Operation Ljutsch. Reinhard Otto Kranz

Operation Ljutsch - Reinhard Otto Kranz


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abzuhalten waren, ins Grün des Salat-Feldes einzufallen. Ob sie die zur abendlichen Markthallenschließung getauschten, noch zappelnden Karpfen mit Zeitungen bändigen sollten, oder bei der Heimfahrt für zwei Stunden auf dem Kutschbock symbolisch die Zügel hielten, weil ihr Vater, nach den geistigen Getränken der Fisch-Weiber, weggenickt war und die Pferde den Weg durch Berlin, nach Blankenburg, zu Stall und Futterkrippe, besser als die Jungens kannten; – sie gaben ihr Bestes.

      Von klein auf waren sie verpflichtet, ein nützliches Glied in der Gemeinschaft auf dem Hof zu sein – von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang – durch Hilfe beim Sähen und dann auch beim Ernten.

      Alle Zumutungen der Zeit, die großen politischen und die daraus folgenden kleinen im persönlichen Leben, nahmen ihre Eltern mit Ruhe und offenem Visier an – und mit wendigen Entschlüssen, um das Beste daraus zu machen.

      So war er erzogen: Wenn Sturm und Regen das Getreide niedergelegt hatten, wurde es zu Futter für die Tiere verhäckselt und alle kümmerten sich umso mehr bei der Kartoffel-Ernte.

      Wenn die Hühnerpest die Bestände dahinraffte, besorgten alle Futter für noch mehr Kaninchen.

      Die Herren kommen und gehen, der freie Bauer bleibt bestehen, war der Leitspruch unter den Landwirten des Ortes, von deren naturverbundenen archaischem Beharrungsvermögen Oie schon als Kind beeindruckt war. – Was er erst später verstand und was in diesen Zeiten pseudo-revolutionärer Umbrüche als anachronistisch denunziert wurde – wie alles was nicht in die Ideologie getränkte Scheinwelt der neuen, kleinen und großen Machthaber passte.

      Ihre weitgehende Immunisierung gegen all die politischen Zumutungen auf ihrem Lebensweg im besetzten Deutschland – auch wenn es vorgab, die erste gerechte, demokratische und sozialistische Alternative zu sein – hatten seine Eltern wohl daher, – und das durchfärbte dann auch ihre Kinder.

      Aber wie anders wären sein Leben und das seines Freundes verlaufen, wenn der Mauerbau – dieser wahnsinnig-pragmatische Schnitt in die Verhältnisse – nicht stattgefunden hätte! Würde der Freund noch leben, und säße Oie jetzt hier?

      Und warum konnte die Mauer nur mit ebensolchem Schnitt in die politischen Verhältnisse fallen?

      Auch da verspürte er in diesem Augenblick einen Zusammenhang.

      Herr Nussbaum kam aus der Küche, stellte ihm einen Pott Kaffee hin und setzte sich mit seinem gegenüber. Oie schnupperte, sog den Duft des Kaffees tief ein, nippte und fühlte sich warm ums Herz. Er fragte: »Ein Pharisäer? Da ist doch Alkohol drin – oder irre ich mich? Ich bin mit dem Auto da.«

      Nussbaum sagte nur: »Test – Test bestanden!«

      »Was?«, stutzte Oie.

      »Olfaktorischer Sinn. – Na der Geruchssinn und das, sagen wir mal, Gewissen funktionieren noch richtig.«

      »So?«, wunderte sich Oie, der von dieser skurrilen Diagnose etwas überrascht war – »ist das so wichtig?«

      »Nein – aber es gibt ein Bild.«

      Oie rätselte noch, da pries Nussbaum: »Arabisch. – Das sind arabische Bohnen, aus dem Jemen, ganz besondere Sorte. Probieren Sie – der zweite Schluck steigert den Genuss unvergleichlich.«

      Oie nippte und trank dann Schlückchen weise einen Kaffee, der ihn erstaunte. Zart duftend und fein aromatisch, irgendwie ölig gezimtet, lief er ihm den Hals runter, sodass er nicht wusste, ist es der Kaffee allein, oder mehr der unbestreitbare Zusatz.

      Schweigend saßen sie sich gegenüber.

      Nussbaum war gartengebräunt, eisgrau im welligen Haar, mit kleinen, wachen dunklen Augen. Die Hände waren die feingliedrigen eines Musikers. Gekleidet in Jeans und weißem Hemd, sah er aus wie ein Kurpatient auf der Sonnenseite.

