Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
Lenkungsfunktionen innerhalb der Unternehmensstruktur dienen oder aber der Steuerminimierung durch die Verlagerung der zu versteuernden Gewinne in bestimmte niedrig besteuernde Länder. Um solche Steueroptimierungen zu verhindern, stellt § 1 AStG auf den international, zumindest in den OECD-Ländern,[258] anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz ab. Dieser verpflichtet die Unternehmen, zu steuerlichen Zwecken für grenzüberschreitende innerbetriebliche Leistungen Verrechnungspreise anzusetzen, die unter fremden Dritten vereinbart worden wären. Halten die vereinbarten Verrechnungspreise dem Fremdvergleich nicht stand, sind außerbilanzielle Korrekturen durchzuführen, die eine Nachversteuerung auslösen: Nach § 1 AStG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen) können die unter fremden Dritten angemessenen Preise für die Besteuerung zugrunde gelegt werden, wobei über Art. 9 Abs. 2 OECD-Musterabkommen eine Doppelbesteuerung vermieden werden soll. Weitere Korrekturmöglichkeiten bestehen über die Rechtsinstitute der verdeckten Gewinnausschüttung und der verdeckten Einlage (vgl. § 8 Abs. 3 S. 2 und S. 3 KStG).[259]
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Die dem Steuerpflichtigen nahe stehenden Personen regelt § 1 Abs. 2 AStG, die Geschäftsbeziehungen i.S.d. Vorschrift § 1 Abs. 4 AStG.
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Als vorrangige Methoden zur Berechnung des Verrechnungspreises nennt § 1 Abs. 3 S. 1 AStG die Preisvergleichsmethode,[260] die Wiederverkaufspreismethode[261] und die Kostenaufschlagsmethode,[262] die jeweils voraussetzen, dass Vergleichswerte ermittelt werden können, die – nach Vornahme sachgerechter Anpassungen – vergleichbar sind (s. dazu § 1 Abs. 3 S. 1–4 AStG). Fehlen solche Vergleichswerte, ist ein hypothetischer Fremdvergleich[263] auf Grund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen vorzunehmen (§ 1 Abs. 3 S. 5 – 12 AStG).
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Die Verrechnungspreisproblematik wird flankiert durch umfangreiche Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten gem. § 90 Abs. 3 für Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG. Nach § 90 Abs. 3 S. 2 umfassen diese Aufzeichnungspflichten die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für die den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen untereinander. Die Gewinnaufzeichnungsverordnung (GAufzV),[264] mehrere BMF-Schreiben, insb. ein Anwendungsschreiben des BMF,[265] sowie die OECD-Verrechnungspreisrichtlinen[266] enthalten genauere Vorgaben zu den Aufzeichnungspflichten. Die Verletzung dieser Pflichten zieht gem. § 162 Abs. 3 steuerlich die widerlegbare Vermutung nach sich, dass die im Inland erzielten Einkünfte höher sind als erklärt und ermöglicht der Finanzbehörde eine Schätzung.
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Eine Steuerhinterziehung liegt vor, wenn der Steuerpflichtige mit einer verbundenen ausländischen Gesellschaft Verrechnungspreise vereinbart, die dazu führen, dass das in Deutschland zu versteuernde Einkommen gemessen am Fremdvergleichsgrundsatz zu niedrig ausfällt und diesbzgl. gegenüber der Finanzbehörde vorsätzlich falsche oder keine Angaben macht.[267] In der Praxis bereitet die Bestimmung des angemessenen Transferpreises häufig Schwierigkeiten. Das beruht abgesehen von praktischen Problemen bei der Bestimmung der Berechnungsfaktoren auch darauf, dass es nach den unterschiedlichen Berechnungsmethoden mehrere denkbare Verrechnungspreise gibt.[268] Der gewählte Verrechnungspreis muss sich innerhalb des im Einzelfall zu bestimmenden Rahmens halten.[269] Die Vermutungsregel des § 162 Abs. 3 S. 1, wonach, wenn der Steuerpflichtige die Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 S. 3 nicht zeitnah erstellt hat, widerlegbar vermutet wird, dass die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte höher als erklärt sind, gilt strafrechtlich nicht. Die Verkürzung muss dem Steuerpflichtigen nachgewiesen werden. Dabei ist auch die Regelung des § 162 Abs. 3 S. 2 und 3, wonach der Rahmen zulasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden darf, nicht anwendbar. Vielmehr ist dieser Rahmen strafrechtlich zugunsten des Steuerpflichtigen auszuschöpfen.[270] Liegt der Verrechnungspreis objektiv außerhalb dieses Rahmens, ist subjektiv kein Vorsatz bzgl. einer Steuerhinterziehung zu unterstellen, wenn der Entscheidungsträger darlegt, dass er diesen in vertretbarer Weise ermittelt hat.[271] Kann die Ermittlung nicht plausibel dargelegt werden, liegt zumindest billigendes In-Kauf-Nehmen der Steuerverkürzung nahe, wobei die Verletzung der Dokumentationspflichten ein Indiz dafür sein kann, dass die inländischen Einkünfte vorsätzlich zu niedrig erklärt worden sind.[272]
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In der Literatur wird zudem darauf hingewiesen, dass allein aus der Verletzung der Dokumentationspflichten nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Bst. f EStG i.V.m. der SteuerHBekV im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG keine strafrechtlichen Konsequenzen zu ziehen sind, obwohl es sich bei diesen steuerlich um eine materiell-rechtliche Voraussetzung des Betriebsausgabenabzugs handele.[273]
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Bei innerstaatlichen Sachverhalten kann die Finanzverwaltung ebenfalls eine Korrektur der angesetzten Verrechnungspreise vornehmen, wodurch im Verhältnis Gesellschafter zu Gesellschaft verdeckte Gewinnausschüttungen oder verdeckte Einlagen zu versteuern sein können.
