Operation Ljutsch. Reinhard Otto Kranz

Operation Ljutsch - Reinhard Otto Kranz


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Blumenstauden und Büsche angesiedelt, dass sich ein Gemälde auftat.

      Der Hausherr bemerkte, dass sein Gast beeindruckt war: Licht. – Sehen sie das Licht? Das müssten Sie mal in der Veränderung des Lichtes sehen. Früh im Dunst der aufgehenden Sonne ein Gedicht, mittags in voller Pracht und abends wie eine künstlerische Übertreibung. Selbst bei grauem Wetter ist dieser Reichtum an gedeckten Farbtönen wie eine Symphonie. Sie müssen wissen, ich bin eigentlich Musiker. – Kennen uns. – Und wir kennen uns, besser, sind uns schon begegnet!«

      Diesmal genoss er Oies überraschten Blick: »Ja, ich habe ein Namen- und Bildgedächtnis. Blaues Pferd. – Ihr Blaues Pferd ist mir noch lebhaft in Erinnerung.«

      Bei Oie dämmert es: »Prebelow?«

      »Prebelow, ja, Prebelow«, lächelte Nussbaum. – »Jahre. – Über fünfunddreißig Jahre ist das her. Dieses Elfen-Lager der Damen der künstlerischen Hochschulen Berlins, an den Rheinsberger Seen – Zivilverteidigung – da haben wir uns getroffen. Ich war damals nicht wehrtauglich, wie es hieß, aus gesundheitlichen Gründen, wegen meines Autismus, während die anderen Studenten ins Militärlager mussten.«

      Oie fing an sich zu erinnern: »Da war am Abschluss so ein künstlerisches Wochenende, zu dem alle was beitrugen, tanzten, etwas vorspielten oder ausstellten, was sie so draufhatten – haben Sie da nicht Cello gespielt?«

      »Ja, das habe ich. - Aquarell.« – lächelte Nussbaum. –»Und ich wollte Ihr Aquarell Blaues Pferd gegen eine Partitur von mir tauschen – aber Sie wollten nicht.«

      »Ich erinnere mich jetzt, tut mir leid«, bedauerte Oie, »das kleine Bild war mir lieb geworden und eine Hommage an Franz Marc – außerdem kann ich mit Partituren nicht viel anfangen. Tut mir auch deshalb leid, weil es so gesehen eine Premiere gewesen wäre, in meinem neuen Leben. Ich hatte zuvor noch nie ein Bild verkauft oder getauscht.«

      Nussbaum lächelte und setzte sich gegenüber: »Weltendorf. – Ja, die Welt ist ein Dorf. Köpfe. – Eigentlich wollte ich Sie damals um einen ihrer schönen Lindenholz-Köpfe bitten, diese Portraits in Lebensgröße, die so nach frischem Holz rochen, aber ich traute mich nicht, weil man ihnen die viele Arbeit ansah und ich kein Geld hatte.– Schade!«

      Oie sah in Nussbaums leuchtende Augen. Das Zucken war fast verschwunden aber der Satzbau von Nussbaum war noch immer irgendwie irritierend anders.

      »Das waren damals schöne und aufregende Wochen in den märkischen Wäldern«, erinnerte sich Oie: »Wir Männer waren ja unter den Mädels eine verschwindende Minderheit. Ich konnte mir als militärisch Gedienter, auf Befehl des Lagerleiters, eine Handvoll Kunst-Studenten aussuchen, mit denen ich, als deutscher Ingenieur, diskret seinen schwarzen Garagenbau in der Nachbarschaft hochzog.

      Schweigegeld war jeder Nachmittag, an dem wir dann dort ein freies Holzbildhauer-Plain-Air veranstaltet haben. Die zwei Köpfe stehen heute noch in meinem Atelier.«

      »Geblieben. – Also sind Sie dabeigeblieben. – Schön, schön«, freute sich Nussbaum. »Ich selbst habe dann bald aufgehört, Cello und Dirigat zu studieren. Als Individualist und stimmungsabhängiger Autist war es nichts für mich, im Stress eines übenden Orchesters. Meine wohl verrückten Phrasierungen, die teils dramatisch, teils witzig die jeweilige Sache nach Lust und Laune trafen, fanden die anderen Dienst habenden Musikanten zunehmend unlustig. Auch mochte ich nicht – verstörend undiplomatisch, wie ich damals wohl gewesen bin – wie ein Dompteur vor dem Orchester stehen.

      Meine Eltern haben mich immer als Dirigenten gesehen und unendlich viel in meine musikalische Ausbildung investiert. Aber bei mir reifte die Erkenntnis, dass es keine Perspektive hatte, es ihnen nur recht zu machen. Ich schmiss das Studium nach drei Jahren Musikhochschule auf den Rat meines Arztes hin.

      Wenn ich dabeigeblieben wäre, hätte das nur zu immer weiteren Blockaden und Verspannungen mit rasenden Kopfschmerzen geführt. Gehirn. – Mein Gehirn arbeitet anders, das merken sie sicher an meiner Artikulation, obwohl ich das ganz gut im Griff habe.

