Mit Elfriede durch die Hölle. Katharina Tiwald

Mit Elfriede durch die Hölle - Katharina Tiwald


Скачать книгу
Ich fahre!« – »A so a Schas«, rief der Zweite, ein Afrowiener, gebaut wie Wotans Krieger, der sich zwei Luchsohren an einen Lederhelm montiert hatte, »die gnä’ Fraou foaht mit mia und sunst neamd!« Und schließlich fuhren zwei bekrallte Hände zwischen die beiden, stießen die zwei auseinander, und eine höchst magere, ausgezehrte Frau, deren wahrscheinlich sechzig Jahren die Entbehrungen des Lockdowns noch zehn Jahre draufgegeben hatten, bohrte sich kerzengerade und stichgrauen Haarschopfs zu mir durch; ihren Haut-und-Knochen-Körperbau umschlackerte ein, ich schwöre, Wolfsfell. Ich wünschte, ich hätte sie mit dem Handy aufgenommen, ihre Stimme, hätte die Diktierfunktion aktivieren können, wie sie sagte: »De zwaa Drottln findn med zehn Diobtrien ned noch Schwechat! Owa i! Und bei mia im Taxi gibt’s a Salamibrod, dass Se goa neama fuatfliagn wean wuen, gnä’ Frau, und scho goa ned noch Idahlien!«

      Ich linste zu den Autos hin, sah, dass das eine kotflügelfrei, das zweite auf rasierten Reifen und das dritte als Rostlaube unterwegs war, und lehnte vorerst dankend ab. Irgendwie, Herrgottsakra, musste das anders gehen.

      »Danke, i hob’s ma andas übalegt«, sagte ich höflich und schickte mich an, mit dem Trolley die Reise in den dritten Bezirk anzutreten.

      »Woooos?«, belferte da die Dame. »Die gnä’ Frau is si z’guad füa mei Salamibrod? Na, des gehd owa ned! Wo bleibtn do de Solidaridehd? San Se ned so a Guadmensch? Schauman S’ eahna ned, wie Se do de Weana Taxla im Regn stehn lossn? Na woat!« Und sie machte Schritte auf mich zu, als habe sie heute noch nichts gegessen.

      »Lossn S’ de Dame in Ruah, de kheat mia!«, brüllte der Afrowiener mit den Luchsohren und stieß der Wolfsdame einen Ellbogen in die Seite, dass es nur so krachte. »Du Oa…!«, drang es aus deren Kehle, während der Herr im Leopardenkragen die Gunst der Sekunde nutzte, mich am Arm packte und zu seinem Škoda des Schreckens zerren wollte. Mein Trolley knickte ein, weil da ein loser Pflasterstein aus dem Boden stak, die Missgunst der Materie trat klar zutage, wie auch die Impertinenz der drei Personen, die so taten, als seien sie Taxler. Wer weiß? Autodiebe, schoss es mir durch den Kopf, das sind Autodiebe, die nur so tun, die führen hier eine Komödie auf, die wollen mich ausrauben und abmurksen, bevor ich überhaupt nur die Spitze des Towers von Schwechat sehe, und ich begann ernsthaft, um mein Leben zu fürchten – ganz so, als gäbe es keinen Virus, ganz so, als sei alles Prä-Lockdown, im Leben, als wir noch gar nicht wussten, was »Gefährlichsein« wirklich bedeutet.

      Ich sah meine letzte Sekunde heranrücken.

      Da geschah etwas, das mich noch heute mir die Augen reiben lässt, eingeleitet von einem fokussierten Sonnenstrahl, der dem Fiat Punto voranfuhr; es war ein warmer Sonnenstrahl, der wie Moses das Rote Meer die Misere hier teilte, das Dunkel, das am Ring vor der Oper waberte, es war ein kleiner Fiat Punto, schwarz, aber in tadellosem Zustand, und sein Fenster senkte sich und eine Hand winkte mich heran und eine Stimme rief: »Steig ein, du da mit dem Trolley, wenn du kein Schatten bist!«

      Ich sah nur den Schatten einer Haartolle, ich hörte nur, dass die Stimme einer Frau gehörte, aber ich ließ mir solche Anweisungen nicht zweimal geben, ich dankte schon einmal schnell Gott, an den zu glauben ich mir nicht abgewöhnen möchte, weil es nämlich schön ist; ich schnellte auf die andere Seite des Autos, Gott sei Dank prügelten sich die drei Pseudotaxler wie Tick, Trick und Track auf Speed, ich schwang mich in den Punto, ich hatte noch den Trolley auf dem Schoß, als die Frau am Steuer Gas gab, sich die Räder durchdrehten und wir weiterschossen, weg von dieser Szene wie am Rand der Hölle.

      Ich linste hinter meinem Trolley hervor, den ich vor dem Bauch liegen hatte, »so fühlen sich also Schwangere«, dachte ich noch, während ich die Frau am Steuer erkannte und scharf einatmete, sodass die Stoffmaske an den Lippen kleben blieb.

