Höllentrip. Manuela Martini

Höllentrip - Manuela Martini


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Squad“, sagte er laut, hielt seinen Ausweis hoch, auf dessen Lichtbild sein gelocktes Haar noch mehr dunkelbraun als grau war, „hinter dem Spielfeld ist die Leiche einer jungen Frau gefunden worden. Ich möchte Sie bitten, hier zu bleiben und meinen Kollegen alles zu berichten, was Ihnen aufgefallen ist.“

      Sie sahen ihn, den Detective aus der Stadt, abschätzend an. Ein Mann, um die fünfundvierzig, stiernackig, mit kompakten Oberkörper und Beinen, lehnte an der Theke des Kiosks und griff nach einer Flasche.

      „Eine Coke, Detective?“

      Shane nickte dankbar.

      „Barry Denham“, sagte der Mann und gab ihm die geöffnete Flasche. „Ich hab’ Sie mit Jane drüben gesehen.“ Er sprach gedehnt, lässig, wie jemand, dem man besser nicht in die Quere kam. Barry nahm einen Schluck aus der Bierflasche. Ihre Augen ähneln sich, dachte Shane. Seine kieselblauen und Janes silbergraue. Ein Grinsen zog sich über Barrys narbiges Gesicht. Wahrscheinlich hatte er in seiner Jugend an Akne gelitten. Dennoch war er das, was man attraktiv nennen würde. Barry trug enge Reithosen, die seine muskulösen Beine hervortreten ließen und am Hintern und an den Knien von Dreck verschmiert waren. Sein grünes Trikot mit der Nummer acht war schweißdurchtränkt. Seine Bewegungen, wie er die Flasche nahm und wie er so auf einen Ellbogen gestützt an der Theke lehnte, waren energisch und zielbewusst, und wenn er lachte, blitzten seine gesunden Zähne. Ein Typ, der genau wusste, was er wollte – und davon überzeugt war, Recht zu haben. Ein paar Männer raunten sich untereinander etwas zu, drei Jungs in Spielertricots begannen eine leere Bierdose herum zu kicken. Ein Hund bellte und stürzte auf die Dose, biss hinein, die Jungs lachten und einer von ihnen warf eine neue auf den Boden. Der Hund hielt inne, im Konflikt, ob er die alte Dose aufgeben und sich die neue schnappen oder sich mit der alten zufrieden geben solle. Noch nicht einmal bellen konnte er mit der Dose im Maul. Die Jungs spielten weiter.

      Shane schüttete die kalte Coke hinunter, ahnte, dass er gleich noch mehr schwitzen würde, obwohl er im Schatten stand. Barry wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und blinzelte in die gleißende Helligkeit, die sich jenseits des schattenspendenden Blechdachs endlos ausdehnte. Seine Hände waren rissig und aufgeschürft. Shane blickte ihm ins Gesicht. Er musste beginnen, seine Fragen zu stellen, Antworten anzuhören – dreiste Lügen, Unverschämtheiten und Beleidigungen.

      „Fand letzte Woche hier auch ein Turnier statt?“, fing er also an.

      „Nein. Aber ein paar aus der Gegend haben ein bisschen trainiert“, antwortete ein älterer Mann mit lederner Haut, der neben Barry an der Theke stand.

      „Wer wusste, dass hier ein Turnier stattfinden würde?“

      „Jeder, der sich dafür interessiert hat!“, sagte nun eine dicke Frau, die auf einem der wenigen Stühle saß und ein Kind mit hängendem Kopf und schlaffen Armen wie eine Puppe, an sich drückte. „Gab ja überall Plakate“.

      „Hier sind immerhin drei Teams aus New South Wales, South Australia und natürlich wir Queensländer“, sagte der alte Mann.

      Shane musterte Barry Denham.

      „Wollten Sie noch etwas sagen, Barry?“

      „Ich?“, sagte Barry, ,,ja, verdammt, finden Sie diesen Mistkerl!“

      „Ja“, stimmte jemand zu, und die dicke Frau mit dem Kind rief:

      „Ist ein verdammt unangenehmes Gefühl, zu wissen, dass ein Mörder frei herumläuft!“

      „Genau!“, „Recht hat sie!“, „Das Schwein muss gefunden werden!“, kam es aus der Menge.

      Wie gut kannte er das alles. Jetzt demonstrierten sie Geschlossenheit, später würden sie sich hinter Lügen verschanzen, unangenehme Wahrheiten zurechtbiegen. Er kannte seine Rolle, also rief er:

      „Wir tun alles, was wir können! Aber dazu brauchen wir Ihre Unterstützung! Teilen Sie meinen Kollegen alles mit, was Ihnen aufgefallen ist!“

      Die Menge um ihn herum verwandelte sich, wurde zu der Gruppe Eltern, vor der er in einem Schulhaus in Caboolture stand. Sie schrien ihn an, den Mörder ihrer Kinder zu finden. „Das Schwein muss gefunden werden!“ Mit ihren Blicken hielten sie ihn fest und forderten ein Versprechen.

