Höllentrip. Manuela Martini
und Shane merkte, dass er nicht mehr klar denken konnte.
„Wir sehen uns Morgen“, sagte er und stand auf. „Du solltest auch langsam aufhören.“
Tamara unterdrückte ein Gähnen.
Die Abendluft und das Gefühl wieder freien Himmel über sich zu haben, ließen ihn aufatmen. Vögel zwitscherten, eine leichte Brise ging durch die Büsche der Vorgärten. Wenn Jane Denham keine Fotos gemacht und keinen Hund gehabt hätte, dachte er, wäre die Leiche wahrscheinlich niemals entdeckt worden. Und jeder hätte geglaubt, dass Romaine mit George ein neues Leben begonnen hätte – jeder - bis auf den Mörder. Jetzt erst bemerkte Shane, dass er einfach losgegangen war und vor Herbs Haus stand.
Zwei Stunden später hockte er auf den Stufen vor seinem Zimmer und starrte in die Dunkelheit. Bei Herb und Becky hatte er vier Bier getrunken. Der Mond tauchte hinter eine Wolke. Der Dienstwagen stand nicht vor Tamaras Eingang und ihr Fenster war dunkel.
Er ging hinein, stellte die Aircondition auf die höchste Stufe und ging ins Bad. Müde rannen dünne, warme Strahlen aus dem Duschkopf. Seine Muskeln entspannten sich dennoch. Er trocknete sich mit einem fadenscheinigen Handtuch ab. Beleuchtet vom weißen Neonlicht sah er im Spiegel blass und kränklich aus und unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. Er ging zurück ins Zimmer, schaltete das Fernsehgerät an, zappte sich durch vier Programme mit schlechtem Empfang und blieb bei einer Sendung über Polocrosse hängen.
Pferde preschten hinter einem Ball her, Reiter fingen ihn mit ihren Netzschlägern auf, versuchten ihn ins Tor des Gegners zu schleudern. Blitzschnell drehten die Pferde, schlugen Haken, wechselten in Sekunden vom Galopp in den Stand. Donnernde Hufe, aufspritzender Sand. Schwitzende Spieler rangelten beim Einwurf um den Ball, pralle glänzende Pferdeleiber rieben gegeneinander, um dann, sobald einer der Reiter den Ball in seinem Netzschläger gefangen hatte, hinter ihm herzusprengen, ihn vom Tor abzudrängen, fuchtelnde Arme mit Schlägern setzten alles daran, den Ball für sich zu gewinnen. Die Gegner übernahmen den Ball, alle wechselten die Richtung, hetzten nun zum anderen Tor des riesigen Spielfeldes. Zuschauer am Rand des Feldes saßen vor ihren Autos und Pferdeanhängern, zwei Mädchen in Reiterhosen streichelten die Schnauze eines Pferdes, eine von ihnen zog etwas aus der Tasche, wickelte es aus einem Papierchen, legte es auf ihre flache Hand und lachte als das Pferd es mit seinen weichen, fleischigen Lippen aufnahm. Shane starrte auf die Mattscheibe. Das Mädchen hatte dem Pferd ein Stück Zucker gegeben – wie Romaine? Wenn es denn so gewesen wäre – hatte das irgendetwas mit ihrem Tod zu tun? Oder mit ihrem Mörder? Seit anderthalb Tagen ermittelten sie, doch noch immer fehlte eine heiße Spur, eine Fährte, die er aufnehmen konnte, etwas, das sein Jagdfieber erweckte. Doch da war nur diese lähmende Leere in ihm, und er konnte nichts dagegen tun. Auf dem kleinen Tisch unter dem Fenster fand er Teebeutel. Er setzte Wasser auf. Dann machte er einen Schritt nach draußen, um zu sehen, ob bei Tamara nebenan inzwischen Licht brannte. Aber noch immer war alles dunkel. Er schloss die Tür. Das Wasser kochte. Er übergoss den Beutel und legte sich aufs Bett. Der Tee beruhigte seinen Magen und machte ihn schläfrig. Irgendwann ließ ihn ein Geräusch hochfahren. Schlaftrunken richtete er sich auf und horchte in die Finsternis. Er hörte Schritte und eine ins Schloss fallende Tür. Tamara musste gekommen sein. Halb zwei zeigte seine Armbanduhr.
Kapitel 12
Kookaburras und das Geräusch von Tamaras Dusche nebenan weckten ihn. Montag. Wieder ein strahlend heller Morgen. Auf das Frühstück im Motel verzichtete er. Detective Constable Fiona Miller machte weitaus besseren Kaffee. Er überließ Tamara den Wagen und ging die kurze Strecke zur Polizeistation zu Fuß.
