Kullmann unter Tage. Elke Schwab

Kullmann unter Tage - Elke Schwab


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hatte. Aber er hatte nichts Verdächtiges feststellen können. Dabei war ihm in Erinnerung geblieben, dass die Grube Warndt mit der Grube Velsen unterirdisch verbunden war. Hinzu kam, dass die Schließungen für das Jahr 2012 inzwischen beschlossene Sache waren. Ein Thema, das trotz allem immer wieder heiß diskutiert wurde.

      Und nun tauchte ein Bergmann am Seil des Personenförderkorbs auf und wurde zwischen Stahlseil und Seilscheibe zu Tode gequetscht.

      Das klang für Kullmann auf keinen Fall nach einem Unfall, wie es die Zeitung mit dem Artikel andeuten wollte. Das klang nach Mord.

      Aber sein Telefon stand still. Stattdessen saß seine Frau ihm mit einem vorwurfsvollen Gesichtsausdruck gegenüber.

      »Ich kann dich beruhigen«, meinte Martha in die Stille, die am Küchentisch ausgebrochen war, nahm die Kaffeekanne und schenkte Kullmann ein. »Anke kommt am Freitag zurück. Spätestens nächste Woche bist du wieder im Boot.«

      Kullmann brummte. Nächste Woche könnte zu spät sein, dachte er sich. Sagte aber nichts dazu. Er wollte seine Frau nicht verärgern. Die Geduld, die sie bisher immer bewiesen hatte, wollte er nicht überstrapazieren. Also schenke er ihr ein Lächeln und trank weiter von seinem Kaffee.

      *

      Michael Bonhoff ahnte, dass es gefährlich werden könnte, was er gerade tat. Peter Demplers Tod aber war so spektakulär, dass er alle seine Bedenken über Bord warf. Keiner der Bergleute brach sein Schweigen nach außen. Auch nicht gegenüber der zuständigen Bergpolizei. Und schon gar nicht bei der Kriminalpolizei. Allen war daran gelegen, die Arbeit bis zur Schließung zu behalten. Welche Berufe kämen sonst noch für sie infrage? Der Gedanke an Bürotätigkeit ließ jedem Bergmann schaudern. Ebenso die Vorstellung der Arbeitslosigkeit. Das Leben in den Grubensiedlungen, die eigens für die Bergleute gebaut worden waren, würde ohne die intakten Bergwerke schal und langweilig werden. Die Bergleute liebten ihren Job, sie liebten die körperliche Arbeit, die Herausforderung und die Kameradschaft. Keine Sekunde davon wollten sie verschenken. Niemand von ihnen wollte in die Übertagearbeit, denn das bedeutete Kontrolle, Überwachung. Etwas total Fremdes für sie.

      Bonhoff empfand das genauso. Und doch stand er vor dem großen Gebäude der Landespolizeidirektion in Saarbrücken, um dort hineinzugehen und eine Aussage zum Tod von Peter Dempler zu machen.

      Die Idee, wieder umzukehren und alles noch einmal zu überdenken, schlich sich in seinen Kopf. Vielleich sah er wirklich Gespenster. Vielleicht hatten seine Kameraden sogar recht, dass sie ihm den Spitznamen Mimose gaben. Vielleicht, ganz sicher, ganz bestimmt. Seine eigene Unentschlossenenheit ging ihm auf die Nerven.

      Plötzlich drang eine Frage an sein Ohr: »Kann ich Ihnen helfen?«

      Erschrocken schaute sich Bonhoff um und erblickte einen Polizeibeamten in Uniform, der im Türrahmen eines runden, niedrigen Gebäudes stand und ihn streng anschaute.

      »Äh, ja. Ich möchte zu Kommissar Grewe.«

      »In welcher Abteilung arbeitet Kommissar Grewe?«

      »Er ist Kriminaloberkommissar und bearbeitet den Todesfall auf der Grube Warndt.«

      »Sind Sie angemeldet? Oder vorgeladen?«

      »Weder noch«

      »Dann brauche ich Ihren Namen.«

      Bonhoff fühlte sich bereits wie in einem Verhör. Er überlegte, schnell das Weite zu suchen, als sein Gegenüber sagte: »Ich habe gerade Dienststellenleiter Schnur am Telefon. Er möchte Ihren Namen wissen.«

      »Michael Bonhoff.«

      Plötzlich änderte sich alles vor Bonhoffs Augen. Der Beamte lächelte freundlich, gab ein Zeichen, ihm zu folgen, und steuerte mit schnellen Schritten die letzte Tür des langen Gebäudekomplexes an.

      »Im dritten Stock«, erklärte er noch am Fahrstuhl und verabschiedete sich.

