Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
Für den Rücktritt des Einzeltäters (§ 24 Abs. 1 StGB) gilt Folgendes: Für den Fall, dass es für die Tatvollendung (aus Tätersicht) noch ein Zutun des Täters braucht, genügt es für den Rücktritt, wenn der Täter die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgibt (sog. unbeendeter Versuch, § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB). Braucht es hingegen für die Tatvollendung (aus Tätersicht) kein Zutun des Täters mehr, dann muss der Täter zur Erlangung der Straffreiheit freiwillig die Vollendung der Tat verhindern (beendeter Versuch, § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB) oder, wenn die Tat unabhängig vom Täter verhindert wird, sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemüht haben, die Tatvollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 S. 2 StGB).
55
Für den Rücktritt mehrerer Beteiligter (§ 24 Abs. 2 StGB), also Mittäter oder Teilnehmer, gilt Folgendes: Straffreiheit kann erlangt werden, wenn die Vollendung der Tat freiwillig verhindert wird (§ 24 Abs. 2 S. 1 StGB), oder, wenn die Tat ohne das Zutun des Beteiligten nicht vollendet oder unabhängig von seinen Tatbeiträgen begangen wird, durch das freiwillige und ernsthafte Bemühen, die Tatvollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 2 S. 2 StGB).
56
Das Steuerstrafrecht enthält darüber hinaus mit der strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 371 eine zusätzlich anwendbare Sonderregelung[98], die unter bestimmten Voraussetzungen auch noch nach Vollendung und Beendigung der Tat Straffreiheit ermöglicht (Rn. 116; sowie allg. § 371 Rn. 1 ff.).
(3) Vollendung und Beendigung der Tat
57
(a) Vollendung der Tat: Der Zeitpunkt der Vollendung der Tat markiert die Grenze zum Versuch der Tat (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 22 StGB, Rn. 49 ff.), der nicht zwingend strafbar ist (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 StGB, s. Rn. 49) und stets milder bestraft werden kann (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 2 StGB).
58
Die Tat ist vollendet durch den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, was für jede Steuerstraftat (einschließlich Begehungsform: Tun/Unterlassen) und jede Steuerart gesondert zu bestimmen ist (z.B. § 370 Rn. 184 ff.).
59
Bei § 370 etwa ist Taterfolg die Bewirkung einer Steuerverkürzung oder die Erlangung eines ungerechtfertigten Steuervorteils. Verkürzt sind hier Steuern, wenn sie nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig festgesetzt worden sind (§ 370 Abs. 4). Die nicht notwendige endgültige Steuerfestsetzung (vgl. § 370 Abs. 4 S. 1) richtet sich nach der Steuerart und kann insb. Anmeldungssteuer oder Veranlagungssteuer sein.
60
Bei der Veranlagungssteuer erfolgt die Steuerfestsetzung regelmäßig durch Steuerbescheid (§§ 155, 157), z.B. bei der Einkommensteuer oder der Gewerbesteuer. Wirksam wird der Steuerbescheid durch Bekanntgabe (§ 124), die auch die Tatvollendung bewirkt.[99] Dies gilt auch dann, wenn trotz bestehender Pflichten keine Steuererklärung abgegeben wird und ein Schätzungsbescheid ergeht.[100]
61
Bei der Anmeldungssteuer erfolgt die Steuerfestsetzung nicht durch behördlichen Bescheid, sondern durch Steueranmeldung (§ 150) des StPfl. selbst (z.B. bei der Umsatzsteuer gem. § 18 Abs. 1 UStG oder der Lohnsteuer gem. §§ 38 ff. EStG). Die Steuerselbstberechnung ersetzt die Steuerfestsetzung (§ 168 S. 1), womit Tatvollendung in der Regel durch die Einreichung der Anmeldung (bzw. ihrer Unterlassung) eintritt oder, soweit dies bei Verringerungen der angemeldeten Steuern erforderlich ist, durch Zustimmung der FinB (§ 168 S. 2).[101]
62
Eine steuerrechtliche Besonderheit und eine die Vollendung vorverlagernde Wirkung hat in diesem Zusammenhang die Regelung des § 370 Abs. 4 S. 3 vor, die einen tatbestandlichen Taterfolg auch dann annimmt, wenn die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Anders als etwa im Vermögensstrafrecht des StGB werden steuermindernde und steuererhöhende Gründe nicht saldiert (sog. Kompensationsverbot) (für Details s. § 370 Rn. 230 ff.).[102] Dies gilt zum Beispiel für den Fall der Saldierung von Vorsteueransprüchen mit hinterzogener Umsatzsteuer.[103] Anerkannt ist aber, dass solche steuermindernde Gründe sich bei der Strafzumessung strafmildernd auswirken können.[104]
63
Eine Ausnahme vom Kompensationsverbot anerkennt die Rspr. aber dann, wenn die angeführten Steuerminderungsgründe in einem unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Hinterziehungshandlungen stehen (s. § 370 Rn. 232).[105]
64
(b) Beendigung der Tat: Der Zeitpunkt der Beendigung der Tat entscheidet über das Ende der Möglichkeit strafbarer Beihilfe und sukzessiver Mittäterschaft sowie den Beginn des Laufs der Verfolgungsverjährung gem. § 78a StGB.
65
Beendet ist eine Tat durch den vollständigen Abschluss des tatbestandsgemäßen Verhaltens und des Vorliegens aller übrigen Voraussetzungen der Strafbarkeit.[106] Wie bei der Vollendung (Rn. 57 ff.) ist dies für jede Steuerstraftat und jede Steuerart gesondert zu bestimmen ist (für § 370 s. § 370 Rn. 184 ff.).[107]
66
Zwei Beispiele: Bei der Veranlagungssteuer fallen in der Bekanntgabe des Steuerbescheids regelmäßig Vollendung und Beendigung zusammen.[108] Bei der Anmeldungssteuer können sich Abweichungen ergeben, etwa wenn es ein mehrstufiges Verfahren von vorbereitenden und endgültigen Erklärungen gibt wie bei der Umsatzsteuer. In diesem Fall soll nach der Rspr. die Tat der Voranmeldung erst mit der Abgabe der Jahreserklärung beendet sein.[109]
(4) Vorsatz und Irrtum
67
(a) Vorsatz, § 15 StGB: Es gelten die allg. Regeln.