Höllentrip. Manuela Martini
folgte ihm in den nachtdunklen Garten, in dem das weiße Licht aus dem Wohnzimmer versickerte. Der Garten – ein Stück verbranntes Gras, umgeben von dürren Büschen, die das Grundstück von dem der Nachbarn abgrenzte, vier Plastikstühle und ein wacklig aussehender Metalltisch auf dem trockene Zweige lagen. Die Zikaden zirpten schriller. Herb drehte den Gashahn des Grills, der neben dem Tisch stand, auf.
„Barry Denham hat seine Frau verprügelt,“ sagte er unvermittelt.
„Jane?“, fragte Shane und sah die hellhäutige Fotografin vor sich, wie sie mit zitternden Händen die Zigarette hielt - dann Barry und seine kraftstrotzenden Arme und Beine. Herb nickte.
„Auch seine Freundin. Er hatte immer Freundinnen, auch noch als die Kinder zu Hause waren. Sie sind jetzt auf der Schule in Brisbane.“
Er nahm die Steaks aus der Tupperware und legte sie auf den heißen Grill, wo das Fett zischte. Herb berichtete, dass vor Monaten jemand aus der Kneipe Hotel Chinchilla seine Kollegen gerufen habe, da Barry dort ausgerastet und erst seine Freundin und dann blind um sich geschlagen habe.
„Könnte er den Mord begangen haben?“, fragte Shane.
Herb wendete die Steaks.
„Er hat `ne Farm.“ Er blickte auf. „Wieder `ne Dürre. Gefallene Preise für Rinder, Schafe, was weiß ich. Wieder `ne Flut. Wenn man ausgeliefert ist, schlägt man öfter mal um sich, oder?“
Wie oft hatte Shane das schon gehört. Als wäre damit Gewalt sanktioniert. Becky rief von drinnen, wie weit die Steaks wären.
„Gleich fertig, Honey!“, rief Herb zurück.
Mit einer Gabel hob er ein Steak hoch, besah sich die Unterseite, drückte es mit der Gabel auf den Rost.
„Kartoffeln sind fertig!“, rief Becky.
Sie setzten sich drinnen an einen runden, abgestoßenen Tisch zwischen Küche und Couch. Das Deckenlicht war grell und ungemütlich. Doch Becky und Herb waren daran gewöhnt. Vielleicht hatten sie nie darüber nachgedacht oder vielleicht gefiel es ihnen auch. Keine dunklen Winkel, in denen etwas lauerte. Kaum stand das Essen auf dem Tisch, ergriffen die beiden ihr Besteck und begannen in ungeheurem Tempo zu essen.
„Ich muss an die Tote denken“, sagte Becky in das Schweigen hinein. „Sie war noch so jung. Sie hat doch sicher geglaubt, sie würde noch mindestens fünfzig Jahre leben...“
Herb hob erstaunt den Kopf.
„Was du dir für Gedanken machst!“ Zu Shane gewandt sagte er: „Becky hat immer Mitleid mit den Opfern.“
Becky schien seine Bemerkung peinlich zu sein.
„Greifen Sie nur zu, Shane!“, beeilte sie sich zu sagen und deutete auf die Schüssel Kartoffeln. „Wie sind die Steaks? Okay?“
„Sehr gut, danke“, antwortete Shane mit halbvollem Mund.
„Übrigens“, Herb fuchtelte mit der Gabel, „haben Sie von dem Jungen gehört, den der Fahrer eines Viehtransports mitten auf dem Highway aufgelesen hat?“ Herb schluckte den Bissen hinunter und steckte sich das nächste Stück blutigen Fleischs in den Mund. Shane schüttelte den Kopf.
„Hat einfach mitten auf der Straße gestanden, mutterseelenallein.“
Becky seufzte und sagte, ohne von ihrem Teller aufzusehen:
„Manche Menschen sollten einfach keine Kinder haben. Haben Sie Kinder, Shane?“
„Ja, eine sechzehnjährige Tochter.“ Mehr sagte er nicht und verdrängte die Gedanken an Pams Anruf vor zwei Tagen. Zuerst hatte er erwartet, sie brauche seinen Rat, weil sie vielleicht unvorhergesehen schwanger geworden war. Stattdessen sagte sie: Mum will wieder heiraten. Er hieß Frank, war achtundfünfzig, dreizehn Jahre älter als Kim und behandelte diese – so schilderte es Pam – wie eine Königin. Mum ist nicht mehr zum Aushalten, hatte Pam gestöhnt. Ich will nicht, dass sie heiraten! Kannst du nicht mit ihr reden? Wenn wir zu ihm ziehen, dann komm’ ich zu dir. Er hatte sie beruhigen müssen, sagte: so schnell heiratet man nicht, Pam. Doch sie bestand darauf, dass er mit Kim redete, dabei konnte er sich Kims Antworten schon vorstellen konnte: Frank wird sich wenigstens um sie kümmern, was du nie getan hast und er würde sich dann an all die Abende und Wochenenden erinnern, an denen er Überstunden gemacht und bis zum Hals in einem Fall gesteckt hatte, und seine Familie nichts weiter war als zwei Menschen, die ihm immer fremder wurden. Ich muss sie morgen endlich anrufen, dachte er.