      Da riss ihn ein Scheppern ins Jetzt. Einer der Jungen hatte die Bierdose an den Blechverschlag geschossen. Der Hund bellte. Jetzt. Alles geschieht jetzt. Der Ort heißt Chinchilla. Es ist Samstag. Chinchilla, nicht Caboolture… sagte die Stimme in seinem Kopf.

      „Sollen wir mit den Befragungen beginnen, Detective?“ Ein uniformierter Kollege stand vor ihm.

      „Ja, fangen Sie an!“ Erleichtert sah er Tamara mit dem Wagen heranfahren, verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken und stieg ein.

      „Shane, wir müssen unbedingt die Aircondition reparieren lassen!“, stöhnte sie als er einstieg. „Diese Hitze ist eine Zumutung!“ Auf ihrem Gesicht standen kleine Schweißperlen. Sie schluckte. „Mein Gott, Shane. Vorhin, bei diesem Anblick wäre mir fast schlecht geworden.“

      Er brachte kein aufmunterndes Wort über die Lippen, sondern dachte noch immer an die Sache in Caboolture. Sie blickte noch einen Augenblick durch die Windschutzscheibe, dann fuhr sie an. Die Räder des Allrad-PKWs pflügten mühelos durch den weichen Sand. Er hatte einen Job zu erledigen, in dem er nicht versagen durfte. Das war das einzige, das im Moment zählte.

      Kapitel 3

      Joanna O’Reilly hetzte mit ihrer großen Mappe unter dem Arm den Korridor der Kinderabteilung des Brisbaner Royal Hospital hinunter. Sie war spät dran, die Auseinandersetzung am Morgen mit Marc hatte sie viel Zeit und Nerven gekostet. Sie fühlte sich erschöpft und war traurig und wenn sie ein weniger disziplinierter Mensch wäre, hätte sie sich heute krank gemeldet. „Du glaubst, ohne dich geht es nicht“, warf ihr Marc öfter vor. Letztes Mal hatte sie daraufhin einfach ja gesagt. Sie fühlte sich ihren Patienten gegenüber verantwortlich und konnte nicht so einfach zu Hause bleiben, wie Marc als Bankangestellter. Doch er verstand das nicht.

      Zehn nach neun, sah sie im Vorüberhasten an der großen Uhr über dem Stationszimmer. Ihre Sandalen mit den schlanken Absätzen waren zwar schön aber nicht zum Schnellgehen geeignet. Doch sie unterstrichen ihre langen Läuferinnenbeine und passten zu ihrem kurzen Sommerkleid mit den feinen Querstreifen in oliv, orange und weiß.

      „Hi, Joanna, er hat schon nach dir gefragt!“, rief ihr Schwester Patricia-Mae zu. Joanna nickte schnell, eilte weiter den Gang entlang, an dessen Ende sie bereits die imposante Gestalt des Stationsarztes Dr. Aylett entdeckte, der vor einer Tür stehen geblieben war. Sie verabscheute es, zu spät zu kommen.

      „Sorry“, stieß sie atemlos hervor. Ihr fiel wieder mal auf, wie langweilig er doch wirkte, mit seiner milchigen Haut und dem schwammigen, faltenlosen Gesicht, das im Laufe seines vierzigjährigen Lebens nicht markanter, sondern eher noch konturloser geworden war.

      „Sie haben gestern einen Jungen aus dem Hospital in Charleville hergebracht“, sagte er ohne Einleitung. „Seit einer Woche hat er kein Wort gesprochen.“

      Joanna O’Reilly stieg sein After Shave in die Nase und nahm ihr beinahe den Atem. Dabei hätte sie sich nach einem Jahr seitdem sie in der Brisbaner Klinik als Kunsttherapeutin vier Tage die Woche arbeitete, schon daran gewöhnen müssen. Obwohl eine Menge Mitbewerber den Job wollten, hatte man sie genommen. Ihr Einfühlungsvermögen, ihre Geduld und ihre Intuition hatten nicht nur die Personalchefin sondern auch eben Dr. Aylett beeindruckt. Sie kam gut mit Menschen klar, auch mit denen, die ihr und ihrer Arbeit eher skeptisch gegenüber standen. Und Bemerkungen von Neidern, die behaupteten, sie habe den Aborigine-Bonus, ignorierte sie einfach.

      Dr. Aylett drückte ihr eine dünne Mappe in die Hand.

      „Ein Truckfahrer hat ihn gefunden. Stand auf einmal mitten auf der Straße. Er meidet jeden Kontakt, hat autistische Züge, spricht nichts. Wir wissen nichts, noch nicht mal seinen Namen. Finden Sie raus, was passiert ist! Bringen Sie ihn zum Sprechen!“

      Sie


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