      Diese, ihnen sicher merkwürdig erscheinenden Wiederholungen von Worten und Begrifflichkeiten, sind bei mir nur immer Aufrufe für bestimmte Teile meines Datenspeichers oder eines neuen Kapitels. Eine Obsession alles zu ordnen und zu speichern, um es verfügbar zu haben. Das habe ich seit meiner Kindheit, wo ich schon den ganzen Brockhaus aufgesogen und abgespeichert habe. Klingt wahnsinnig was?«

      Der überraschte Oie, als Künstler immer auf der Suche nach dem Rad schlagenden Pfau und den Farben des Regenbogens menschlicher Kultur, war beeindruckt: »Und was kam dann – es muss ja vielgeblieben sein, wenn ich ihre schönen Instrumente sehe.«

      Im Raum standen ein lackschwarzer Flügel und mehrere Celli, in teils offenen Celloetuis.

      »Hilfsarbeiter. – Na zunächst nicht viel, nach der Exmatrikulation. Nur Hilfsarbeiter bei Berlin-Chemie. Bis ein alter Mathematiklehrer und Zirkel-Chef aus Pioniertagen von meiner Situation erfuhr.

      Der erinnerte sich an meine offensichtlich beeindruckenden Erfolge bei den Mathematik-Olympiaden in Berlin. Er telefonierte eine Weile rum, dann hatte ich ein Aufnahmegespräch beim Dekan der Mathematischen Fakultät an der Humboldt-Universität und postwendend einen Sonderstudienplan. Später wurde ich Kryptologe. Nicht gleich, aber nach dem Diplom, im Rahmen eines Forschungsstudiums. Praxispartner war das Mathematisch-Physikalische Institut der Nationalen Volksarmee.«

      »Wie denn so was?« – Oie fixierte Nussbaum hellwach und dachte an den Anstrich auf Antonows Liste.

      »Aufklärung. – Das hieß offiziell so, war aber der Bereich Aufklärung der NVA – des Militär-Geheimdienstes. Mit dem Ende der DDR hieß die Organisation Militäraufklärung der NVA.«

      »Was hatte ein Militär-Geheimdienst mit ihrem Mathematik-Studium zu tun, wie kann man das verstehen – und was ist Kryptologie, wobei ich was ahne, denn meine Frau redet von kryptischen Rätseln, wenn sie mich nicht versteht.«

      »So ungefähr, aber exakt: Kryptologie. – Kryptologie ist, vereinfacht gesagt, alles, was man an mathematischen und algorithmischen Verfahren für die Informationssicherheit einsetzen kann – um Codes zu entwickeln und Codes zu knacken. Das wird in Staaten, Unternehmenund bei Geheimdiensten gebraucht, – sonst bliebe in der Kommunikation wenig geheim, würde ich mal sagen. Dafür brauchten die damals frische Leute mit einem unbefangenen, schrägen Blick. Das war die Lage. Studieren. – Zweimal auf Staatskosten studieren ging nicht so einfach, außer bei besonders exotischen Begabungen, von denen man sich was versprach, oder an den Nahtstellen zwischen den Disziplinen, wie zum Beispiel angrenzend zur Mathematik.

      Mathe-Exot. – So ein Mathe-Exot war ich wohl.«

      Oie hakte ein: »Und was war nun das Besondere?«

      Nussbaum rieb sich den nicht vorhandenen Bart: »Na ja, das habe ich eben schon angedeutet – ich ticke ein bisschen anders. Schon als Kind konnte ich ganze Märchenbücher speichern und Wort für Wort aufsagen.«

      »Ist ja erstaunlich«, war Oie beeindruckt.

      »Noten. – Beim Musizieren habe ich keine Noten gebraucht. – Nur einmal, danach habe ich sie vor meinem geistigen Auge gesehen, auch komplizierteste Partituren, wie beim Studium des Dirigats. Nur genutzt hat es mir, wie gesagt, nichts.

      Die Mathematik – und später das Militär – waren dann auch gesundheitlich mein Glück­, denn ich brauche klar strukturierte, relativ ungestörte Tagesabläufe – sonst bekomme ich Probleme.

      Mit dem Eintauchen in die Mathematik habe ich dabei diese exotische Fähigkeit bemerkt – besser, meine Lehrer haben sie bemerkt – nicht nur rezipierend, sondern auch konstruktiv zu agieren, grafische Ordnungen der Bilder und Zahlen zu fokussieren, gleichzeitig zu speichern und damit zu arbeiten.«

      »Bitte was?«, rätselte Oie.

      »Beziehungen. – Das heißt, aus großen Mengen von Zahlenkombinationen, Buchstaben oder Bildern die Verwandtschaft und die hintergründigen Beziehungen zu erkennen. Ein Beispiel, das ich immer für Laien gebe: Hühnerhof. – Ein Blick von oben auf einen großen Hühnerhof mit Hunderten eng stehender, pickender Hühner.


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