      Oben angekommen stand ein Mann mit kurzen, krausen Haaren im Flur und begrüßte ihn mit den Worten: »Ich bin Hauptkommissar Jürgen Schnur. Sie wollen mit uns über den toten Bergmann sprechen?«

      Bonhoff fühlte sich ertappt. Unsicher folgte er dem Hauptkommissar. Sie durchschritten einen langen Gang, bis Schnur anhielt und ihn in ein lichtdurchflutetes Büro bat. Dort ließen sie sich zu beiden Seiten des Schreibtisches nieder.

      »Wie standen Sie zu dem Toten und welche Hinweise haben Sie für uns?«

      »Ich habe in derselben Partie mit ihm gearbeitet. Da ist mir so manches aufgefallen.« Bonhoff sah dem Kripobeamten die Aufregung deutlich an, die sich plötzlich auf dessen Gesicht abzeichnete. Trotzdem blieb er vorsichtig.

      »Ich rufe meine Kollegen«, sagte Schnur und begann zu telefonieren.

      »Ich habe gehört, dass Anton Grewe hier arbeitet«, funkte Bonhoff dazwischen. »Eigentlich wollte ich mit ihm sprechen.«

      »Kein Problem. Er ist ebenfalls auf dem Weg hierher.«

      Es dauerte nicht lange und Schnurs Mitarbeiter füllten den Raum.

      Bonhoff starrte jeden prüfend an, bis sein Blick an dem Mann mit den schwarzen Haaren hängen blieb. Sofort schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

      Der Polizeibeamte reagierte nicht.

      Dafür alle anderen in dem Büro. Alle ließen ihre Blicke zwischen den beiden Männern hin und her wandern und warteten, was nun kommen würde.

      »Erkennst du mich nicht mehr?«, frage Bonhoff.

      Anton Grewe richtete sich auf, schaute den schlanken Mann in verwaschenen Jeans und Baumwollhemd, das unter der schwarzen Lederjacke hervor lugte, an. Der Fremde trug seine dunkelblonden Haare sehr kurz geschnitten, was sein schmales Gesicht und vor allem seine lange Nase betonte. Die dunklen Augen des Besuchers sahen geschminkt aus, als habe er mit einem Kajal-Stift einen schwarzen Strich unter den Lidern gezogen. Es verlieh seinem Gesicht einen besonderen Ausdruck. Tiefe Lachfalten hatten sich um seinen Mund gebildet, den ein Dreitagebart einrahmte.

      Nach einigen Minuten schüttelte Grewe nur den Kopf und murmelte: »Tut mir leid.«

      »Ich bin es«, sprach der Mann weiter. »Mimose!«

      Grewe atmete hörbar tief ein.

      »Dieser Spitzname sollte dir doch etwas sagen«, sprach Bonhoff weiter. »Wir haben mal zusammen im Stoß gearbeitet.«

      Grewes Augen wurden groß. Alle starrten ihn an. Kein Geräusch unterbrach die Stille.

      »Jetzt erinnere ich mich«, stieß Grewe endlich aus. Er schüttelte den Kopf, schaute dabei jedoch nicht auf Michael Bonhoff, sondern auf den Boden. Trotzdem konnten alle sehen, wie sein Gericht rot anlief.

      *

      Schnur fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Anton Grewe war ein ehemaliger Bergmann und er hatte nichts davon gewusst. Da stand er hilflos vor einem Todesfall in einer ihm völlig fremden Welt und in seinen eigenen Reihen befand sich ein Fachmann, der es nicht für nötig hielt, sein Wissen in die Ermittlungsarbeiten einzubringen.

      Das musste er mit Grewe besprechen. Während sich die Laune seiner Mitarbeiter um ihn herum verbesserte, weil sich alle über diese Enthüllung freuten, verdunkelte sich Schnurs Stimmung zusehends. Es war Andrea, die plötzlich innehielt und die anderen mit ihrer Mimik auf den Dienststellenleiter aufmerksam machte. Augenblicklich wurde es wieder ruhig.

      Grewe ahnte bereits, was in seinem Chef vorging. Also kam er ihm zuvor, indem er sagte: »Von April 1986 bis November 1990 habe ich als Bergmann auf der Grube Warndt gearbeitet.«

      »Du erinnerst dich aber plötzlich sehr genau an die Daten«, bemerkte Schnur bissig.

      Die Temperatur in dem Zimmer schien schlagartig zu sinken. Die Freude, die diese Neuigkeit zunächst ausgelöst hatte, war verschwunden. Alle Beamten wirkten betroffen. Bis auf Andrea. Mit einem Schmunzeln meinte sie: »Du wirst diese sprudelnde Quelle an Informationen über den Bergbau doch nicht schon gleich versiegen lassen, bevor sie eine Chance hatte, sich hier zu beweisen?«

      Verwirrt


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