Mit Elfriede durch die Hölle. Katharina Tiwald

Mit Elfriede durch die Hölle - Katharina Tiwald


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Neuem dem Peter Hammerschlag.«

      Weil es meine Mutter gibt, weiß ich, wer Peter Hammerschlag war. Ist. War.

      Meine Mutter hat mir oft mit Inbrunst, Spaß an der Häme gegenüber magyarischen Absolutheiten und weit aufgerissenen Umlauten Peter Hammerschlags »Schöpfungsgeschichte auf Ungarisch« vorgetragen, und ich habe immer befunden, dass sie das viel besser kann als Friedrich Torberg auf der Aufnahme, wo er ebenfalls anstimmt:

      »Im Anfang war, das ist gäwiss

      der Wort, auf Griechisch Logosch.

      In Weltmeer ist härumgeschwimmt

      die Urgetier, das Fogosch.«

      »Da drüben«, sagte Frau Jelinek, »lehnt er.«

      Und da lehnte er tatsächlich, eine schmale Gestalt, eine hohe Stirn, Nickelbrille. Ein abgewetzter Mantel, ebensolche Stiefel. Ich dachte plötzlich wie irr daran, wie er bloß riechen mochte, Peter Hammerschlag, den 1942 die Nazis geholt hatten. Der – wo war nur mein Handy? Bei wem war er noch einmal untergetaucht in Wien?

      »Steinbrecher«, sagte er da zu mir, bevor ich meinen Mund aufgemacht hatte.

      »Äh«, machte ich.

      »Alexander Steinbrecher, der Komponist, an den haben Sie grad gedacht. Der mich versteckt hat.«

      »Herr Hammerschlag«, sagte Frau Jelinek, »das ist die Frau Tiwald«, und dann sagte sie gar nichts mehr und schaute nur. Machte sogar einen Schritt zurück.

      »Hm«, machte Hammerschlag und zuzelte an seiner Zigarette. Sie glomm auf in diesem Grau-in-Grau, ein kleines Sönnchen, zerborsten schon und knapp davor, ein schwarzer Stern zu werden. Aber sie roch. Sie roch nach Zigarette.

      »Herr Hammerschlag«, flüsterte ich. »Es ist … ähm.«

      »Es ist Ihnen Ehre,

      dass ich hier verkehre,

      wollen Sie sagen

      und mich gleich derschlagen«,

      sagte er und zog und zog und die Zigarette glomm auf und ab.

      »Ich bin mit Ihnen aufgewachsen«, wisperte ich, »mit der Schöpfungsgeschichte auf Ungarisch. Und mit dem Krüppellied.«

      »Niemand ist mit mir aufgewachsen,

      die Erd hat mich in ihren Pratzen,

      der Himmel in den Pfoten,

      dort bei den andern Toten«,

      sagte er.

      Ich trat von einem Fuß auf den anderen und begann, den Griff meines Trolleys zu kneten. Wie sollte ich so jemandem würdig gegenübertreten; wie sollte ich so jemandem in die Augen schauen; wie konnte ich ein Gespräch mit jemandem führen, der so wie dieser Mann, der so heimelig aussah mit seiner Nickelbrille, die sich wie zwei Scheinwerfer um die Augen kugelte, und dessen – wie heißt das in den Lexika –, dessen Spur sich in Auschwitz verliert –

      und da tat ich, was offenbar in meine Knochen eingeschrieben ist, weil ich eine katholische, durchaus schöne Kindheit verlebt habe, in der ich erfahren habe, dass Ehrfurcht möglich ist. Ich ging in die Knie und beugte mein, wie sagt man, man sagt Haupt, ich beugte mein Haupt, sollte doch mein Trolley peinlich berührt dastehen, sollte er dastehen wie eine Miniatur vom World Trade Center, ein Bauwerk. Ich beugte mein Haupt. Stirn Richtung Erde.

      »Da ist nicht Richtung Mekka«,

      flüsterte er,

      »dafür bin halt jetzt ich da.«

      »Warum«, sagte ich tonlos zwischen meinen übers Gesicht gefallenen Haaren, »warum sind Sie damals rausgegangen? Aus der Wohnung vom Herrn Steinbrecher? Man traut sich nicht …« – ich hob den Kopf und schaute ihn von unten an – »man traut sich nicht, obwohl ich gehört hab, dass die Hölle hier passiert, hier gerade, Schwechat, aber man traut sich nicht, hierzu Hölle zu sagen, wenn man weiß. Also ich weiß. Dass Sie in Auschwitz … umgekommen sind.«

      »Was reimt sich auf Auschwitz?«,

      sagte er leise,

      »Doch nur Blitz und Witz.«

      Er reichte mir eine knochige Hand, ich zog mich daran hoch. »Warum? Sie haben doch gewusst, dass …« Ich brach ab. Manchmal gräbt anmaßende Artikulation einen Abgrund zwischen zwei Menschen; ich wollte nicht mitgraben.

