Mit Elfriede durch die Hölle. Katharina Tiwald

Mit Elfriede durch die Hölle - Katharina Tiwald


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meisten Leute glauben, dass sie sich was erzählen müssen, und dann fällt ihnen irgendwann nichts mehr ein, und dann glauben sie, sie müssen verreisen«, sagte die Jelinek und stieß die Hände in ihre Manteltaschen. »Hier trotten sie herum. Wie Drohnen auf Drogen. Ziellos, weil man sie ihr Ziel nicht haben lässt.«

      »Aber ist da nicht noch ein Rest von Widerstand?«, ließ ich mich zögernd vernehmen. »Der Saft, die Kraft, sich noch aufzurappeln, die Stadt zu verlassen, von, sagen wir, den Malediven zu träumen? Ist das Reisen dann nicht schon Résistance?«

      »Wer von den Malediven träumt, der hat sich schon aus seinem Leben weggebeamt, und das ist schlecht«, befand Frau Jelinek, »der hat kein Talent zum Aussitzen, zur Geduld, der Fluchtinstinkt, der die Mittelschicht befällt in Situationen wie der jetzigen, der ist langweilig, weil er mit wahren Fluchten nichts mehr zu tun hat. Es ist ein armseliger Fluchtinstinkt.«

      »Aha«, murmelte ich.

      »Hier«, sagte Frau Jelinek, »da müssen wir noch durch«, dann sah ich sie: das Knäuel, von dem die meisten Geräusche kamen, das meiste Jammern, und Fliegen kreisten auch noch drum herum: Koffer waren geplatzt, Wäsche lag herum, die offenbar bei überhasteten Abreisen noch aus dem Schmutzwäschekorb geholt worden war, Wäsche, die man offenbar hier schon anderen Zwecken zugeführt hatte, und dann noch alle möglichen Brote in allen möglichen Zuständen und Alterungsphasen, mit Käse drauf, der tropfte, mit Salamiblättern, die an ihren Rändern schon Wellen schlugen, es stank, es klang, Kinder greinten, natürlich schrien dann Erwachsene, aus deren kauenden Mündern es nur so spritzte, dann schrien andere Erwachsene zurück – warum es keine Massenschlägerei gegeben hat, kann ich mir nur mit dem hohen Grad der allgemeinen Erschöpfung erklären.

      Mit ein paar dieser ausziehbaren Gurtkonstruktionen, die einem Weidezaun gleichen, wenn man sie ausfährt, hatte die Flughafenverwaltung eine Schleuse konstruiert, und wie die Österreicher nun einmal sind, hatten sie sich dort angestellt, angeknäuelt, weil SO ordentlich sind die Österreicher nun auch wieder nicht, sie sind ja keine Briten, die sich sogar bei der Bushaltestelle anstellen, nein, so verkniffen sind die Österreicher nicht, die knäueln sich dann schon. Vorm Gattertor. »Die Schleuse da«, sagte Frau Jelinek, »wird aussortiert, die Guten, Fieberfreien ins Töpfchen, die Kranken am Schöpfchen und raus mit ihnen. Oder nicht raus. In die Quarantänestation. Aber von dort werden wir uns schön fernhalten. Gar nicht Mutter Teresa und sich aufopfern und Schicksale teilen.«

      Da stand ein völlig ausgemergelter, junger, erschöpfter Bursche mit Maske und Gesichtsschild und hielt einen Fieberthermometer in der Hand. Offenbar war er hier schon seit Tagen, Wochen, vielleicht seit Menschengedenken im Einsatz.

      Schneckengleich hob sich die behandschuhte Hand, langsam, langsam fuhr das Fieberthermometer in seiner Hand, Sichtrohr eines U-Bootes, eines über und über in Schutzkleidung gehüllten U-Boots, zur Stirn eines sich aus der Masse gestreckt Habenden; »Neiiiin!«, brüllte dann der Aufgebrandete, bei dem das Fieberthermometer angeschlagen und der schmale Bursche »Siebenunddreißigeins« orakelt hatte, und verhüllte sein Gesicht; bei Siebenunddreißigkommaeins hieß es schon Njet, »nicht Fisch, nicht Fleisch von der Temperatur her, aber der Staat nimmt alles ganz genau, der Staat Österreich nimmt alles supergenau, vor allem, wenn es um das einfache Staatsfleisch geht«, murmelte Frau Jelinek, und da kamen schon zwei im Sicherheitsanzugsornat, krallten sich den Unglücklichen, der sich doch schon auf halbem Weg nach Mallorca gewähnt hatte, und verschwanden mit ihm, der zwischen den sicherheitsbeanzugten Körpern strampelte.

