Mit Elfriede durch die Hölle. Katharina Tiwald

Mit Elfriede durch die Hölle - Katharina Tiwald


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blieb stehen.

      Sie blieb stehen und fing erst mit einem kleinen Grunzen an, bevor ihr ganzer Körper bebte und zu lachen anfing. Sie lachte und lachte, sie schüttelte sich und rüttelte sich und musste sich vorsichtig die Lachtränen aus den Augenwinkeln heben, damit die Wimperntusche das alles schadlos überstand.

      »Ein Ticket? Ich? Ein Ticket? Überhaupt: ein Ticket? Nein, meine Liebe. Neinnein.«

      »…?« (So schaute ich.)

      Sie seufzte und sagte: »Erstens: Sie werden sehen, die Hoffnung auf ein Ticket wird eine hartnäckige sein müssen. Des wird’s ned schbüühn, wie der gelernte Österreicher sagt. Zweitens: Sie werden das jetzt nicht glauben, aber mich schickt eigentlich der Manfred Müller von der Österreichischen Gesellschaft für Literatur. Ich bin ja innen ein netter Mensch, auch wenn mir das keiner glaubt. Der Manfred Müller! Dem konnte ich noch nie eine Bitte abschlagen, was heißt eine, was glauben Sie, wie viele Runden ich schon gedreht habe, was heißt ich, die Marlene, der eine Robert, der andere Robert, der Gustav, wir drehen Runden und Runden. Die Erben vom Heimito haben auch jemanden delegiert. Ich kann die Strecke zwischen der Oper und dem Flughafen schon fast blind. Na ja. Lauter Jungautoren. Wir karren da lauter Jungautoren herum. Und -innen. Wobei: jung. Auch so ein seltsamer Beisatz. Jedenfalls haben Sie jetzt was vor sich. Am besten, Sie warten, bis wir da sind. Dann ist’s vielleicht einfacher zu verstehen. Warum wir Sie in die Hölle schicken.«

       CANTO 3: LASST ALLE HOFFNUNG FAHREN, DIE IHR HIER EINTRETET

      UND IN DER TAT WAR sie hier. Hier, angreifbar, die Hölle. Wenn man aufgewachsen ist, wie ich aufgewachsen bin, mit dieser im Kleinbürgerlichen wurzelnden Behütetheit, die vielleicht einmal strauchelt im Leben, vielleicht zweimal, die ihre Tragödien durchgemacht hat, aber sich wieder aufgerappelt hat, weil es nämlich die Liebe wirklich gibt, kurz: Wenn man behütet worden ist, dann rutscht einem bei einem Anblick wie diesem das Herz hinab, es durchschlägt die Magengrube, es fährt Achterbahn im Darm, um einen leeren Rumpf zurückzulassen und als nasser, fetter Fleck in der Hose zu landen.

      Das heißt doch: »Das Herz rutscht mir in die Hose« – oder?

      Vor mir hing ein Taxler von einer Laterne, von einer dieser unmenschlichen Straßenlaternen, aber gut, auch auf gusseisernen, auch auf hölzernen Masten sind schon Menschen gebaumelt. Was kann die Zeit dafür, dass die Dinge mit ihr gehen? Was können die Dinge dafür, dass die Zeit sie mit sich zerrt?

      Die Dinge sind unschuldig.

      Autos brannten. Scheiben waren zu Mäulern geworden, rissige Münder die riesigen Löcher. Eine Schiebetür ging auf und zu. Auf und zu. Langsam, wie im Tempo von gefährlichen Mafiosi, die sich nähern, und man selbst ist auf die Straße betoniert. Dazwischen Geranien.1 Und meine Behütetheit. Meine Behutung. »Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer«, sagt Doderer, was drin war, rinnt dann, sagt er, die ganze Zeit an uns hinunter, und ich habe nun also eigentlich das Gute seit zweiundvierzig Jahren an mir herunterrinnen. Ich, gebadet in Urvertrauen: Mir war bang. Aber ich hatte Elfriede.

      Die lehnte an einem Masten, an dem niemand baumelte, und schaute mich an. Ich schaute zurück. Kurz regten wir uns nicht; ich sah sie an, Strähne für Strähne, Falte für Falte, und die Kippbilder, die ich im Kopf hatte, die sich dazwischendrängen wollten, Elfriede Jelinek mit Haartolle, Elfriede Jelinek mit Lidstrich, keine dreißig, im Mantel, Elfriede Jelinek, glattgesichtig, »Wollen Sie Kunst und Kultur, oder Peymann und Jelinek?«, die Kippbilder waren wie weggeschmissen. In diesem Moment. Wie durch den Schredder des Vergessens gejagt. Da stand sie.

      Über ihr quietschte eine Tafel: ZU DEN GATES, stand da, WILLKOMMEN, stand da.

      »Schmutzbespritzt«, murmelte ich, mehr zu mir als zu Elfriede Jelinek, »natürlich. Natürlich.«

      »Die Stadt der Schmerzen«, sagte die Jelinek mit hochgezogener Augenbraue, während sie sich vom Masten löste, »hier schicken alle ihren Schmerz her, die nicht fliegen können, hier schicken sie sich her auf die Aussichtsplattform und drücken sich die Nasen platt. Schauen den Fliegern nach. Und dann fliegen die, die ohnehin keine Sehnsucht mehr im Leibe haben. Die Sehnsuchtslosen, die heben dann ab in einer Selbstverständlichkeit, dass kein Auge trocken bleibt, außer ihres. Weil die Freudentränen ausgeweint sind. Weil sie sich schon ausgequetscht haben mit ihren harten Händen.«

      Na ja, und hier, dachte ich, hier hatten sich die Selbstverständlichen ausgetobt, die Mallorca-Flieger, die Wochenende-in-Barceloner, die Schnell-nach-London-Hopper. Das ging alles nicht mehr. Seuche und so. Deswegen brennende Autos. Deswegen brennende Taxler. Ist der Urlaub nicht in echt, dann ist er nirgendwo, und dann musst du dir die Aufregung anders holen.

      Ich sah mich um und hörte mich hart schlucken, ein Donnern in meinen Ohren.

      Elfriede Jelinek reckte das Kinn und sagte: »Da sind wir also, wir sind, wo Sie hinwollten, Frau Tiwald. Ich hab Ihnen gesagt, das wird kein Honigmilchtrinken. Aber jetzt kneifen, das geht nicht. Sie sind Schriftstellerin. Uns ist das Kneifen untersagt. Zumindest das gedankliche. Wir müssen hinschauen. Und deswegen, ich sag’s jetzt, wie’s ist, darf ich Ihnen hiermit mitteilen – hiermit mitteilen, pfah, was ist das für ein Deutsch, ich bin schon ganz fertig – na ja, Sie haben das spezielle Stipendium bekommen, das Durch-die-Hölle-gehen-Stipendium, ich gratuliere. Ist quasi eine Fortbildung. Ein Aufenthaltsstipendium. Kriegt nicht jeder. Obwohl jeder es gebrauchen könnte. Wobei, dann haben wir so einen Höllentourismus. Dann schieben sich die Leiber durch die Hölle, und man sieht vor lauter Leibern das Feuer nicht und reckt sich und streckt sich und hat erst nichts davon gehabt. Also. Ist besser so. Willkommen in der Hölle.«

      Sie machte eine Handbewegung Richtung Eingang, wie ein Zirkusdirektor knapp vor der Pension auf die altersschwachen Löwen deutet; dann ruckelte sie einmal mit dem Kopf, und wir gingen los.

      Als hätte sie gerochen, was ich dachte, sagte sie über die Schulter: »Angst brauchen S’ keine haben«, super, und schon waren wir drinnen.

      Ich hatte gedacht, dass sich die seltsame Leere des Vorplatzes, die gespenstische Verlassenheit der Parkplätze und Haltestellen im Inneren des Gebäudes fortsetzen würden. Aber ich hatte falsch gedacht. Dort, wo in anderen Hochsaisonen die Massen angestanden waren, um in die fliegenden Sardinenbüchsen vorgelassen zu werden, schlurften graugesichtige Gestalten an mir vorbei, manche einzeln, manche in kleinen Grüppchen, und fast alle mit einem Nachziehtrolley. Verlegen öffnete und schloss ich die Finger um den Griff des meinigen; das Grauen beginnt schon darin, sich in anderen gespiegelt zu sehen. Still war es keineswegs, nur war’s nicht der Bienenstock, als der sich ein Flughafen sonst präsentiert, sondern mehr das Wirtshaus vor der Sperrstunde, wenn der Wirt schon müde und ungeduldig einen dreckigen Fetzen so deutlich über die Budel schmiert, dass selbst der letzte geisterhafte Trankler kapiert, welche Stunde es geschlagen hat. Aber noch eine unflätige Bemerkung vom Stapel lässt.

      An manchen Stellen hallte der Unflat wider, als stünden wir unter der Kuppel eines Doms, wahrscheinlich eines geplünderten, wahrscheinlich eines, den der Pöbel auseinandergenommen hat, um allem zu frönen, was die Pfarrer verboten haben, aber vom Frönen war hier nichts wahrzunehmen. Nur vom Stöhnen. Und Fluchen. Und Jammern. »Wann geht endlich der Scheißflug?« war noch das Harmloseste.

      »Ihr Hirn haben diese Gestalten alle schon abgegeben wahrscheinlich«, sagte die Jelinek in einer Aufgeräumtheit, die mich aus meinen deprimierenden Betrachtungen riss, »aber Sie und ich, wir sind nicht zum Hirnabgeben da. Und den Koffer da, übrigens. Wollen S’ den Koffer jetzt wirklich mitzahn?« – »Da is ein Manuskript drin«, fiepte ich und klammerte mich fest. »Aha«, sagte sie, »na gut, es sei Ihnen verziehen. Aber später nicht jammern, wenn’s anstrengend wird, ich sag Ihnen gleich, ich zieh ihn nicht, ich zieh nix. Außer Schlüsse.«

      »Des is zum Niedalenga und Schdeahm«, maulte laut eine aufgeschwemmte, aufgedonnerte Kuh, die mit Gatten und Gör an uns vorüberstapfte, aber ich schreibe das nur so hin, weil mir die Finger diktieren, weil ich zwar mit dem Trio dann und dort nichts zu schaffen haben wollte, aber die Menschen – so sage ich es mir immer wieder – eigentlich


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