Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
außersteuerlichen Grund.[206] Daher sei die Umstellung von Arbeitsverträgen durch Kündigung und Neuabschluss, wobei der Arbeitslohn gesenkt und im Gegenzug in gleichem Umfang nach § 8 Abs. 2 S. 9 EStG steuerfreie Gutscheine für Waren und Dienstleistungen gewährt werden, nicht missbräuchlich i.S.d. § 42.
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Strafrechtlich relevant ist ein Umgehungsgeschäft nur dann, wenn der Sachverhalt gegenüber dem Finanzamt verheimlicht oder verschleiert und der Behörde dadurch die Möglichkeit der Prüfung vorenthalten oder erschwert wird.[207] Abweichend vom Steuerrecht ist die Regelung des § 42 Abs. 2 S. 1 strafrechtlich nicht als Vermutungsregel, die des § 42 Abs. 2 S. 2 nicht als Beweislastumkehr zu verstehen. Insoweit bleibt es für die strafrechtliche Beurteilung bei den strafrechtlichen Beweisgrundsätzen. Dem Steuerpflichtigen muss unter Berücksichtigung des In-dubio-pro-reo-Grundsatz nachgewiesen werden, dass er unvollständige oder falsche Angaben gemacht hat, weil es sich bei der gewählten Gestaltung um ein Umgehungsgeschäft handelt.[208] Das gleiche Problem stellt sich hinsichtlich der bei der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 8 Abs. 2 S. 1 AStG dem Steuerpflichtigen auferlegten Pflicht, nachzuweisen, dass eine Gesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR einer wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht. Auch insoweit muss strafrechtlich dem Steuerpflichtigen die fehlende wirtschaftliche Tätigkeit nachgewiesen werden.
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(a) Zwischenschaltung von Basisgesellschaften: Ein in der Praxis häufig anzutreffender Gestaltungsmissbrauch erfolgt durch die Zwischenschaltung von sog. Basisgesellschaften („Briefkastengesellschaften“) im niedrigbesteuernden Ausland. § 42 greift insoweit ein, wenn diese keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit erbringen und für deren Zwischenschaltung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen.[209] Zur Begründung heißt es in der Rspr., dass das Steuerrecht grundsätzlich die gewählte zivilrechtliche Gestaltung respektiert, dies jedoch nicht für solche Gestaltungen gilt, die nur der Manipulation dienen.[210] Eine dahingehende Beurteilung setzt voraus, dass zwischen dem Steuerinländer und der ausländischen Gesellschaft eine gesellschaftsrechtliche Verflechtung besteht, wozu es genügt, dass an der ausländischen Gesellschaft eine oder mehrere dem Steuerinländer nahe stehende Personen beteiligt sind, so dass das vermittels der Gesellschaft erzielte Einkommen letztlich dem Steuerinländer oder ihm nahe stehenden Personen zugute kommt.[211] Bloße Rechts- und Verwaltungshandlungen gelten in der Regel nicht als wirtschaftliche Tätigkeit.[212] Indizien für das Fehlen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit sind insb. das Fehlen eigenen Personals und eines Telefonanschlusses.[213] Seit Inkrafttreten des StUmgBG am 25.6.2017[214] gilt die fortgesetzte Steuerhinterziehung durch verdeckte Geschäftsbeziehungen zu einer beherrschten Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 6, siehe dazu Rn. 345).
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Bei Gewinnverlagerungen auf Gesellschaften in niedrig besteuernden Ländern der Europäischen Union kann die Einbeziehung dieser Gewinne im Rahmen der Besteuerung in Deutschland gegen das aus der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) resultierende Diskriminierungsverbot verstoßen.[215] Das gilt nicht, wenn künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen gewählt werden, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates zu entgehen.[216] Die Gesellschaft muss sich zur steuerlichen Anerkennung tatsächlich im europäischen Ausland ansiedeln und den Zweck haben, einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen.[217]
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(b) Einschaltung von Treuhändern: Bei Einschaltung eines (verdeckten) Treuhänders gilt hinsichtlich der wirtschaftlichen Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der Rspr. zu § 39 Folgendes:[218]
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Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 Alt. 1 werden Wirtschaftsgüter im Falle von Treuhandverhältnissen nicht dem Eigentümer, sondern dem Treugeber zugerechnet.