      »Frau Jelinek? Sind … sind das Sie?«

      »Ja, Jelinek. Und Sie?«

      »Äh, Tiwald mein Name, aber das ist nicht … nicht wichtig.«

      Verdammt. Ich war nicht imstande, der Nobelpreisträgerin meinen vollen Namen zu sagen, typisch ich, typisch meine Kindheit, depperte Bescheidenheit; ich rutschte auf dem Sitz herum, peinlich berührt, und schaffte es irgendwie, den blöden Trolley auf die Rückbank zu verfrachten – indem ich nämlich den Zipp öffnete, die unnötigen Schuhe, schicke Schuhe mit hohen Absätzen, rauszerrte und nach hinten pfefferte, ebenso die Hausbibel (offenbar plante ich, nie mehr wiederzukehren) und meine Toilettetasche, der Rest ließ sich zu einer Kofferpalatschinke zusammendrücken und nach hinten werfen.

      Erst dann konnte ich durchatmen.

      »Sie können die Maske abnehmen, wenn Sie das Fenster öffnen«, sagte Elfriede Jelinek und deutete auf den Fensterheber, eine charmante Kurbel wie im Jahrtausend meiner Geburt. Ich kurbelte, und Frischluft drang in die Kabine, als stürme der Frühling heran.

      »Ich … ich danke Ihnen sehr, Frau Jelinek. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie haben mir vielleicht das Leben gerettet!«

      »Ich weiß«, sagte sie und schaute auf die Straße. »Es ist hier schon zu Massakern gekommen«, fuhr sie nach einer Weile fort: »Natürlich ist die Oper ein Ort des Massakers, die Oper ist ein Opferort, hier wird das Schweigen eingeübt gegenüber der Totalität der Musik, aber eigentlich gegenüber der Totalität des Genies, das ohnehin schon tot ist; es sind ihrerseits quasi Todtouristen, die vor der Oper nach Taxis suchen. Und hier so zu Tode kommen, wie es im Inneren der Oper dem Verstand zustößt. Nur dass der Körper nach der Tötung des Verstandes weiterlebt. Leben muss. Das ist der Unterschied.«

      Sie fuhr an der Lände entlang Richtung Osten. Das Riesenrad, natürlich stille stehend, glitt am Himmel vorbei. Ich starrte es an und wollte etwas Gescheites dazu sagen, aber mir fiel nichts ein. Meine Zunge war ein Rollmops, wie aufgerollt, aufgespießt, eingelegt und zugeschraubt.

      »Frau Jelinek«, wagte ich nach einer Weile zu piepsen, »ich hab gedacht, Sie gehen nicht unter Leute?«

      »Ich bin nicht unter Leuten. Ich bin in einem Auto.«

      »Äh, ja … Aber ich bin doch ein Leut?«

      »Sie sind da gewesen. Und ich hab Sie gerettet.«

      »Ja.«

      Ich war verwirrt. Seit wann rettete Elfriede Jelinek Menschen das Leben?

      Sie trug jetzt eine schwarze Sonnenbrille und sah verdammt cool aus, so cool, wie ich sie empfunden hatte, als ich mit fünfzehn, sechzehn »Die Klavierspielerin« und »Lust« gelesen hatte. Noch cooler. Damals war ich nämlich einigermaßen eingeschüchtert; jetzt war ich noch eingeschüchterter.

      »Frau Jelinek«, sprudelte es schließlich aus mir heraus, es war nicht auszuhalten, es machte Plopp, »bitte seien Sie mir nicht böse. Ich hab Sie einmal aus der Ferne gesehen, im Russischen Kulturinstitut. Da hat Aleksandr Semibratov …«

      »Belobratov.«

      »Ah, Belobratov, genau. Jedenfalls Belobratov hat seine Übersetzung von … ich glaube es war ›Gier‹ vorgestellt. Seitdem nie wieder. Ich bin … ich bin verwirrt. Warum haben Sie mich gerettet?«

      Sie grinste schief. Eine Zigarette noch, und sie hätte ausgesehen wie das inkarnierte Paris.

      »Wissen Sie, Frau Tiwald, der Trubel um meinen siebzigsten Geburtstag hat mir zu schaffen gemacht. Immer diese Trubelei. Diese Hudelei und Jubelei. ›Ich übe für das Grab‹, habe ich einem Reporter gesagt, der mir zugesetzt hat. Das hat dann gesessen. In mir auch. Dann kam die Pandemie. Und natürlich muss man über eine Pandemie schreiben. Man muss über eine Pandemie schreiben, über die Maskierung in allen Schattierungen, wobei die Maskenmetapher leicht auslutschbar ist; man muss über die Mechanismen der Angsterzeugung schreiben, über das Phänomen des Bubi-Herrschers, der mit kieksender Stimmbruchstimme uns erst den Schrecken in die Knochen setzt, dann in Tirol warme Händedrücke verteilt, wider jegliche Vernunft und ohne den Abstand, den er ›Babyelefant‹ getauft hat, als wäre der Abstand unter Menschen etwas Süßes, Niedliches, nicht etwa letztendlich Gefahrbringendes, weil er uns das Weggehen lehrt. Außerdem: Wächst sich der Elefant aus, wird er dann gereizt, trampelt er alles nieder. Und jeden. Da ist dann gar nichts mehr süß. Na gut. Also habe ich geschrieben. Ich habe geschrieben, dass es


Скачать книгу