen von denen hielten, die in Zukunft anders denken werden, so würden wir jetzt gleich unternehmen in unserer Rede durch dringende Beweise dich zur Einstimmung zu bringen. Da ich aber deine Natur dafür ansehe, daß sie auch ohne unsere Reden selbst sich dahin neigt, wohin du jetzt gezogen zu werden bekennest, so lasse ich es; denn die Zeit wäre verschwendet. Sondern ich setze fest, was man der Natur zuschreibt das werde durch göttliche Kunst hervorgebracht, was aber hieraus bestehend von Menschen, durch menschliche, und nach dieser Erklärung also zwei Arten der hervorbringenden Kunst, die eine menschlich, die andere göttlich.
Theaitetos: Richtig.
Fremder: Schneide nun von diesen zweien jede wiederum in zwei Teile.
Theaitetos: Wie das?
Fremder: Wie wenn du damals die gesamte Hervorbringung (266) hättest der Länge nach zerschnitten, und du zerschnittest sie nun der Breite nach.
Theaitetos: So sei sie denn zerschnitten.
Fremder: Vier Teile derselben entstehen also hieraus überhaupt, zwei menschliche bei uns, zwei göttliche bei den Göttern.
Theaitetos: Ja.
Fremder: Von dieser anderweitigen Einteilung ist das eine Glied für jeden der beiden vorigen Teile die eigentlich hervorbringende, die beiden übrig bleibenden aber könnten am füglichsten die nachbildenden heißen, und auf diese Weise ist wiederum die gesamte hervorbringende Kunst in zwei Teile geteilt.
Theaitetos: Sage nur noch wie eigentlich jede.
Fremder: Wir und die andern Tiere und woraus alles wachsende besteht, Feuer und Wasser und was hierhin gehört, sind wie wir wissen insgesamt Erzeugnisse Gottes, und jedes das hervorgebrachte selbst. Oder wie?
Theaitetos: Nicht anders.
Fremder: Jegliches von diesen nun begleiten Bilder, welche nicht die Sache selbst sind, aber auch durch göttliche Veranstaltung entstanden.
Theaitetos: Was für welche?
Fremder: Die in den Träumen und auch was wir bei Tage natürlichen Schein nennen, wie der Schatten wenn in das helle Finsternis eintritt, und der Doppelschein, wenn an glänzenden und glatten Dingen eigentümliches Licht und fremdes zusammenkommend ein Bild hervorbringen, welches einen dem vorigen gewohnten Anblick entgegengesetzten Sinneseindruck gibt.
Theaitetos: Dies also seien die zweierlei Werke göttlicher Hervorbringung, die Sache selbst und das eine jede begleitende Bild.
Fremder: Und unsere Kunst, werden wir nicht sagen, daß sie das Haus selbst durch die Baukunst hervorbringt, durch die Zeichenkunst aber noch ein anderes gleichsam als einen menschlichen Traum für Wachende verfertigtes?
Theaitetos: Ganz gewiß.
Fremder: Und werden wir nicht so auch in allem andern zweierlei als zwiefache Werke unserer hervorbringenden Kunst anführen, eins, die Sache selbst durch die eigentlich hervorbringende, dann das Bild durch die nachbildende.
Theaitetos: Nun habe ich es besser verstanden, und setze auf zwiefache Weise zwei Arten der hervorbringenden Kunst, eine göttliche und eine menschliche nach der einen Teilung, und nach der andern eine durch welche die Sachen selbst, und eine durch welche etwas denselben Ähnliches entsteht.
Fremder: Von der bildnerischen nun wollen wir uns erinnern, daß eine Art sich mit den Ebenbildern, die andere mit den Trugbildern beschäftigen sollte, wenn nämlich das Falsche als wirklich falsch seiend, und als auch ein seiendes von Natur sich zeigen würde.
Theaitetos: So war es.
Fremder: Nun hat es sich aber gezeigt, weshalb wir denn jetzt ohne Streit jene zwei Arten aufzählen.
Theaitetos: Ja.
Fremder: In der trugbildnerischen nun machen wir wieder zwei Abteilungen.
Theaitetos: Wie so?
(267) Fremder: Die eine gebraucht Werkzeuge, in der andern gibt sich wer das Trugbild macht selbst zum Werkzeuge her.
Theaitetos: Wie meinst du das?
Fremder: Wenn jemand, meine ich, seines eigenen Leibes sich bedienend deine Gestalt oder deine Stimme mittelst der seinigen ganz ähnlich erscheinen macht, so heißt dieser Teil der Trugbildnerei gewöhnlich die Nachahmung.
Theaitetos: Ja.
Fremder: Dieses also wollen wir von dem Ganzen abteilen, und die nachahmende Kunst nennen, das übrige aber übergehen, um es uns bequem zu machen, einem Andern überlassend es in eins zusammenzufassen und ihm einen schicklichen Namen beizulegen.
Theaitetos: So sei dieses abgeteilt, das andere losgelassen.
Fremder: Auch dieses aber, o Theaitetos, lohnt uns noch als zwiefach anzusehen. Sieh zu weshalb.
Theaitetos: Sage nur.
Fremder: Die Nachahmenden tun dieses teils kennend was sie nachahmen, teils ohne es zu kennen. Und was für einen größeren Unterschied könnte man wohl setzen als zwischen Unkenntnis und Kenntnis?
Theaitetos: Keinen gewiß.
Fremder: Das eben angeführte nun war Nachahmung eines Wissenden. Denn nur wer deine Gestalt und dich kennt kann sie nachahmen.
Theaitetos: Unbedenklich.
Fremder: Wie aber die Gestalt der Gerechtigkeit und der gesamten Tugend überhaupt? Gibt es nicht gar Viele, die sie eigentlich nicht kennen, sondern sich nur ohngefähr vorstellen, sich aber gar sehr darauf legen, das was sie dafür halten als ihnen einwohnend erscheinen zu machen, indem sie es soviel nur irgend möglich in Handlungen und Reden nachahmen?
Theaitetos: Gar sehr Viele.
Fremder: Und verfehlen etwan Alle dieses, gerecht zu scheinen da sie es doch keinesweges sind? oder nicht vielmehr ganz das Gegenteil?
Theaitetos: Ganz und gar.
Fremder: Diesen Nachahmer also werden wir doch für verschieden erklären müssen von jenem, von dem wissenden diesen nichtwissenden.
Theaitetos: Ja.
Fremder: Woher nimmt man also für jeden von ihnen einen schicklichen Namen? oder ist das nicht offenbar schwer, deshalb weil in Absicht der Teilung der Gattungen in Arten die Früheren einen alten unbewußten Grund hatten, so daß keiner eine solche Einteilung auch nur versuchte, weshalb ich denn mit den Namen notwendig nicht gar leicht daran bin. Dennoch wenn es auch kühner gesprochen sein sollte, wollen wir der Unterscheidung wegen jene von einer bloßen Vorstellung ausgehende Nachahmung die Dünkelnachahmung nennen, die aber von der Erkenntnis, die kundige Nachahmung.
Theaitetos: So sei es.
Fremder: Mit jener haben wir es also zu tun. Denn unter den Wissenden war der Sophist nicht, wohl aber unter den Nachahmenden.
Theaitetos: