Höllentrip. Manuela Martini

Höllentrip - Manuela Martini


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noch, dass er zu lange auf ihren Busen starrte, der sich unter ihrer engen Bluse abzeichnete. Rasch verzog er sich auf seinen Platz.

      Detective Constable Miller, eine dieser attraktiven, patenten Frauen, die stets für gute Laune und Essen sorgten, hatte Kaffee gekocht, weil der von der Sekretärin abscheulich schmeckte, wie sie behauptete, und ein paar Sandwichs mitgebracht.

      Das Missing Persons Bureau hatte eine Liste geschickt, mit elf Namen und den zugehörigen Fotos von weiblichen Personen zwischen fünfzehn und vierzig, die innerhalb der vergangenen Woche in Australien als vermisst gemeldet worden waren. Zwei von ihnen, Melissa Rule und Jessica Wheeler, ähnelten auf den ersten Blick der Toten. Beide wohnten in New South Wales. Viele hundert Kilometer von Chinchilla entfernt. Von Dr. Eliza Lee war ebenfalls eine Nachricht eingetroffen. Die Tote trug eine eingehängte Zahnprothese der oberen vier Schneidezähne mit metallenem Gaumenstück. Eine nicht sehr alltägliche Arbeit. Jeder Zahnarzt würde sich daran erinnern. Alle weiteren Ergebnisse würde sie hoffentlich bis heute Abend mitteilen können, schrieb sie.

      Shane vertiefte sich noch einmal in die Angaben auf der Vermisstenliste. Sie würden also ganz von vorne anfangen müssen: das Bild der Toten herumzeigen, Zahnärzte befragen...

      Er überlegte kurz, ob er jetzt Pam anrufen solle. Acht Uhr am Sonntag – wie konnte er nur auf so einen Gedanken kommen? Kim und Pam schliefen mindestens bis neun und auch wenn heute Montag wäre, könnte er sich den Anruf ersparen. Dann war Pam in der Schule und Kim machte sich gerade auf den Weg zu ihrem Job in diesem Verwaltungsbüro. Warum nur wollte sie wieder heiraten?, fragte er sich. Er fühlte, wie die Frustration in ihm aufstieg - und verletzte Eitelkeit, Neid. Weil sie es geschafft hatte, ihrem Leben einen neuen Fixpunkt zu geben. Er hingegen verlor seinen Fixpunkt immer weiter aus den Augen. Nein, eigentlich hatte er schon lange keinen mehr.

      „Shane!“ Tamaras Stimme riss ihn aus seinen Grübeleien. „Wir haben einen Hinweis!“

      Kapitel 7

      Alice Monroes immenser Oberkörper war in ein rosafarbenes unförmiges T-Shirt verpackt. Lockenwickler spickten ihren Kopf. Sie hielt die Zeitung mit dem Phantombild in den Händen, das eine gesichtslose Frau mit rotgebatiktem T-Shirt und Jeansrock zeigte. Shane schätzte Alice Monroes Alter auf irgendetwas zwischen fünfzig und siebzig.

      „Keine Frage! Das ist sie! Bert!“, rief sie schrill, hinter ihrem Tresen stehend, auf dem sich zwischen Kaugummibehältern und Ständern mit Postkarten und Schlüsselanhängern Zeitschriften stapelten. Ein kleiner Mann um die Siebzig mit hängenden Schultern, rundem Rücken und großer Brille schlurfte aus dem Hinterzimmer des Ladens heran.

      „Was zum Teufel schreist du so?“ krächzte er.

      „Bert, die Polizei ist hier! Und die Tote ist Romaine!“ Ihr teigiges Gesicht wabbelte. Ohne Gruß nahm er ihr die Zeitung aus der Hand, hob seine Brille ein wenig hoch und kniff angestrengt die Augen zusammen.

      „Da ist doch gar kein Gesicht drauf!“, brummte er verärgert.

      „Aber die Kleidung und die Haare!“, meinte Alice, „Bert!“

      Irgendetwas Unverständliches murmelnd legte er die Zeitung auf die Theke, zuckte die Schultern und ließ die Brille wieder auf den Nasenrücken zurückfallen.

      „Ohne Gesicht weiß ich nicht, wer das ist.“ Er schüttelte den Kopf. „Solche Kleider kann jede anhaben.“ Er warf einen kurzen Blick auf Alice: „du besser nicht.“

      „Elender Hund!“ knurrte sie. Wortlos schlurfte er wieder ins Hinterzimmer zurück.

      „Ich bin mir sicher!“, sagte sie aufgeregt nickend zu Shane und Tamara, „sie hat hier meistens ihre Zigaretten gekauft. Marlboro Lights. Vier bis fünf Schachteln die Woche. Und manchmal auch die Women’s Weekly.“

      „Danke.“ Shane steckte das Bild wieder ein.