      Da lachte er und schwenkte seine Zigarette, und ich sah, dass ein paar Zähne fehlten, als er rief: »Na, weil ich g’raucht hab! Weil ich raus bin, Zigaretten holen! Deswegen. Hams mich g’schnappt. Der arme Steinbrecher. Wahrscheinlich kennt den niemand mehr. Ein ganz anständiger Komponist is er g’wesn, ja, ganz anständig. Die Gigerln von Wien! Hat wahrscheinlich a Todesangst g’habt, wie ich nicht mehr zurückkommen bin. Und zu Recht.«

      Wieder lachte er dieses leicht zahnlose Lachen.

      »Ja, ich war ein U-Boot beim Steinbrecher … und dann hab ich Zigaretten holen müssn, ich Trottel.«

      Es war kalt, es regnete in konstanten Schnüren, es wehte Tropfen auf mich, auf Frau Jelinek, auf Peter Hammerschlag. Da begann er plötzlich zu singen:

      »Unter einem Regenschirm am Abend

      hängt man sich zum ersten Male ein …«,

      und pfiff ein bisschen und sang:

      »So ein Regenschirm wird oft verachtet,

      verborgt, verpachtet … der Mensch ist roh.

      Dutzendweis sieht man die Schirme liegen

      in letzten Zügen am Fundbüro … – Das is so ein Lied, das der Steinbrecher geschrieben hat. Zum Beispiel.«

      Er schob die silbrige Brille den Nasenrücken hoch, sagte »Na ja« und ruckelte die Schultern gerade. Als fände er sich in seinen Knochen nicht zurecht.

      »Die Frau Jelinek hier, die zu kennen ich zu Lebzeiten nicht die Gnade gehabt hab« – »von meinem Geburtsjahr her wär sich’s ausgegangen«, murmelte Frau Jelinek, »wenn nicht der Wahnsinn solche Methode gehabt hätte …« – »die Frau Jelinek«, fuhr Peter Hammerschlag fort, »die wird mit mir noch ein Zigaretterl rauchen, während Sie sich da drüben kurz umsehen.«

      »Die Frau Tiwald«, Frau Jelinek hob den Kopf, als wär ihr gerade was aufgefallen, »die Frau Tiwald hätten Sie übrigens noch wiegen können in Ihren Armen. Wenn alles mit rechten, also nicht rechten, Dingen zugegangen wäre.«

      »Na, jetz is sie ja da, die Frau Tiwald«, sagte Peter Hammerschlag und lächelte. »Übrigens, fast hätt ich was vergessen. Also, die Frau Jelinek sagt, Sie dürfen mich was fragen. Nachher geh ich wieder. Wenn ich mit ihr meine Zigarette geraucht haben werd. Ich bin sowieso nur halbert da. Weil eigentlich lieg ich ja im Himmel seinen Pfoten.«

      Ich sah zögernd zu Frau Jelinek hinüber, aber die schaute nur zurück. Und dann fiel mir Dante ein. »Dante«, murmelte ich tatsächlich zu mir selbst, wahrscheinlich etwas debil, »der Spaßmacher. Der Spaßmacher! Im sechsten Canto. Der kann die Zukunft der Stadt vorhersagen.«

      Also drehte ich mich um zu Peter Hammerschlag, der, wenn man es genau nehmen und beschreiben mag, ein bisschen wie James Dean an dieser Säule lehnte, aber ein James Dean, den einmal einer geliebt hat, und fragte:

      »Können Sie eigentlich die Zukunft sehen?«

      Der Regen rauschte, Autos hupten, und Peter Hammerschlag, der riss plötzlich die Augen auf – und lachte.

      »Die Zukunft! Ja! Die Zukunft. Endlich fragt mich wer das. Endlich fragt mich wer …« Er schaute in die Ferne, als sich seine Lippen wieder schlossen über dem zerbrochenen Mundwerk.

      Dann sagte er:

      »Dumme gibt’s in jeder Menschenzeit.

      Dumme, G’scheite, weit und breit,

      erst schwarz, dann rot, dann pink und grün,

      die


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