Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
href="#ulink_b60de652-f69e-53b0-9c80-e0f443c2c486">Nr. 3 durch Unterlassen begangen werden.
a) Tathandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 – Tun
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Die Tathandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 liegt darin, dass der Täter gegenüber den Finanzbehörden oder anderen Behörden unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen macht.
aa) Finanzbehörden oder andere Behörden
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Die Finanzbehörden als mögliche Adressanten der Steuerhinterziehung sind in § 6 Abs. 2 abschließend aufgeführt. Andere Behörden werden in § 6 Abs. 1 legal definiert als Stellen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Als Adressat bei der Steuerhinterziehung kommen sie in Betracht, soweit sie steuerlich erhebliche Entscheidungen treffen. Darüber hinaus werden Gerichte nach § 369 Abs. 2 i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB den Behörden gleichgestellt, wobei es sich, da sie steuerlich erhebliche Entscheidungen treffen müssen, nur um Finanzgerichte handeln kann.[131] Keine steuerlich erheblichen Feststellungen trifft bspw. das Nachlassgericht.[132] Früher wurde die Anwendbarkeit der § 369 Abs. 2 AO, § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB von Stimmen in der Literatur teilweise mit der Begründung abgelehnt, dass § 6 Abs. 1 insoweit ein Anwendungsvorrang zukomme.[133] Diese Auffassung überzeugt allerdings nicht, da es sich bei § 6 nicht um eine Strafvorschrift der Steuergesetze i.S.d. § 369 Abs. 2 handelt.[134] Lehnt man die Anwendung ab, käme durch falsche Angaben gegenüber Finanzgerichten statt einer Steuerhinterziehung eine Strafbarkeit gem. § 263 StGB wegen Prozessbetruges in Betracht.
bb) Tatsachen
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Der Täter macht im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen. Tatsachen sind konkrete Geschehnisse oder Zustände, die dem Beweis zugänglich sind.[135] Künftige Ereignisse, Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten sowie Werturteile sind keine Tatsachen. Es ist daher nicht tatbestandlich, wenn der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Steuererklärung eine unzutreffende Rechtsansicht vertritt, sofern er dem Finanzamt gegenüber den Sachverhalt derart offenlegt, dass die Behörde ihn eigenständig prüfen und bewerten kann[136] (in der Literatur ist das umstritten,[137] s. dazu Rn. 62). Erheblich können auch innere Tatsachen (Überzeugungen, Kenntnisse, Absichten) sein,[138] wie etwa die Absicht künftiger Vermietung bei der Geltendmachung von vorweggenommenen Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.[139]
cc) Steuerlich erhebliche Tatsachen
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Nach Auffassung der strafrechtlichen Rspr. sind Tatsachen dann steuerlich erheblich, „wenn sie zur Ausfüllung eines Besteuerungstatbestands herangezogen werden müssen und damit Grund und Höhe des Steueranspruchs oder des Steuervorteils beeinflussen oder wenn sie die Finanzbehörden zur Einwirkung auf den Steueranspruch sonst veranlassen könnten“.[140] Konkreter formuliert sind erheblich insb. solche Tatsachen, die die Ermittlung (Berechnung/Festsetzung), Erhebung (§ 218 ff.) oder Beitreibung (Vollstreckung, §§ 249 ff.) einer Steuer betreffen.