Die Morgenluft war noch frisch aber in einer Stunde schon wäre es so heiß, dass man jede Bewegung draußen vermied. Ein Lieferwagen mit einer Aufschrift, die er wegen der geschwungenen Buchstaben nicht entziffern konnte, fuhr an ihm vorbei. Im Vorgarten auf der anderen Straßenseite mähte ein Mann den ohnehin schon kurzen Rasen. In einem winzigen Sandkasten neben der Haustür hockte ein Kleinkind, schlug eine rote Plastikschaufel auf einen Eimer und schrie. Tamara überholte ihn im Wagen, stieg auf die Bremse.
„Willst du mitfahren?“, fragte sie aus dem offenen Fenster.
„Danke, aber ich brauch’ ein bisschen Bewegung.“
„Verlauf dich nicht!“, rief sie lachend und gab Gas.
Kaum hatte er einen Fuß ins Büro gesetzt als Tamara sagte:
„Alan Hall will mit uns reden.“
Shane sah sie überrascht an. „Hat er schon so früh angerufen?“
Bevor sie antworten konnte, klopfte es und die Sekretärin, eine korpulente Frau in den Fünfzigern, mit rot geschminkten Lippen und blonden Dauerwellen, kam mit einem Tablett herein und stellte eine Kanne Kaffee und einen Teller mit Muffins auf Shanes Schreibtisch. „Sie sollen sich doch bei uns wohl fühlen“, sagte sie und bedachte ihn und Tamara mit einem herzlichen Lächeln, „ich weiß, wie das ist, wenn man von zu Hause weg ist.“
„Danke, Jodi!“, sagte Tamara freundlich, „ich trinke grünen Tee“, und deutete auf ihre Tasse.
„Geben Sie ihn mir“, sagte Shane. Jodi stellte das Tablett auf seinen Schreibtisch. Als die Tür hinter Jodi zufiel, herrschte zwischen ihm und Tamara Schweigen. Nach ein paar Minuten öffnete die Sekretärin erneut die Tür und meldete Alan Hall.
Zwar war Alan Hall genauso gepflegt gekleidet wie gestern, aber sein Gesicht wirkte nicht mehr ganz so glatt und gleichmäßig in seiner Farbe, seine Haltung hatte von ihrer Spannkraft eingebüßt und um seine dunklen, tiefliegenden Augen breiteten sich Schatten aus.
Shane zeigte auf den Besucherstuhl neben seinem Schreibtisch. Hall setzte sich und ohne etwas zu sagen zog er einen Zettel aus seiner ledernen Brieftasche und legte ihn vor Shane auf den Tisch.
Sorry. Romaine.
war in Schreibschrift darauf zu lesen. Shane und Tamara sahen ihn abwartend an.
„Am Freitag – nicht letzten, sondern vorletzten“, begann er langsam, „hatten wir einhundert Personen zu einer Hochzeit. Acht-Gänge-Menü, Champagner, Wein, Spirituosen, Kaffee, Kuchen.“ Er räusperte sich. „Es war ein großzügig arrangiertes Fest. Gewöhnlich schicken wir nach einer so großen Veranstaltung eine Rechnung. Doch der Vater der Braut wollte sofort die Rechnung und bezahlte den kompletten Betrag in bar.“
Er schwieg einen Augenblick und fuhr sich übers Haar.
„Wir sind nicht von der Steuerbehörde“, sagte Shane, und Tamara nickte Hall aufmunternd zu. Er fuhr fort:
„Er zahlte den gesamten Betrag am Ende des Abends, elftausend vierhundertzweiundsechzig Dollar, die er auf zwölftausend aufrundete. Das Geld habe ich im Safe in meinem Büro deponiert – mit den Einnahmen der ganzen Woche. Rund zwanzigtausend Dollar. Als ich am vergangenen Montag das Geld zur Bank bringen wollte, war der Safe leer.“ Er machte eine Bewegung mit dem Kinn auf den Zettel, „bis auf diese Nachricht. Und Romaine ist nicht zur Arbeit gekommen. Sie hatte als einzige Mitarbeiterin einen Safeschlüssel.“
Plötzlich gab es ein Motiv: zwanzigtausend Dollar.
„Mister Hall“, begann Shane und sah ihm direkt in die Augen, „warum sind Sie nicht gleich zur Polizei gegangen?“
Alan Hall war aufgestanden und ging auf und ab.
„Mister Hall! Kriegen wir jetzt eine Erklärung oder sollen wir raten! Romaine ist tot! Sie brauchen sie nicht mehr in Schutz zu nehmen!“
Shane erinnerte sich an das Foto Romaines. Ihre engstehenden Augen, ihre zu große Nase, das aufdringliche Blond ihres Haares. Alan Hall war dagegen elegant, gepflegt, kultiviert. Vielleicht war Romaine genau das, wonach Alan Hall sich sehnte: Unkompliziert, keine großen Ansprüche, direkt.
„War Romaine Stavarakis mehr als eine Angestellte für Sie?“, fragte Shane, „hatten Sie mit Romaine ... “, Hall fiel ihm ins Wort.
„Ja.“
„Sie hatten