Steuerstrafrecht. Johannes Franciscus Corsten
auch auf andere Weise erfolgen.[153] Entsprechend hat der EuGH in einer Entscheidung vom 21.11.2018 (Az. C 664/16) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die strikte Anwendung des formellen Erfordernisses, Rechnungen vorzulegen, gegen die Grundsätze der Neutralität und der Verhältnismäßigkeit verstoße, da dadurch dem Steuerpflichtigen auf unverhältnismäßige Weise die steuerliche Neutralität seiner Umsätze verwehrt würde.[154]. Demgegenüber lässt der BFH in Kenntnis der Rspr. des EuGH offen, „ob in extremen Ausnahmefällen, in denen der Vorsteuerabzug ansonsten unmöglich gemacht oder auf unverhältnismäßige Weise verwehrt würde, ernstlich zweifelhaft sein könnte, ob ein Vorsteuerabzug ohne eine auf den Leistungsempfänger lautende Rechnung i.S. des § 14 Abs. 4 UStG, Art. 226 MwStSystRL möglich sein könnte“.[155] Da aber die Entstehung des Vorsteueranspruchs nach aktueller Rspr. des EuGH nicht vom Vorliegen einer Rechnung abhängt, wäre das bloße Verschweigen des Nichtvorliegens einer ordnungsgemäßen Rechnung nicht per se tatbestandlich.[156] Die Anforderungen an den anderweitigen Nachweis des Vorsteueranspruchs sind allerdings auch nach der Rspr. des EuGH sehr hoch.[157] So genügt etwa die Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Umfang der bezogenen Vorleistungen nicht als Nachweis, da damit nicht bewiesen wird, dass die USt tatsächlich gezahlt worden ist.[158] Die steuerliche Beweislastregel gilt im Strafverfahren nicht, so dass das Strafgericht zu der Überzeugung gelangen muss, dass der Steuerpflichtige die behaupteten Umsätze nicht getätigt und damit Steuer hinterzogen hat.[159] Dabei wird das Nichtvorliegen von Rechnungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden.
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Erheblich sind auch falsche Angaben betreffend einen Folgebescheid, selbst wenn zum Grundlagenbescheid zutreffende Erklärungen abgegeben werden. So etwa, wenn in einer Gemeinschaftspraxis erwerbstätige Eheleute ihren Gewinn in der Gewinnfeststellungserklärung gem. §§ 180 Abs. 1 Nr. 2 a, 181 Abs. 2 Nr. 1 zutreffend deklarieren, in der Einkommensteuererklärung aber zu niedrig angeben.[160] Der Umstand, dass der Grundlagenbescheid nach § 182 Abs. 1 S. 1 Bindungswirkung für den Folgebescheid entfaltet, spielt nach Ansicht der Rspr. des BFH keine Rolle.[161]
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Macht der Steuerpflichtige falsche Angaben in seiner Einkommensteuererklärung, die zu einer zu niedrigen Festsetzung führen, so begeht er eine Steuerhinterziehung auch bzgl. der in der Folge ebenfalls zu niedrig festgesetzten Vorauszahlungen.[162]
dd) Unrichtige oder unvollständige Angaben
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Um unrichtige oder unvollständige Angaben i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 zu machen, muss der Täter eine Erklärung abgeben. In welcher Form er die Erklärung abgibt, ob mündlich, schriftlich oder elektronisch,[163] spielt grundsätzlich keine Rolle.
