Mit Elfriede durch die Hölle. Katharina Tiwald

Mit Elfriede durch die Hölle - Katharina Tiwald


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gestellt werden. Über das Lesen kommen die Leut’ nicht mehr zamm, dein Daseinszweck hat sich erfüllt. Du musst dich dem Todbringenden aussetzen, das nicht in der Politik zu finden ist, nicht in der Gesellschaft, sondern ganz banal auf der Straße. Ja. Das hab ich mir gedacht. Gedacht und vorgenommen. Also hab ich mir einen Fiat Punto gekauft – ich hatte noch etwas Geld übrig vom Nobelpreis – und meine Rettungsfahrten aufgenommen. Die Oper ist ein Brennpunkt, an dem ich schon etliche Menschen vor dem Fake-Taxler-Mord gerettet habe. Ich fahre hin und her, her und hin. Ich desinfiziere jedes Mal den Beifahrersitz, den Fensterheber und die Türschnalle, ich will ja nicht die böse Fee werden, die den Covid-Tod bringt. Aber wenigstens vor den Meuten rette ich Menschen. Einzelne Menschen. Was nie mein Begehr war, Menschen retten. Na ja. Vielleicht doch. Vielleicht wollte ich Frauen vor stupiden Existenzen retten. Ich weiß es nicht mehr. Das sollen bitte die Damen und Herren Wissenschaftler besprechen, von mir aus, wenn ich nicht mehr bin. Es ist mir wurscht. Ich habe geschrieben, und was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben, basta.«

      »Sie sind auf jeden Fall …«, sagte ich ratlos, »äh … so was wie mein … mein Vorbild.«

      »Ach ja?«

      »Ja, natürlich! Ich bin mit Ihnen … aufgewachsen. Ich kann mich noch an die Plakate erinnern: ›Lieben Sie Jelinek und Peymann, oder Kunst und Kultur?‹«

      »Ah, Österreich ist so fesch.«

      »Jedenfalls …« – ich wurde immer verwirrter – »danke. Danke, Frau Jelinek. An Ihnen habe ich gelernt, was man mit Sprache machen kann. Das war, äh, super. Ohne Sie hätte mir was gefehlt. Danke.«

      »Na dann!«

      Sie stieg aufs Gas. Landschaft rutschte vorbei. Desolate Plakate. Werbesujets, die fröhlich lachende, verreisende Menschen zum Inhalt hatten, waren wüst beschmiert worden, egal, wie hoch sie hingen. Auf keiner Wiese stand auch nur eine Kuh, und die Raffinerie, oder was auch immer das stinkende Ding der OMV war, roch, als hätten sich die Tore oder zumindest die Poren der Hölle geöffnet.

      »Wir sind gleich da«, sagte Elfriede Jelinek, und ich nickte. Die Hand hatte ich auf dem Griff über der Tür. Früher, als man solche Autos baute, wusste man noch, dass sich der Mensch manchmal anhalten muss, weil er nicht immer seine Hände im Schoß liegen lassen kann. Am Horizont tauchte der Tower von Schwechat auf, eine Eistüte mit Schießscharten.

       CANTO 2: AUF DEM WEG

      NUN LAG SCHWECHAT VOR uns, beziehungsweise: das Flughafengelände; wie kommt denn die liebliche Stadt Schwechat dazu, dauernd als totum-pro-parte für einen Ort zu stehen, der wie kaum ein zweiter unsere Mittäterschaft an der Zerstörung des Klimas und damit der Erde symbolisiert?

      Wobei es mit der Mittäterschaft vorerst vorbei war, außer meiner, wie mir langsam dräute; was würde Elfriede Jelinek denn von mir denken (ich traute mich meinerseits nicht, nur »Elfriede« zu denken, ein blankes »Elfriede«, ein bekanntes »Elfriede«, und hängte immer ein »Jelinek« dran an meine inneren Monologfetzchen), ich hatte gedacht, ich könnte anonym zum Flughafen rauschen.

      Aber nein. Ich saß neben Elfriede. Jelinek.

      Mir fiel noch ein, dass sie in »Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr« die Umweltschützer durch den Kakao gezogen hatte, dass es nur so pritschelte, und so kam ich vorerst mit dieser meiner sehr privaten Flugscham zurecht. »Ich werde«, nuschelte ich dennoch, »hab ich mir gedacht, diesen Flug kompensieren.«

      »Kompensieren.«

      »Ja. Da gibt’s diese Webseiten. Wo man. Zahlen kann. Wenn man geflogen ist. Oder. Bevor man fliegt. In. Andere Länder, die weit weg. Also. Man zahlt dann. Und ein nepalesischer Bauer kann sich einen neuen Ofen kaufen. Effizient. Energie und so.«

      »Aha. Mhm. Na dann. Kompensieren Sie nur hübsch vor sich hin.«

      Ich weiß nicht, ob’s gut ist, wenn Elfriede Jelinek »hübsch« zu irgendwas sagt.