„Wir haben keine“, unterbrach Becky seine Gedanken und legte das Besteck auf ihren leeren Teller. Es hätte keine besondere Beobachtungsgabe gebraucht, um aus ihrer Äußerung einen traurigen Ton herauszuhören. Kaum war der Satz ausgesprochen, stand Herb auf und trug die leere Fleischplatte und ihre beiden Teller in die Küche. Shane fiel auf, dass er noch nicht einmal die Hälfte des Steaks gegessen hatte.
Becky warf Shane ein schnelles Lächeln zu.
„Aber man kann ja nicht alles haben, nicht wahr?“
Sie hatten einen verminten Weg betreten und Shane war erleichtert als sich Becky in die Küche zurückzog und er mit Herb auf der kleinen mit Fliegennetz geschützten Veranda saß.
„Hier ist schon mal eine Frau verschwunden“, erzählte Herb, nahm einen Schluck aus einer weiteren Bierflasche und sah hinauf in den schwarzen Nachthimmel, in dem Millionen Sterne glitzerten. „Sie war auf der Durchreise, ihre Spur verliert sich hier. War letztes Jahr, ungefähr dieselbe Zeit.“
Die Zikaden waren lauter geworden. Shane hörte ein Auto auf der anderen Seite des Hauses vorbeifahren.
„Wir haben den Fall nicht aufgeklärt. Haben irgendwann gehofft, dass die Frau einfach ihre Identität geändert und ein neues Leben angefangen hat. Ich erinnere mich noch genau an ihren Namen.“ Herb blickte versonnen durch das Fliegengitter in den Garten, auf dem das Licht aus dem Haus ein graues Rechteck warf.
Shane blieb noch eine Weile, dann verabschiedete er sich. Als Becky Shane zur Tür brachte glaubte er in ihren Augen einen Anflug von Resignation zu erkennen. Sie stand im erleuchteten Rahmen der Tür und winkte ihm nach.
Das Motel lag nur wenige Straßen weiter, den Weg hatte Herb ihm erklärt. Er ging an vergessenen Vorgärten vorbei, an Häusern, in denen Fernseher wechselnde Lichter an die Zimmerwände warfen, Stimmen und Musik aus geöffneten Fenstern drangen. Die Zikaden waren unermüdlich, nur die Moskitos hatten sich schon zur Ruhe begeben.
Kaum zwanzig Minuten später stand er vor dem Motel, einem Flachbau mit beleuchteten, nummerierten Türen, vor denen Autos parkten. Aus seiner Hosentasche zog er den Schlüssel, den Herb ihm bereits im Büro gegeben hatte. Sein persönliches Gepäck hatte Tamara im Auto mitgenommen. Er bemerkte den Dienstwagen vor der Nummer sieben, und blickte auf den Schlüsselanhänger in seiner Hand. Nummer acht. Er schloss die Tür auf. Die Klimaanlage hatte eine angenehme Kühle geschaffen. Bevor er sich hinlegte, schaltete er sie aus. Das Stottern und Gurgeln erstarb. Als er die Augen schloss, befand er sich wieder in dem Wäldchen vor der Grube, in dem die Tote lag. Das Loch in der Schläfe, das blonde Haar, alles sah er wieder deutlich vor sich. Der Mord war schon vor Tagen geschehen, hatte Eliza gesagt. Der Mörder hatte vielleicht gerade begonnen, sich in Sicherheit zu wiegen. Shane drehte sich auf den Bauch und versuchte zu schlafen. Doch eisblaue und silberfarbene Augen verfolgten ihn.
Kapitel 6
Shanes Nacht wurde miserabel. Moskitos, die durch eine undichte Stelle im Fliegennetzfenster eingedrungen sein mussten, quälten ihn. Als er in der Nacht plötzlich hellwach wurde, blätterte er in der letzten Ausgabe des Australien Police Journal, das er sich mitgebracht hatte. Mitten in einem Artikel über einen zwanzigjährigen Junkie, der seinen Freund ermordete und zerstückelte, fielen ihm dann irgendwann die Augen zu.
Müde schleppte er sich am Morgen zu Fuß ins Büro, der Dienstwagen vor der Nummer sieben war schon verschwunden, als er in den noch kühlen Morgen hinausgetreten war. Tamara saß bereits am Schreibtisch und gähnte.