      »Ich werde jetzt etwas machen, das mir zutiefst zuwider ist«, sagte Frau Jelinek, »aber es ist mir nicht so sehr zuwider wie das Einknäueln in der Masse, das mich auf den Höchstgrad der Angewidertheit treiben würde«, packte mich am Ärmel, fischte aus ihrer Manteltasche eine eingeschweißte Karte, brüllte: »Hier Jelinek! Jelinek!«, und siehe da, ein weiterer Beanzugter tauchte auf, löste eines der eigentlich flutschenden Bänder aus seiner Halterung, winkte uns durch, trat auf zwei, drei Verwegene ein, die nun auch »Jelinek! Jelinek!« brüllten, und brüllte zurück: »Schleichen S’ Eahna! Se hom kaan Noböllpreis!«

       CANTO 4: VORHÖLLE

      WIR WAREN DURCH. Ich wäre gern in Ohnmacht gefallen, aber Frau Jelinek sagte »Sorry« und haute mir eine runter, als sie mein Schwanken bemerkte, als würde sie einem Computer, der grad dabei ist sich aufzuhängen, einen Schubs geben. »Runterhauen« ist vielleicht auch zu drastisch ausgedrückt. »Schubsen« wiederum zu lieblich.

      »Schauen Sie sich gut um, bevor es weitergeht«, sagte sie und ruckelte wieder mit dem Kinn.

      Dort, wo eigentlich das Einchecken hätte stattfinden sollen, standen und saßen Gruppen von Leuten umher, denen offenbar durch irgendein Privileg vergönnt war, sich vom allgemeinen Gedränge abzusetzen. »Unsere Philosophinnen und Philosophen«, sagte Frau Jelinek, »die dürfen, hat man ihnen gesagt, davonfliegen, die dürfen abheben, man weiß nur nicht, wann und wohin.«

      Ich schaute mich um und sah ein paar Leute in Jeans und Sneakers, ein paar in Anzügen, manche davon derart gemustert, dass eine Kuh davor gescheut hätte, aber wer bin ich, Leuten ihre modischen Selbstaufmunterungen zu missgönnen; sie hielten einigermaßen Abstand und trugen Masken, die Damen und Herren, wobei: wesentlich mehr Herren als Damen, nur einer nicht. Der hatte die Maske unterm Kinn und, horribile dictu, rauchte.

      »Das ist der Robert Pfaller«, sagte Frau Jelinek in einem Tonfall, als wäre sie eine Fremdenführerin und würde gerade einer Gruppe japanischer Touristen im Vorbeigehen schnell den Stephansdom zeigen.

      »Ah«, sagte ich wie ein Schaf, »ist das der mit der Pro-Raucher-Initiative?«

      Wenn ich Frau Jelinek gewesen wäre, hätte ich mich jetzt mitleidig angeschaut, sie schaute aber ganz normal und gleichgültig. »Er hat ja ein Buch über die Erwachsenensprache geschrieben und über ihr Verschwinden«, hudelte ich also weiter, »das find ich interessant, äh.« Es ging darin wahrscheinlich auch ums Gendern und dass das schlecht sei, dachte ich, aber ich war noch meiner Beinahe-Ohnmacht von vorhin zu nah, um mit Elfriede Jelinek eine Diskussion über gerechte Sprache anzufangen. Sie sagte nur: »Da steht der Herr Pfaller und raucht und erfüllt seine Ankündigungen und vielleicht gleich sich selbst dazu. Vielleicht hätten wir alle zuhause bleiben sollen. Vielleicht hätte ich auch zuhause bleiben sollen. Aber hier bin ich und will den Herrn Pfaller eigentlich anreden, aber dann will ich ihn doch wieder nicht anreden, weil ich eigentlich leutschiach bin. Und außerdem steht schon in der Bibel: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr das Himmelreich nicht erlangen. – Jetzt hat er seine Erwachsenensprache, der Herr Pfaller, und ob er von hier aus, mitten in der Krise, noch in den Himmel kommt, das weiß ich nicht, das weiß ich nicht.«

      Ich muss sagen: Sie tänzelte.

      Ich glaube, dass sich auch Peter Sloterdijk hierher verirrt hatte, da war ein seebärbebarteter Herr mit grauem Mondscheinhaar und Aktentasche und Schrankkoffer, der offen stand und Aberhunderte Bücher zu enthalten schien; der Herr teilte jedem, der die Hand ausstreckte, eines aus, während ich ihn mantraartig murmeln hörte: »Umwege sind die direktesten Wege zum Zentrum. Umwege sind die direktesten Wege zum Zentrum …«2

      Frau Jelinek schüttelte leise den Kopf und deutete mir, weiterzugehen, obwohl ich fast, fast die Hand ausgestreckt hätte vor Sloterdijks Bücherschrankkoffer. »So was lesen«, murmelte sie mir zu, »geht nur, wenn man dann gleich selbst wütend in die Tastatur hämmert, und dazu haben wir jetzt keine Zeit und nix mit, also lassen wir das lieber.« Beinahe hätte sie mich am Ärmel gefasst, ließ es dann aber bleiben und verschränkte die Arme im Gehen; ich folgte ihr, die Rädchen meines Trolleys rollten über den steinernen Boden und zerknackten da und dort einen fortgeworfenen Kuli, aus dem keine Tinte mehr tropfte; offenbar war alles schon leergeschrieben. »Journalisten sind auch da und wollen auch weg«, sagte Frau Jelinek, »oder zumindest weiter durch zu den Gates und einen Blick hineinwerfen, aber das ist alles nicht so leicht, die haben ja kein Aufenthaltsstipendium bekommen. Die sind zum Dableiben verdammt. Zum Schauen auf den immergleichen Fleck. Da werden sich manche wünschen, sie wären Altenbetreuer geworden, oder Pfarrer.«

      Ich


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