Mit Elfriede durch die Hölle. Katharina Tiwald

Mit Elfriede durch die Hölle - Katharina Tiwald


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den Aufwand fast nicht lohnen,

      kürzen, bis auf jenen Rest,

      der noch niet- und nagelfest,

      das, was die Gesellschaft bräuchte,

      auf dass flugs sie sich erleuchte.

      Denn das versteht wohl jeder Wicht:

      Ohne Geld gibt’s auch kein Licht.

      Ohne Licht kommt die Verdammnis.

      Wer Grips hat, hat vor dieser Schiss!

      Doch wurscht, ob blau, ob gelb, ob karamellisch:

      Zusammen schafft sie es, die Welt. Rein theoretisch.

      Allein auf Machterhaltung schielen,

      das wird’s für keinen Kanzler spielen,

      sei er noch so cool und kurz,

      dem Klima, sag ich, ist das schnurz-

      piepegal. Nur ein Beispiel ist mir dieses.

      Aber ehrlich? Ganz ein fieses.

      Schwitzt nur, Leute, schwitzet sehr,

      da kommt mehr noch, gar das Meer,

      das an den Küsten von Europa

      steigt und spült an Strände Tote.

      Tut mir leid, unrein gereimt.

      Für dich gilt auch, du Unione:

      Denk ans Mit und nicht ans Ohne.

      Nicht in Katastrophen denken.

      Sondern Möglichkeiten schenken.«

      Er seufzte. Und lächelte.

      »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er, »das ist nur so ein Wunsch. Mehr Zukunft geht nicht. Mehr sag ich nicht. Sonst bricht mir noch einmal das Herz.«

      Ich lächelte zurück. Frau Jelinek gab mir einen Schubs mit dem Ellbogen und sagte: »Ich bleib noch hier auf eine Zigarettenlänge und erzähl dem Herrn Hammerschlag von Ibiza und der Oligarchennichte, während Sie sich da drüben beim Tower einmal umschauen.«

      »Was is das, ein oller Gach?«, fragte Peter Hammerschlag, während ich schon in Richtung Tower blinzelte, wo tatsächlich ein riesiger Menschenhaufen unglaublichen Lärm machte. Ich bin an und für sich ein wenig menschenscheu und froh, wenn ich nach einem Tag voller fremder Gesichter wieder in göttlicher Ruhe versinken kann – vielleicht begleitet von was Seichtem auf Netflix. Oder, wenn mir nach Anspruch ist, begleitet von etwas, das ich, zwischen zwei Deckel gepackt, aus dem Bücherregal holen kann.

      Da drüben war ein Menschenhauf, ein Menschenklump zugange, es wurde gejohlt und geschrien – und darauf, meinten Frau Jelinek und Herr Hammerschlag, sollte ich nun einen Blick werfen. Er werde, sagte Peter Hammerschlag, noch auf mich warten, um sich dann von mir zu verabschieden. »Ein bissl vorsichtig sein«, gab mir Frau Jelinek noch mit auf den kurzen Weg, bevor sie sich mit funkelnden Augen von Herrn Hammerschlag eine Zigarette anzünden ließ.

       CANTO 7: FORTUNA. DIE SPARER, DIE VERSCHWENDER

      NATÜRLICH KREUZTE EIN IRRER meinen Weg.

      In einer Katastrophensituation, beruhigte ich mich innerlich, tauchen immer mehr Irre auf, oder mehr Leute werden irr, und ich dachte an mein Alter, das mich jetzt wirklich aus der Jungautorenliga hinauskatapultiert hatte und mich befähigen sollte, mit öffentlichen Irrungen halbwegs fertigzuwerden.

      Der konkrete Wahnsinnige führte nämlich, ich nahm mir die Brille ab, um sie zu putzen, und fuhr mir über die Augen, er führte nämlich einen Wolf an der Leine. Er führte einen Wolf an der Leine, ging draußen an den Karossen vorbei, den ausgeweideten, leeren, kokelnden, und brummte was vor sich hin. »Wos schaustn so deppad?«, erkundigte er sich barsch, als er auf meiner Höhe war und ich ihn aus zusammengekniffenen Brillenäuglein betrachtete (das Gefühl, im Kino zu sein, wo Johnny Depp mich sicher nicht sehen kann, wie intensiv ich ihn auch betrachte, hatte mich noch nicht verlassen). »I schau ned deppad«, gab ich zurück, keine Ahnung habend, was mir sonst hätte einfallen sollen, auch weil der Wolf leider mit vier Pfoten in der Wirklichkeit zu stehen schien. Sein Führer zog die Lefzen über die Zähne – genauso wie sein Viech. »Schleichen S’ Ihna!!«, hörte ich in meinem Rücken Frau Jelinek brüllen. Offenbar war ich noch nicht alt genug. Wolf und Führer zogen von dannen.