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Inwieweit falsche Angaben betreffend unzureichende oder fehlerhafte Beweismittel erheblich sind, ist umstritten. Zumindest wenn die Beweismittel keinen Einfluss auf den Steueranspruch als solchen haben, sollen falsche Angaben dazu nicht erheblich sein.[141] So ist bspw. das Vorliegen ordnungsgemäßer Rechnungen keine Voraussetzung für die Geltendmachung von Werbungskosten oder Betriebsausgaben im Ertragsteuerrecht, eine Täuschung über das Vorliegen daher als Solches noch keine unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen. Legt der Steuerpflichtige zur Verhinderung eines Benennungsverlangens nach § 160 Scheinrechnungen über tatsächlich angefallene Betriebsausgaben oder Werbungskosten vor, so macht er damit Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen (siehe dazu auch Rn. 87).[142] Dennoch begründet dies noch keine Tathandlung, da das Unterbleiben der Vorlegung nicht zwingend zu einem Bennenungsverlangen führt.[143] Wird über Beweismittel getäuscht, bei denen nicht sicher ist, dass ihr Fehlen zu einer steuerlich abweichenden Festsetzung geführt hätte, ist die Täuschung mangels objektiver Zurechenbarkeit nicht tatbestandlich.[144] Hingegen sollen, jedenfalls wenn die Beweismittel materielle Voraussetzung für die Anerkennung von steuerlichen Rechten sind, Angaben dazu erheblich sein.[145] In einem Urteil vom 29.4.2008[146] hat der BFH ausgeführt: „Fehlen Nachweise, deren Vorliegen sachlich-rechtliche Voraussetzung einer Steuernorm sind, und weiß der Steuerpflichtige, dass er diese Bescheinigungen benötigt, um die Voraussetzungen einer bestimmten begünstigenden Regelung erfüllen zu können, so begeht er eine Steuerhinterziehung, wenn er diese steuerliche Regelung beansprucht und dabei das Nichtvorliegen der erforderlichen Bescheinigungen verschweigt.“ Die Entscheidung betraf Kapitalertragsteuerbescheinigungen gem. § 45a Abs. 2 EStG für die Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Die steuerrechtlichen Anrechnungsvoraussetzungen lagen nach Ansicht des BFH nicht vor, wenn die Bescheinigungen über Körperschaftsteuer nach § 44 KStG in der damals geltenden Fassung im Zeitpunkt der Tatbegehung nicht vorlag. Abzugsteuerbeträge, die nicht bescheinigt wurden, seien weder geeignet, den tatbestandlichen Erfolg der Steuerhinterziehung entfallen zu lassen noch die Strafzumessung zugunsten des Einkommensteuerhinterziehers zu beeinflussen.[147] In gleicher Weise wurde der für Ausfuhrlieferungen vorgeschriebene Buch- und Belegnachweis vom BGH als „tatbestandliche Voraussetzung der Umsatzsteuerbefreiung“ gewertet (siehe dazu auch Rn. 179).[148] Diese Rspr. musste der BGH wegen Unvereinbarkeit mit europarechtlichen Vorgaben[149] aufgegeben. Er hat daher entschieden, dass die Einhaltung der für Ausfuhrlieferungen im Sinne von, § 6 UStG vorgesehenen Nachweispflichten (§§ 8 ff. UStDV) keine materiellrechtliche Voraussetzung der Umsatzsteuerbefreiung ist und daraus gefolgert, dass eine sich lediglich auf die Nachweispflichten auswirkende Verschleierung für sich genommen umsatzsteuerrechtlich ohne Relevanz ist. Die gleiche Problematik stellt sich, wenn der Steuerpflichtige einen Vorsteueranspruch geltend macht, obwohl er nicht über eine Rechnung verfügt. Das Vorliegen einer Rechnung i.S.d. §§ 14, 14a UStG gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG wird bislang in ständiger Rspr. ebenfalls als sachlich-rechtliche Voraussetzung für die Geltendmachung des Vorsteueranspruchs behandelt,[150] so dass auch insoweit die bloße Geltendmachung von Vorsteueransprüchen ohne Vorliegen von ordnungsgemäßen Rechnungen i.S.d. §§ 14, 14c UStG stets als tabestandsmäßig gem. § 370 AO erachtet wird. Selbst wenn der Rechnungsaussteller die USt abführt, kommt das dem Rechnungsadressaten steuerlich nicht zugute.[151] Strafrechtlich wird dieser Umstand lediglich über den steuerlichen Schaden im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt. Demgegenüber ist das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung nach der Rechtsprechung des EuGH ausdrücklich nur formelle Voraussetzung.[152] Ausgehend von anderen Fällen, in denen der EuGH steuerliche Unterlagen als formelle