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Steuerlich erheblich sind auch bewusst unrichtige oder unvollständige Angaben zum Abschluss einer tatsächlichen Verständigung.[164] Das bloße Nichtzahlen von Steuern erfüllt den Tatbestand hingegen mangels Erklärung nicht.[165] Eine Ausnahme dazu bildet das gewerbsmäßige oder bandenmäßige Nicht-Entrichten der USt gem. §§ 26b, 26c UStG. Tatbestandlich i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 sind auch falsche Erklärungen im Erhebungs- oder Vollstreckungsverfahren, mit denen die an sich mögliche Steuererhebung verzögert oder vereitelt wird, wie bspw. die Vorlegung eines falschen Vermögensverzeichnisses, um Zahlungserleichterungen zu erhalten.[166]
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Die Steuerhinterziehung setzt keine Täuschungshandlung voraus.[167] Auf den Kenntnisstand des Finanzamts kommt es daher nicht an. Eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 kann selbst dann begangen werden, wenn der zuständige Finanzbeamte der Veranlagungsstelle Kenntnis aller für die zutreffende Festsetzung erforderlichen Tatsachen hat und die Beweismittel i.S.d. § 90 bekannt und verfügbar sind.[168]
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Umgekehrt macht der Steuerpflichtige keine falschen Angaben, wenn er vom Finanzamt trotz vollständiger und richtiger Erklärung begangene Fehler übernimmt, indem er bspw. einen durch das Finanzamt in Kenntnis aller relevanten Tatsachen zu unrecht festgestellten Verlustvortrag geltend macht.[169]
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Nach der Rspr. genügt es für eine Steuerhinterziehung, dass in der Erklärung eine von der Verwaltung abweichende Rechtsauffassung vertreten wird, die zu anderen steuerlichen Ergebnissen führt, ohne dass dies gegenüber dem Finanzamt offen gelegt wird.[170] Verschiedene Literaturmeinungen lehnen das – für den Fall, dass die Rechtsansicht vertretbar ist – ab.[171] Das erscheint jedoch weder praktikabel, noch sachgerecht: Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, wie und durch wen eine noch vertretbare von einer nicht mehr vertretbaren Meinung abgegrenzt werden sollte, erscheint es zumutbar, den Steuerpflichtigen zur Offenlegung einer als von der Rspr. bzw. Verwaltungsmeinung abweichend erkannten Behandlung der steuerlich relevanten Tatsachen zu verpflichten.[172] Das bedeutet, der Steuerpflichtige muss den Sachverhalt offenlegen, den er abweichend behandelt, also bspw. mitteilen, dass es sich bei den geltend gemachten Betriebsausgaben um Bestechungszahlungen oder die Kosten für ein Tageszeitungsabonnement handelt.[173] Lehnt die Verwaltung die entsprechende Veranlagung ab, steht ihm der Rechtsweg offen. Erkennt der Steuerpflichtige nicht, dass er eine abweichende Rechtsauffassung vertritt, so handelt er nicht vorsätzlich. Legt der Steuerpflichtige seine abweichende Rechtsauffassung gegenüber dem Finanzamt offen, darf er diese seiner Erklärung zugrunde legen, auch wenn sie höchstrichterlicher Rspr. und/oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis widerspricht.[174]
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Unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 setzten nach Ansicht der Rspr. des BGH keine Abgabe einer wirksamen Steuererklärung voraus.[175] Wird bspw. eine Steuererklärung entgegen den gesetzlichen Vorgaben ohne eigenhändige Unterschrift eingereicht, so ist die Erklärung zwar zunächst unwirksam,[176] durch die Steuerfestsetzung werde der Erklärungsmangel aber geheilt.[177] Eine falsche Umsatzsteuerjahreserklärung wird dementsprechend selbst dann als strafrechtlich relevant erachtet, wenn sie entgegen den geltenden Bestimmungen nicht unterschrieben ist. Es muss lediglich auf andere Weise sicher gestellt sein, dass die falschen Angaben in der eingereichten Erklärung vom Täter veranlasst worden sind und zu einer Steuerverkürzung geführt haben.[178] Gleiches gilt für die nach § 25 Abs. 3 S. 1 EStG, § 150 AO vom Steuerpflichtigen zu unterzeichnende Einkommensteuererklärung. In der Praxis verlagert sich das Problem auf Erklärungen, die fehlerhaft elektronisch eingereicht worden sind.[179] So darf die Umsatzsteuerjahreserklärung schon jetzt nur noch in Ausnahmefällen in Papierform unterschrieben eingereicht werden (§ 18 Abs. 3 S. 3 UStG). Werden elektronische Erklärungen – wie die USt-Jahreserklärung entgegen § 18 Abs. 3 S. 1 UStG i.V.m. § 6 Abs. 1 StDÜV oder die Einkommensteuererklärung entgegen § 25 Abs. 4 EStG, jeweils i.V.m. § 87a Abs. 3 S. 3 und 4 AO –, ohne die vorgesehene Authentifizierung abgegeben, spielt dies ausgehend von der zitierten Rspr. keine Rolle, wenn sich auf andere Weise feststellen lässt, dass der Täter sie versendet hat.
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Andererseits genügt die Unterschrift allein nicht als Übernahme der Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit der Steuererklärung und hat daher für sich genommen keine strafrechtliche Bedeutung, wenn die Erklärung bspw. vom Steuerberater fehlerhaft vorbereitet worden ist.[180] Lässt der Steuerpflichtige die Erklärung (wirksam) von einem Vertretungsberechtigten, bspw. seinem Steuerberater, unterschreiben entbindet