      Ich tappte weiter.

      Am Tower war – ich weiß, das ist jetzt unoriginell – die Hölle los. Ja. Die Hölle. Als wäre der Tower ein riesiger Fick-dich-Finger (Pardon my French), marschierten Demozüge im Halbkreis hin und her; was heißt »marschieren«, sie trampelten, stampften, schrien sich die Kehle heiser. Am Scheitelpunkt des Kreises gingen sie aufeinander los, als wäre Krieg. Krieg. Da wurde gekickt, gebissen, mit den Fäusten geschwungen, mit Schildern gedroschen – »Nie wieder Männer!« las ich auf der einen Seite, »Weiber go home!« auf der anderen. Wenn ich sage, dass die Fetzen flogen, ist das keine Untertreibung, ich meinte sogar, BHs segeln zu sehen. Auf der einen Seite hatte sich manches Mannsgebilde die Boxershort über den Kopf gezogen, nur um zwischen anderer Behosung, leidlich aufgezippt, die jetzt unbehauste Begattungsausstattung auf Mast zu zeigen.

      Die Gegnerinnenschaft wippte mit ihren Busen, manche beschriftet; da und dort war eine, war einer auf der Strecke geblieben. Heulte und blutete.

      Ich seufzte und nahm auf meinem Trolley Platz, und der Regen rann an mir herunter. Wie banal, dachte ich, ist dieser Weltenlauf, dieses Aufeinanderkleschen der Geschlechter. Und wie traurig. Wie traurig, dass es auf beiden Seiten Menschen gab, die Wunden hatten: blutende Schnitte, offenbar von allerhand Messern, an allen möglichen und unmöglichen Körperstellen. Der Boden unter den kreischenden, schreienden, bebenden Massen war gescheckt schon, beträufelt-betroffen. Es troff manchen aus der Seite, von den Armen, aus dem Bauch.

      Da wie dort.

      Männern wie Frauen.

      Ich saß auf meinem Trolley, es schüttelte mich. Wäre ich Raucherin, ich hätte mich nach einer Zigarette umgesehen. Ich sah, ich glaube ich sah, wie eine Frau ihr Gedärm in den Händen hielt, ja, ihr Gedärm, das hatte sie aufgesammelt, das hielt sie um den Arm drapiert wie einen Brautumhang, das hing aus einer Höhle, die einmal von ihrer Bauchdecke verschlossen war. Ich senkte den Blick: meine Hände auf den Knien, die zitterten; verdammt, dachte ich, wir hocken in einer Apokalypsestadt, wir sind festgepfropft in diesem katastrophigen Wien, da führen Leute ihre Gedärme spazieren auf dem Flughafen Wien, und was mach ich da? Wenn ich die Rettung rufe, wird die überhaupt kommen? Mein Erste-Hilfe-Kurs war eindeutig zu wenig für – das da.

      »Du, des mocht nix. Das is quasi enhanced Kino«, sagte eine Stimme neben mir. Eine Hand schob sich in mein Blickfeld, hielt mir eine angezündete Zigarette hin wie ein Blümchen. Ein kleiner Hund schnüffelte an meinem Bein, aber nicht Zerberus. Eher Dopey. Wie der kleinste Zwerg im Disney-Schneewittchen. Dieser Hund. Den kannte ich. Und die Stimme: Die kannte ich auch.

      »Alex«, sagte ich und schaute auf, und Alex* Jürgen schaute zurück, grinste mich an und hielt mir die Faust hin zum Gruß, die ich herzlich abfäustelte (so grüßten wir uns damals, man wollte keine Viren übertragen und schüttelte ergo nur Feinden die Hand, Virusverharmlosern zum Beispiel, aber auch das nur, wenn man selbst dumm war).

      Alex* schreibe ich mit einem Stern, weil er*, als ich ihn* 2015 für ein Theaterstück über, ja, die Männer interviewte, grinsend sagte: Ich bin ja kein Mann. Weil er* ein Mensch ist, in dessen Körper zur Kindszeit mit Operationsinstrumentarium herumgedoktert wurde, um aus einem Beinahe-Buben, der halt nicht ins Schnittmuster passte, ein hundertprozentiges, gutes, sozusagen rostfreies Mädchen zu machen. Es wurde geschnitten und geschabt. Es wurde medikamentiert. Körperteile wuchsen (»solche Glocken«, sagte Alex* im Interview damals, und hob die Hände vor den Brustkorb).

      »Dolby Stereo Surround«, sagte ich. »Is das jetzt die Endschlacht vom Patriarchat?«

      »Nimm’s ned so tragisch«, sagte Alex* und brachte die Zigarette


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