Mit Elfriede durch die Hölle. Katharina Tiwald

Mit Elfriede durch die Hölle - Katharina Tiwald


Скачать книгу
aber da lehnten und lungerten sie, kritzelten auf Blöcken herum, ich erkannte jemanden aus den ORF-Nachrichten, dort jemanden von einem Foto, das wiederholt unter Gastkommentaren gedruckt worden war; sogar der Überchef von jenem betriebsratlosen Sender, der mit Geld aus dem Handel mit einem taurinhaltigen Getränk unterfüttert wurde, stromerte herum und süffelte Wasser aus einer Wasserflasche, ich sah es genau.

      »›Kurze Sätze über gutes Leben‹«, sagte da Elfriede Jelinek, »das ist auch so ein Buchtitel vom Robert Pfaller. Ich sag Ihnen jetzt einen kurzen Satz über das gute Leben: Dietrich Mateschitz trinkt Wasser.«

      Sprach’s und lotste mich weiter. Michael Fleischhacker, der einmal die Presse gechefredakteurt und dann diverse Talks moderiert hatte, musste husten, als wir an ihm vorbeikamen, ich trug zwar Maske, machte aber trotzdem einen Sprung zur Seite. Fast wäre ich in ein Knäuel von Menschen gestolpert, von denen mich Frau Jelinek nun doch mit einem soliden Griff am Oberarm wegzog. »Das sind die mit den Positiv-denken-Ratgebern«, sagte sie, »das lassen wir lieber bleiben.«

      Die Gruppe war, darf ich berichten, gar nicht klein; ich nehme an, dass sie aufhörten, so prall zu grinsen, als sie begriffen, dass Frau Jelinek – die sie wahrscheinlich nicht als Ikone über ihren Betten hängen hatten – und ich in Richtung »weiter« gingen. »Weiter« stand da über dem Nadelöhr, das die große Halle A von der Shoppingarena trennte, wo sich weitere Check-in-Ebenen übereinanderstapeln wie die Brüstungen im New Yorker Guggenheim-Museum. Nur weniger schön.

      »Weiter« kam man aber nur, wenn man an dem Pop-up-Würstelstand vorbeikam, der so gezimmert worden war, dass kein unbefugtes Dickerl sich unbemerkt daran vorbeiquetschen konnte. Auch kein Dünnerl. Die Dame, die den Stand und somit den Durchgang hütete, hatte ihr blondiertes Haar zu einem Ivana-Trump-Imitat hochgezurrt, alles an Make-up verwendet, was man so verwenden kann, und strahlte eine Art von Kompetenz aus, die wohl mit dem Mundwerk zu tun hat, das man sich in Jahrzehnten Würstelstand aneignet, es sollen sich ja die wüstesten Szenen abspielen vor Würstelständen, aber das weiß ich nicht, weil das vegetarische Sortiment dort bei Hot Gurkerln halt macht.

      »Frau Müller-Thurbach, hier bin ich wieder«, sagte Frau Jelinek und hob im Gruß zwei Finger an die Schläfe. »Ach, Frau Jelinek, Sie sind aber flott«, sagte die kompetente Würstelständlerin in einem Deutsch, das sich eher nach dem Schliff von ORF-Fernsehabenden mit Christine Hörbiger anhörte als nach Jahren harten Wiener Pflasters, »und das ist wohl die Frau Tiwald, gell? Wissen Sie, Frau Tiwald, wir lassen hier nicht jeden durch. Und schon gar nicht die Herrschaften von der Journaille.«

      Aus dem Eck des Würstelstands schob sich eine hagere Gestalt, genauso blond und genauso geschminkt wie Madame Müller-Thurbach, und erkundigte sich, ob ich einen Hotdog wolle. »Se wean eahm no brauchn!«, mahnte die hagere Gestalt hinter ihrer Maske und wackelte mahnend mit dem dürren Zeigefinger, während La Müller-Thurgau mit einem Bratspieß nach einem Herren stach, der sich unrechtmäßig genähert hatte: »Vade retro«, brüllte sie, »hier kommen nur die durch, die dazu befugt sind! Wo is Ihre Berechtigung? Na? Na also! – Wart, Lieserl, vielleicht will die Frau Tiwald einen Tofu-Hotdog?«

      Frau Jelinek tappte ungeduldig auf den Schwechater Flughafenboden, aber ich muss nun einmal bei jeder Gelegenheit an irgendetwas kauen, vor allem, wenn ich daran erinnert werde, dass damit für einen längeren Zeitraum Schluss sein könnte. »Am besten mitnehmen, das gute Papperl«, sagte sie, »heiße Hunde soll man nicht schlafen lassen. Jetzt dann aber dalli. Sie müssen auch morgen noch kräftig zubeißen.«

       CANTO 5: IM WIRBELSTURM. DIE LIEBENDEN

      FRAU JELINEK WANDERTE MIT einem Stoizismus, der ihr in einem Hopper-Gemälde auch gut gestanden wäre, hinein in den Terminal drei, der vor einigen Jahren an den alten Flughafen drangeklotzt worden war und allen die große, weite Welt vorspielte, in die man sich aber erst hineinfliegen musste. Es sollte wohl nach Metropole aussehen, obwohl jeder wusste, dass die Schlagzeilen, die wie Running Sushi über den Köpfen der – zu anderen Zeiten ständig – Ankommenden entlangliefen, von der Kronenzeitung bespielt wurden, einem Medium, das so kleinformatig war wie das Land, in dem es erschien.