      »Und jetzt, was machen Sie jetzt, wenn ich fragen darf?«

      »Garten. – Ich liege den halben Tag in der Sonne – das sieht man doch – und ich pflege meine Zipperlein. Sie wissen doch, wenn man über fünfzig ist und morgens aufwacht, und nichts mehr wehtut, ist man tot.«

      Oie stimmte lächelnd zu.

      »Arbeitslos. – Im Ernst: Ich bin seit fünfzehn Jahren arbeitslos und wir leben hier im ehemaligen Haus meiner Eltern. Die Kinder sind in der Welt, haben schon studiert und schauen von Zeit zu Zeit mal rein. Wir kommen deshalb mit dem Gehalt meiner Frau als Krankenhaus-Ärztin gut hin.

      Hausmeister, Koch, Gärtner und Liebhaber ist jetzt meine Stellenbeschreibung. Ich mache den Garten und pflege meine Hobbys, koche, kümmere mich ums Haus – vor allem damit es meiner Holden trotz der Wechsel-Dienste gut geht. Deshalb musizieren wir auch zusammen. Und ich habe noch ein paar alte Freunde.«

      Da hakte Oie ein: »Alte Freunde hatten wir offensichtlich auch gemeinsam, wenigstens einen – Igor Antonow.«

      »Tot. – Der ist leider tot«, seufzte Nussbaum – und Oie wusste, er muss jetzt die Karten auf den Tisch legen.

      Umständlich, noch zögernd, kramte er den Brief Antonows hervor und schob ihn über den Tisch: »Hier lesen Sie – der ist zwar an mich, aber Igor meint wohl nicht nur mich. Ich bin auf Verbündete und Hilfe angewiesen. Wie die aussehen kann, weiß ich allerdings noch nicht.«

      Nussbaum zögerte einen Augenblick misstrauisch, nahm ihn dann langsam und las umsichtig, blätterte ein paar Mal zurück, als ob er seinen Augen nicht traute, während Oie vom hinreißenden Kaffee trank, dessen Aroma sich im Abkühlen – wie der Garten im Licht – fein veränderte.

      Nach langen Minuten schaute Nussbaum zu ihm herüber, das Zucken seiner Augen sichtlich unterdrückend.

      »Und?«, fragte Oie.

      »Bruder. – Das mit ihrem Bruder tut mir leid – so einen persönlichen Aspekt habe ich in der ganzen Operation damals nicht gesehen.

      Ei. – Ansonsten ein starkes Stück oder ein dickes Ei, das uns unser Freund Igor da ins Nest gelegt hat. Haben Sie schon einen Plan, – und haben Sie sich abgesichert?«

      Oies schaute sichtlich verstört, was Nussbaum nachfragen ließ.

      Nachdem Oie in groben Zügen geschildert hatte, was sich auf Franzfelde und mit der Berliner Wohnung zugetragen hatte, wurde Nussbaum unruhig:

      »Informationen. – Das war zu erwarten, die mögen das gar nicht, wenn irgendwelche nicht autorisierten Informationen nach außen entweichen – das rüttelt an den Grundfesten aller Dienste.«

      Oie war sich sicher: »Das ist doch aber autorisiert, wie es deutlicher nicht sein könnte.«

      »Lord-Siegel-Bewahrer. – Schon-schon«, bestätigte Nussbaum, »bloß Der Lord-Siegel-Bewahrer ist tot, wie die Engländer sagen würden. Das nutzt ihnen also nichts. Igor wusste glaube ich auch, weshalb er das erst nach seinem Tode raus gelassen hat. Haben Sie die Liste dabei?«

      »Nein vorsichtshalber nicht. Ich konnte ja nicht wissen, was mich erwartet.«

      »Gut so«, meinte Nussbaum, »Test. – Zweiter Test bestanden!«

      »Ihr Name, der Rechner, befindet sich unter den Markierten, die mir Igor Antonow posthum irgendwie empfehlen wollte«, versuchte Oiezu locken.

      Nussbaums Stimme war fühlbar berührt: »Igor. – Ja das ehrt mich, obwohl es so lange her ist. Er war schon eine imposante Persönlichkeit, der Igor Antonow. Ich habe ihn allerdings nur ein paar Mal getroffen, in Berlin und in Ungarn – das ist mir nachdrücklich in Erinnerung geblieben.

      Den Rechner lassen Sie aber künftig stecken – das ist Geschichte.

      Tun. - Aber was ist zu tun?«, zögerte er nachdenklich. »Sind Sie abgetaucht?«

      »Noch nicht vollständig.«

      »Das ist aber wichtig! – Wo?«

      »Bei einer Verwandten im ländlichen Berlin. Die kennt niemand von denen, die mir gefährlich werden könnten, denke ich. Ich fahre auch deren Auto.«

      »Ausweis.


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