      Wir waren auf einem Parkplatz gelandet, von dem aus es noch ein gutes Stück Weg war bis zur Abflughalle, aber ich hatte ja alle Zeit der Welt, ich musste nur einen Flug aussuchen, irgendeinen, bezahlen, mir die Maske überstülpen; ich hatte diese verdammte Eile nicht, die man hat, wenn der Flug schon gebucht ist, dieses Feuer-unterm-Arsch, dieses Gefühl, als sei alle Zeit bis zum Abflug nichtig; ich war ganz ruhig. Ganz ruhig.

      »Danke schön, Frau Jelinek«, sagte ich, als ich mich, den Koffer, die schönen Schuhe und die Hausbibel aus der kleinen Fiat-Kugel geschält hatte, »Sie haben mir mein Leben sehr erleichtert.«

      Kein Satz ohne ein massives Gefühl der Dämlichkeit.

      »Nichts zu danken«, erwiderte sie, »leider trau ich mich mit dem Auto nicht weiter rein aufs Gelände« – macht nichts, Frau Jelinek, dachte ich, Sie hätten mich zwar einfach direkt vor der Abflughalle aussteigen lassen und wenden können, aber ich weiß schon, dachte ich, ich weiß, Sie sind menschenscheu, macht gar nichts, die paar Kilometer schaff ich schon noch.

      Ich sagte ihr also noch einmal von Herzen Danke, fügte ein »Auf Wiedersehen« an, war ein bisschen wehmütig, weil ich mich jetzt von Elfriede Jelinek wegdrehen musste, und trottete los.

      »Moment«, sagte sie da zu meinem Rücken, »ich komm ja mit, hab ich das vergessen zu sagen? Pardon. Ich komm mit.«

      »Äh.«

      »Ja.«

      »Fliegen Sie auch weg?«

      Ich war stehen geblieben und schaute sie an, die Hand auf dem Trolley; rundherum war die Erde wüst und leer.

      »Ich komm mit«, sagte sie, »bis zum Flughafen.«

      Ich krallte mich am Trolley fest.

      Die ersten paar hundert Meter stapften wir schweigend durch die Landschaft, die mit »winterlich« nur unzureichend beschrieben wäre. Eher schon Action-Abenteuer. Eher so: halbe Apokalypse. Aber Wien. Deswegen glauben wir’s nicht.

      Sie hatte ihren Kragen hochgeschlagen und Lippenstift und Lidschatten aufgetragen, und ich fand in meinem filmvergifteten, hollywooddurchseuchten Hirn, dass sie auf herb-schöne Weise in diese Gegend passte, wo sich die Welt schlafen gelegt hatte; wo ausgeweidete Autos auf nackten Felgen herumstanden wie festgenageltes Tumbleweed in einem Western, diese durch die Wüste geblasenen Steppenläufer, und man spürte schon die Gefahr; diese Gegend, wo ich sorgenvoll in den Himmel schaute, der leer war.

      Provokant leer.

      Wind kam auf, natürlich. Ich stellte mir Ennio Morricone vor, Spiel-mir-das-Lied-mit-der-Mundharmonika; mein Hirn schuf Kulisse und Sound, ich wusste beim besten Willen nicht, was ich jetzt sagen sollte. Wobei ich vielleicht vor Marlene Streeruwitz noch größeren Spundus gehabt hätte.

      In nicht allzu großer Ferne sah ich – ich blieb kurz stehen, um es zu glauben: Flammen. »Da brennt was«, sagte ich tonlos und tumb.

      »Ja«, sagte sie, und während ich noch ansetzte, innerlich zu flehen: Sag was, bitte, sag was, ich hab keine Ahnung, sprach sie weiter: »In Wahrheit ist der Flughafen die Hölle, das haben Sie schon ganz richtig gemeint, als Sie Ihre Kompensationskompetenz unter Beweis stellen wollten. Denn das war’s, was Sie gemeint haben. Hier ist die Hölle zuhause, hier hat sie sich’s bequem gemacht, und wenn noch was abhebt vom Tarmac, dann nur zur Tarnung. In Wahrheit brodelt’s. – Gut, das, was da brennt, das sind angezündete Autos, ganz simpel. Ich hab ja schon ein paar Fahrten gemacht hin und her. Die Brandstifter, das sind ganz einfach Frustis, die es nicht wahrhaben können, dass nicht mehr geflogen werden kann. Oder nicht gleich. Oder nicht mit DO&CO-Menü. Oder nicht billig. Na, und dann greifen sie halt zu anderen Mitteln. Benzin. Feuerzeug. Die Scheiße ist immer einfach. Der Mensch ist des Menschen Brandstifter.«

      »Und … Sie gehen da freiwillig hin? Haben Sie … haben Sie schon ein Ticket?«

      Wenn es so war, wie es aussah, dann hatte sie nicht nur einfach den Georg-Büchner-Preis und dann den Nobelpreis bekommen, sondern war als ganze Person in den schon auf Erden existierenden Himmel der Glücklicheren,


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