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(g) Dividendenstripping: Als Dividendenstripping wird die Kombination aus dem Kauf bzw. Verkauf einer Aktie kurz vor dem Dividendenstichtag und dem Rück-Verkauf/-Kauf derselben Aktie kurz nach dem Dividendentermin bezeichnet. Dies kann insbesondere dazu dienen, die Kapitalertragsteuer auf den Differenzbetrag, der aufgrund des Dividendenabschlags zwischen dem Kurswert vor und nach der Dividendenzahlung entsteht, zu vermeiden. Ein ausländischer Aktionär verkauft z.B. seine Aktien vor dem Ausschüttungstag nebst Dividendenanspruch an einen Inländer. Dieser vereinnahmt die Dividende und kann bzgl. der abzuführenden Kapitalertragsteuer einen Erstattungsanspruch geltend machen. Danach verkauft er die Aktien an den ausländischen Anteilseigner ohne Dividende zu einem um den Wert der Dividende geminderten Preis zurück. Im Ergebnis erhält der ausländische Aktionär so den Wert der Brutto-Dividende und ist damit steuerlich wie ein inländischer Aktionär gestellt, dem ein Anspruch auf Erstattung der Kapitalertragsteuer zusteht. Von der Rspr. des BFH werden solche Gestaltungen teilweise als rechtmäßig anerkannt[274] und teilweise als nach § 42 rechtsmissbräuchlich[275] eingestuft. Eine Variante bilden die Cum-/Ex-Dividende-Geschäfte oder Cum-/Ex-Geschäfte. Gegenstand solcher Geschäfte ist der Handel von Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividende rund um den Dividendenstichtag.[276] Vereinfacht dargestellt werden die Aktien cum Dividende veräußert, geliefert aber – da der Verkäufer die Aktien zum Zeitpunkt des Cum-Tages nicht in seinem Depot hat – ohne Dividende. Statt der Dividende erhält der Käufer eine Kompensationszahlung in Höhe der Dividende. Nach der bis 2012 geltenden Rechtslage konnte es dabei durch Vorlegung von Bescheinigungen über den Einbehalt der Kapitalertragsteuer einerseits durch den früheren Eigentümer sowie andererseits durch den oder die Erwerber[277] zu mehrfacher Anrechnug von Kapitalertragsteuer kommen, obwohl die Kapitalertragsteuer nur einmal erhoben worden war. Flankiert wurden die Aktiengeschäfte regelmäßig durch Derivatgeschäfte wie Swaps, Optionen oder Futures. Die steuerliche Problematik liegt neben der Frage des Vorliegens eines Umgehungsgeschäfts i.S.d. § 42, vorrangig darin, dass der Erwerber aufgrund des Leergeschäfts zum Cum-Tag kein wirtschaftliches Eigentum erlangen konnte und daher bei Auszahlung der Dividende weder rechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien war. Somit wurde bezogen auf seinen Erwerb keine Kapitalertragsteuer abgeführt, so dass er zur Rückforderung der Kapitalertragsteuer auch nicht berechtigt war. Entsprechend hat das FG Köln[278] in einem Urteil vom 19.7.2019 betont, dass der Käufer bei einem außerbörslichem Leerverkauf nicht Eigentümer der ihm später zu liefernden Aktien werde und daher keinen Anspruch auf Anrechnung der hinsichtlich der Dividende einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer habe; die mehrfache Erstattung der nur einmal einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer scheide bereits denknotwendig aus. In strafrechtlicher Hinsicht hat das LG Köln den Antrag auf Erstattung von Kapitalertragsteuer aus ungedeckten Leerverkäufen in einem Beschluss v. 16.7.2015 als unrichtige Angabe über steuerlich