      „Mein Gott!“ Sie schlug die Hand vor den Mund. „Sie war wirklich die ganze letzte Woche nicht da!“

      „Wissen Sie, wie sie genau heißt oder wo sie wohnt?“, fragte nun Tamara.

      „Moment, ich hab´s gleich.“ Die Furchen auf Alice Monroes Stirn wurden tiefer. „Jetzt fällt’s mir ein! Sie heißt Stavarakis. Romaine Stavarakis. Sie wohnt, oh Gott, ich meine, sie wohnte hier, in Chinchilla, mit ihrem Cousin. Ed Fraser, heißt er.

      Romaine Stavarakis’ Haus lag am Ortsausgang von Chinchilla. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befanden sich nur noch zwei weitere Häuser, Holzhäuser, von denen die Farbe abblätterte. Auch Romaines Haus hätte einen frischen Anstrich und ein paar Reparaturen der Fenster vertragen können. Die Trockenheit setzte den Vorgärten zu, Sträucher waren dürr und die Rasenflächen braun. Auf einem Grundstück hing Wäsche auf der Wäschespinne. Hinter den beiden Nachbarhäusern drehte sich quietschend ein rostiges Windrad, das eine Wasserpumpe antrieb. Durch die Felder hoher Gräser, die sich an die Häuser anschlossen, blies der Wind Schneisen. Am Straßenrand, vor Romaines Haus, stand ein roter, glänzend polierter allradbetriebener Ford Explorer. Eine Frau mit dauergelocktem blondierten Haar und buntgemusterter, weiter Bluse über einer engen gelben Hose kam mit einem Wäschekorb aus einem der Häuser und steuerte auf die Wäschespinne zu. Als sie Shane und Tamara aussteigen sah, rief sie bestimmt aber nicht unfreundlich:

      „Zu wem wollen Sie?“

      „Wohnt da drüben Romaine Stavarakis?“, rief Shane zurück.

      Sie nickte.

      „Ist das Romaines Wagen?“, fragte Tamara.

      „Sind Sie von der Polizei?“ Sie stellte den Wäschekorb auf den Boden und kam näher

      „Romaine fährt einen weißen Toyota Kombi“, sagte sie, nachdem Tamara ihr den Ausweis entgegengehalten hatte. „Der rote Ford da, ist der Wagen von Ed. Sind Sie wegen ihm hier?“ Die Frau blickte Shane und Tamara einen Moment forschend an.

      Als weder Shane noch Tamara antworteten, fragte sie vorsichtig: „Oder wegen Romaine?“ Wieder blickte sie von Shane zu Tamara. „Sagen Sie bloß, ... Sie wollen doch nicht behaupten, dass... ist sie ... die Tote?“ Ihre Stimme wurde schriller.

      „Wann haben Sie Romaine Stavarakis zum letzten Mal gesehen?“, fragte Tamara anstatt zu antworten.

      „Jesus!“ stieß die Frau hervor, „ich hab’ noch gedacht: komisch, dass sie die ganze Zeit weg ist! Sonst seh’ ich sie immer mal morgens oder wenn sie Wäsche aufhängt. Jesus!“ Sie schlug die Hände vor ihr gerötetes Gesicht, das sicher schon vor Jahren seine Konturen verloren hatte.

      „Mrs...?“, begann Tamara.

      „Bosch. Emily Bosch.“

      „Mrs. Bosch, wann haben ...“

      „Mein Gott“, sie biss sich auf die Lippe, „jetzt weiß ich es wieder. Ich war am Dienstag, nein, warten Sie, am Mittwoch, beim Friseur und da fragte meine Friseuse, ob ich Romaine gesehen hätte, sie hätte vor mir einen Termin gehabt und sei nicht gekommen.“

      „Das war letzten Mittwoch?“, fragte Shane.

      „Ja, genau.“

      „Danke Mrs. Bosch.” Tamara wendete sich zum Gehen.

      Emily Bosch sah ihnen nach, wie sie zu Romaines Haus hinüber gingen.

      Kapitel 8

      Die Gestalt, die ihnen nach mehrmaligem Sturmläuten schließlich öffnete, war spindeldürr, hatte bunt tätowierte Arme, und einen dünnen Pferdeschwanz. Ed Fraser war blass, Mitte oder Ende Dreißig, mit spitzer Nase und tief liegenden ängstlichen Augen. Unter dem ungepflegt wuchernden Schnauzer schimmerten lange, graugelbe Zähne. Ein Junkie sah kaum anders aus, dachte Shane.

      „Verdammte Zeugen Jehovas, was?“, fuhr er sie an. Sein Atem roch nach Alkohol und Zigaretten, das weiße T-Shirt war fleckig und die Jeans waren


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