      Aus irgendeinem Grund ging geisterhaft eine Schiebetür auf, ein Windstoß fegte uns durchs Haar. Frau Jelineks Zöpfe regten und reckten sich wie schmale Schlängelchen. »Zu diesem Handel«, sagte sie und nahm das Möchtegern-Shoppingareal in den Blick, das sich bemühte, einen Hauch von wenigstens Frankfurt zu verströmen, »und Verwandel gehört der Fremdenverkehr, bei dem die Leute, statt abgenützt und weggeschmissen zu werden, neuer und besser zurückkommen, als sie hineingegangen sind, aber weniger für sich kriegen, denn ihr Budget ist aufgebraucht

      Ich dankte dem Himmel leise dafür, dass ich gerade erst »Die Kinder der Toten« zu lesen begonnen hatte. Sie lagen in meinem Köfferchen, die Kinder der Toten; so erkannte ich das Zitat aus dem Prolog und konnte gewandt anschließen mit »Es hat sich aber ausgezahlt3 Ich sah sie von der Seite an, diese eigentlich zarte, eigentlich schöne Person, die mindestens eine Generation der Österreicher so leicht erkannte wie, sagen wir, die Mona Lisa. Stolz wallte auf in mir. Und Zuneigung. Ich erinnerte mich daran, wie ich mit einem Freund in einer – ja – Sushibar gesessen war, einer von diesen billigen, in denen man in Plastikboxen abgepack-te Lachssushis kaufen kann, als auf meinem kleinen Nokiahandy eine SMS ankam mit dem Wortlaut »Ja hurra elfriede jelinek bekommt den literaturnobelpreis.« Ich weiß noch, wie ich meinem Freund wortlos das Handy reichte, wir beide uns je eine Hand vor den Mund klappten vor Freude und Überraschung, und die Augen aufrissen. Ich weiß noch, wie die Kronenzeitung tags da-rauf die Nachricht in einem winzigen Kästchen unterbrachte – neben einer fast schon subversiven Baumax-Werbung für eine Pflanze namens Erica Gracilis. »Der Führerschein kann schnell weg sein!« – das war die Schlagzeile.

      Sie müssen sich das von mir gerade Geschilderte als das Gedankenkondensat von zwei Sekunden vorstellen, und sogar die sind zu lang, um das leichte Rümpfen einzuschließen, das ich an Frau Jelineks Nase sehen konnte. Kummervoll klammerte ich mich an meinen Trolley, während ich dachte. »Manche stürzen leider auch ab dabei«, murmelte sie dann, um zu seufzen und mit »So, und jetzt genug zitiert, es sollen ja neue Bücher kommen auf die Welt« weiterzustapfen.

      Die Windstöße kamen aus den hektisch sich öffnenden und schließenden Schiebetüren, aus denen normalerweise die Ankommenden, die Wien-Neugierigen oder Wien-Konsumentinnen, die Stadt-Abhakerinnen und To-do-List-Reisenden, die Musiknarrischen, die Schnitzelsüchtler, die Heimkehrenden in gebückter, aufrechter, abwesender oder feierlicher Haltung strömten. Jetzt strömte gar nichts.

      Über das Kronenzeitung-Band rutschte eine einzige Schlagzeile in Dauerschleife: Pandemienotstand ausgerufen. Rettung naht nicht.

      Zwei junge, sehr junge Leute lungerten herum, blass und ganz in Schwarz, ich sah sie erst nach der traurigen Lektüre des Kronenzeitung-Ergusses.

      »Jetzt fangen die harten Stationen an«, seufzte neben mir Frau Jelinek, »aber so ist das halt, man schreibt, und schwupps hat man Verantwortung in Zentnersäcken auf den Schultern liegen. Schauen Sie sich die zwei da gut an. Ich weiß ja nicht, ob Sie meine Bücher kennen, Frau Tiwald, es ist mir auf eine Weise wurscht, wie es Buddha wurscht wäre, aber die da, das sind die von mir in die Welt gestoßenen, weil aus dem Limbo der Unbeschriebenheit herausgeholten, Zwillinge Witkowski. Anna und Rainer Maria, die …«

      »… die im Wien der 1950er mit einem Vater leben, der im Krieg ein Bein verloren hat«, sprudelte es aus mir hervor, »und der die Mutter dauernd und exzessiv pornografisch fotografieren muss« – ich hatte zwar ein Entspannbuch einschieben müssen nach den »Ausgesperrten«, aber dafür waren die zwei Horrorteenies wie durch Pflugscharen in meinem Hirn eintätowiert.

      »Hallo«, sagte Frau Jelinek, »liebe Anna, lieber Rainer, da bin ich wieder, und ich hab diesmal die Frau Tiwald mitgebracht.«

      »Servus, Alte«, sagte das Gräuel, das Anna hieß und alles Mitleid verdiente, »ist das eigentlich auch eine so untervögelte Person, die Frau Tiwald, wie Sie? Soll mich das noch irgendwie interessieren?«

      »Lass,


Скачать книгу