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Bei formwirksam geschlossenen Treuhandvereinbarungen kommt es für die wirtschaftliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 Alt. 1 maßgeblich auf den tatsächlichen Vollzug der getroffenen Vereinbarung an. Voraussetzung ist, dass das Treuhandverhältnis eindeutig vereinbart und nachweisbar ist[219] und insb. konsequent durchgeführt wird.[220] Es muss zweifelsfrei erkennbar sein, dass der Treuhänder in dieser Eigenschaft – und nicht für eigene Rechnung – tätig geworden ist,[221] der Treugeber muss das Treuhandverhältnis beherrschen.[222] Die mit der formellen Eigentümerstellung verbundene Verfügungsmacht im Innenverhältnis muss in tatsächlicher Hinsicht so eingeschränkt sein, dass das rechtliche Eigentum eine „leere Hülle“ bleibt.[223]
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Ist die Treuhandabrede formunwirksam, erfolgt dennoch eine Zurechnung nach § 41 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 Alt. 1,[224] wenn nach dem Inhalt der formunwirksamen Abreden der Treugeber einerseits alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögensrechte und Verwaltungsrechte) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann und andererseits die Vertragsparteien die in dem formunwirksamen Vertrag getroffenen Vereinbarungen nachweislich in vollem Umfang tatsächlich durchgeführt haben.[225]
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Wird ein formunwirksamer Treuhandvertrag geschlossen und dabei die Unwirksamkeit bewusst in Kauf genommen, handelt es sich um ein nach § 41 Abs. 2 AO unbeachtliches Scheingeschäft.[226]
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(c) Verdeckte Gewinnausschüttungen: Als verdeckte Gewinnausschüttung i.S.d. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG gilt eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht.[227] Sie führt mit Zufluss i.S.d. § 11 EStG auf der Ebene des Gesellschafters zu Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG. Der Vorteil kann dem Gesellschafter auch mittelbar in der Weise zugewendet werden, dass er an eine ihm nahe stehende Person fließt. Beruht die Zuwendung allein auf dem Näheverhältnis des Empfängers zum Gesellschafter, wird sie so beurteilt, als hätte der Gesellschafter selbst den Vorteil erhalten und diesen an die nahe stehende Person (als steuerlich unbeachtliche Einkommensverwendung) weitergegeben.[228] Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist eine erhebliche Tatsache, die in der Steuererklärung offen zu legen ist. Die Verschleierung des Sachverhalts durch unrichtige Tatsachen ist Tathandlung.[229] Zur Berechnung des Steuerschadens aus verdeckter Gewinnausschüttung siehe Rn. 357.
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(d) Falsche Rechnungsausstellung: Tatbestandlich ist auch die steuermindernde Geltendmachung unrichtiger Rechnungen. Das betrifft einerseits die Vorlegung von Scheinrechnungen über in Wirklichkeit nicht ausgeführte Leitungen. Werden allerdings Scheinrechnungen zum Beleg tatsächlich geleisteter und abziehbarer Betriebsausgaben oder Werbungskosten vorgelegt bzw. werden solche Rechnungen vorgelegt, um ein Benennungsverlangen nach § 160 zu verhindern,[230] begründet das noch keine Strafbarkeit (siehe dazu Rn. 55).[231] Unter Berücksichtigung der Rspr. des EuGH kann für die Geltendmachung von Vorsteuer nichts anderes gelten, da insoweit das Vorliegen einer Rechnung i.S.d. §§ 14, 14a UStG nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht als materiell-rechtliche Voraussetzung für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs angesehen wird (siehe dazu Rn. 55). Anders jedoch die bisherige nationale Rspr.[232]