Kullmann unter Tage. Elke Schwab

Kullmann unter Tage - Elke Schwab


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Gesicht bei der Erinnerung an seine Exkursion und berichtete: »Der Steiger Remmark hat uns nach langem Zögern eine Stelle gezeigt, an der das Opfer tatsächlich an das Stahlseil gelangen konnte.«

      Erstaunt horchten alle auf.

      »Es ist der Zugang zum Personenförderkorb auf der fünften Sohle.«

      »Mehr nicht?«

      »Doch. Diese Tür ist gesichert. Immer wenn sie geöffnet wird – geplant oder ungeplant, ob mit Korb oder ohne – bekommt der Maschinist oben ein Signal. Wir haben ihn nach der genauen Zeit gefragt, als der Mann verunglückte, und zu dieser Zeit kam kein Signal oben an.«

      »Was heißt das für uns?«

      »Dass wir herausfinden müssen, wie man diese Tür öffnen kann, ohne dass es der Maschinist mitbekommt.«

      »Also doch Mord?«

      »Stark anzunehmen.« Schnur rieb sich über sein Kinn. »Es ist fast unmöglich, sich an diesem Seil aus Versehen festzuhaken und bis nach oben gezogen zu werden.«

      »Und wie hat Remmark den Sachverhalt erklärt?«

      »Er behauptet, Dempler sei schon am frühen Morgen mit Kreislaufbeschwerden zur Arbeit angetreten. Gegen Remmarks Rat sei er mit eingefahren, um zu arbeiten. Er hält es für möglich, dass Peter Dempler aus irgendeinem Grund über die Schachtleiter nach oben wollte. Dann wurde ihm schlecht oder er verlor das Bewusstsein und stürzte von der Leiter. In seiner Not wollte er sich am Seil festhalten. Dabei könnten sich die vielen Werkzeuge an seinem Gürtel an dem Seil verhakt haben.«

      »Klingt weit hergeholt«, brummte Erik.

      »Wenn wir nichts Besseres finden, wird die Staatsanwältin den Todesfall als Unfall erklären«, sagte Schnur genervt. »Also erzählt mir nichts, was ich schon weiß.«

      »Was sagt sie denn dazu?«, fragte Andrea, um Schnur zu bremsen.

      »Sie will die Ergebnisse sämtlicher Befragungen abwarten, bevor sie sich entscheidet.«

      »Das kann ja lustig werden. Die Jungs sagen nicht die Wahrheit«, sagte Erik.

      Schnur seufzte und meinte: »Genau da liegt der Hund begraben. Es wird so oder so nicht lustig.«

      »Was meinst du damit?«

      »Stellt euch mal vor, dieser Fall wird von der Staatsanwaltschaft als Mord eingestuft. Wie sollen wir dort unten ermitteln? Zum einen haben wir dann das Bergamt im Nacken. Und zum anderen machen die Bergleute sofort dicht, wenn wir mit unseren Fragen kommen.«

      Kapitel 3

      Laut arbeitete sich der Walzenschrämlader durch das Kohleflöz hindurch. Während die am vorderen Ende der Maschine befindliche Walze den oberen, den Hangenschnitt vornahm, führte die hintere Walze, die deutlich niedriger lag, den Sohlenschnitt durch. So konnten pro Arbeitsgang fast drei Meter Kohleflöz gleichmäßig abgebaut werden – eine effektive Abbaumethode, die Michael Bonhoff immer wieder faszinierte.

      Und gleichzeitig betrübte – bei dem Gedanken, dass schon bald der gesamte Bergbau im Saarland stillgelegt werden sollte.

      Wie gewohnt bediente er zusammen mit zwei Kollegen die große, lärmende Maschine. Doch dieses Mal wurde seine Routine gestört, weil Paolo Tremante die Arbeit von Peter Dempler übernehmen musste. Demplers Aufgabe hatte darin bestanden, die schweren Hydraulikschilde an den abgebauten Teil anzupassen, damit der Raum zwischen Streb und Panzerförderer vor Einsturz geschützt blieb.

      Tremantes Anblick ließ Bonhoff an die Bergung der menschlichen Überreste zwischen Stahlseil und Seilscheibe denken. Normalerweise lenkte ihn die Arbeit ab. Aber heute war das unmöglich, weil gerade er fast täglich an Demplers Seite gewesen war.

      Tremante, den alle unter Tage »Amore« nannten, war ein ewiger Spaßvogel, der sogar mit der Lampe an seinem Helm versuchte, durch Zeichen Späße zu machen. Bonhoff ignoriere seine Grimassen. Im Grunde genommen konnte er noch nie über »Amores« Späße lachen. Und heute schon gar nicht.

      Mit lautem Getöse fielen die herausgeschnittenen Kohlebrocken auf den Panzerförderer, dessen starke Doppelketten sich unaufhaltsam bewegten. So beförderten sie die Kohle in die Fußstrecke am unteren Ende des Strebs, wo sie auf den Fußstreckenpanzer herabfiel, der sie mit ständig bewegenden schweren Ketten weiter transportierte.

      Bonhoff konzentrierte sich auf die große Maschine, die mit brachialer Gewalt die Meissel ihrer Walzen in die Kohlewand hineinstieß. Ein Teil des schwarzen Staubs wurde mit Wasserdüsen, die am Walzenschrämlader angebracht waren, gebunden und nach unten gezogen. Von der Kopfstrecke aus sorgten Bewetterungsrohre für Frischluftzufuhr.

      Die Zeit wollte an diesem Tag nicht vergehen. Die Männer arbeiteten mechanisch. Sie alle waren gut ausgebildet, sodass jeder die Aufgabe eines anderen übernehmen konnte. Das brachte Bonhof auf den Gedanken, dass sie alle entbehrlich waren. Kein schöner Gedanke.

      Störung am Bandstreckenpanzer!

      Durch den Strebfunk konnten die Männer deutlich hören, wie die Grubenwarte bekanntgab, dass die Förderung bis auf Weiteres stehen bleiben sollte. Für diesen Tag war die Schicht beendet.

      Bonhoff sah, wie sich Tremante dem Steiger Remmark anschloss. Die beiden Männer verließen mit schnellen Schritten den Streb in Richtung Fußstrecke, sodass Bonhoff keine Chance hatte, ihnen zu folgen.

      Er wartete eine Weile. Doch nichts geschah. Er blieb allein. Das Gefühl, nicht wirklich zu dieser Gemeinschaft zu gehören, hatte er schon lange. Immer wieder beobachtete er, wie sich die Jungs aus seiner Partie zusammenschlossen und diskutierten, ihn aber nicht daran teilhaben ließen.

      Bisher hatte ihm jedoch die Gewissheit genügt, dass er auf die anderen zählen konnte, wenn man in eine gefährliche Situation geriet. Auf diese Loyalität hatte er sich noch immer verlassen können.

      Bis jetzt.

      Mit mulmigem Gefühl folgte er den Männern aus seiner Gruppe. Er schlängelte sich durch das enge Fahrfeld an der Schrämmaschine vorbei zur Fußstrecke, um von dort auf die Hauptstrecke der sechsten Sohle zu gelangen. Als er in den Querschlag einbog, konnte er gerade noch sehen, wie die Kameraden im Zugang zum Bandberg II verschwanden. Das bedeutete, dass sie zur fünften Sohle fuhren, dorthin, wo Dempler verunglückt war.

      Ohne zu überlegen sprang er ebenfalls auf das Band, das in hohem Tempo durch den finsteren Tunnel fuhr. Seine Kopflampe hatte er schon vorher ausgemacht, um nicht bemerkt zu werden. Oben angekommen schwang er sich an eine der Ketten, mit denen die Bandkonstruktion am Ausbau befestigt war. Die Kopflampen seiner Arbeitskollegen konnte er schon von Weitem sehen.

      Sie standen neben dem Bandantrieb an der Bandwendeanlage. Eine Lampe hing direkt über ihnen, was es ihm leichter machte, die Bewegungen und Gesten seiner Kameraden zu sehen. Nur konnte er kein Wort verstehen. Am Abwurf fielen die Kohlenbrocken mit lautem Getöse in den Trichter und von da auf das nächste Band Richtung Warndt. Das einzige, was Bonhoff wahrnehmen konnte, war die große Aufregung, die unter den Männern herrschte.

      Nur wusste er nicht so genau, was diese Aufregung ausgelöst hatte. Trauer? Das konnte sich Bonhoff nicht vorstellen. So dick war niemand mit Dempler befreundet gewesen. Also was erregte die Männer wirklich?

      Plötzlich spürte er eine Hand an seiner Schulter. Erschrocken drehte er sich um.

      Hans Rach grinste ihn an. Bonhoff erschrak. Ihn hatte er vergessen.

      »Na, Mimose«, meinte er grinsend, womit er Bonhoff schon gleich dort hatte, wo er ihn haben wollte. Er hasste diesen Spitznamen.

      »Du musst uns nicht nachspionieren. Stell dich dazu!«

      Das Grinsen im Gesicht des Kollegen wirkte hämisch.

      Bonhoff schaute sich um und sah mit klopfendem Herzen, wie sich ihm auch die anderen Kameraden näherten.

      Sollte er jetzt erfahren, was mit Peter Dempler wirklich passiert war?

      *


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