Rette uns, Elaine!. Inga Kozuruba

Rette uns, Elaine! - Inga Kozuruba


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ihm fertig. Was ich dich schon vorher fragen wollte – wo ist Rick?“

      Siren sah zu Boden: „Er... er ist im Krankenhaus... dieser Kerl hat meinen Jungen halb tot geprügelt, als er mir helfen wollte.“ Dann schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen und begann zu weinen.

      Elaine setzte sich zu ihr und legte einen Arm um ihre Schultern: „Das tut mir leid... Ich wünschte, ich hätte es früher gewusst...“

      Siren schwieg. Elaine hatte irgendwie das Gefühl, dass sie es sich ebenfalls gewünscht hatte. Aber sie wollte nicht undankbar sein und ihr den Vorwurf ins Gesicht schreien.

      „Glaub mir, wenn ich es gewusst hätte, dann wäre ich sofort gekommen. Es sind meine Freunde, und ich kann nur erahnen, was sie im Moment durchmachen.“

      Siren sah Elaine an, eine Mischung aus Hoffnung und Angst in ihrem Blick: „Dann... dann weißt du, wo er ist?“

      Elaine nickte und brauchte einige Augenblicke, bis sie sprechen konnte: „Er... er ist gefangen... in der Tiefe.“

      Siren schrie kurz auf und kippte bewusstlos gegen Elaine. Sie fing sie auf und hob sie hoch – Siren wog viel weniger als damals nach ihrem unfreiwilligen Aufenthalt im Agenten-Hauptquartier – und legte sie vorsichtig auf den Tisch. Dann sah sie sich um. Gab es in diesem Haus kein Telefon? Gab es hier überhaupt Telefone?

      Sie musste eine Weile suchen, fand dann aber in einer der privaten Räumlichkeiten ein Gerät.

      Als sie den Hörer abnahm, hörte sie eine monotone, weibliche Stimme: „Mit wem wollen Sie verbunden werden?“

      Elaine stutzte: „Ähm... das Krankenhaus bitte.“

      „Einen Augenblick...“ Sie hörte das typische Knacken eines wählenden Telefons, dann klingelte es am anderen Ende der Leitung. Elaine wartete und dachte schon, dass niemand mehr rangehen würde, als sich erneut eine Frauenstimme meldete.

      Sie klang überraschend freundlich, fand Elaine: „Hier das Krankenhaus. Welcher Notfall liegt bei Ihnen vor?“

      „Ähm – ich würde gern einen Patienten sprechen. Sein Name ist Rick.“

      „Rick – und weiter? Und wie war Ihr Name?“

      Elaine stutzte. Sie wusste gar nicht, dass Leo einen Nachnamen hatte. „Mein Name ist Ellie. Seinen Nachnamen weiß ich nicht. Seine Eltern sind Leo und Siren, ich meine Beverly.“

      Erstaunt hörte sie: „Ach, dieser Junge. Warten Sie einen Moment.“

      Also wartete Elaine.

      Dann meldete sich die Frauenstimme wieder: „Ich werde Sie jetzt durchstellen.“

      Elaine nickte, obwohl die Frau sie nicht sehen konnte, dann hörte sie eine Weile ein nichtssagendes Trällern. Dann verstummte es, statt dessen kam ein: „Hallo?“

      Es war eine Jungenstimme, gerade im Stimmbruch. „Hallo Rick, ich bin’s, Ellie. Ich bin gerade bei deiner Mutter.“

      „Geht es ihr gut?“

      „Sie ist ohnmächtig, aber ansonsten in Ordnung, glaube ich. Hör mal, wie geht es dir? Wann kommst du raus?“

      „Am liebsten würden sie mich hier sofort vor die Tür setzen. Wo ist er?“

      Elaine war klar, dass damit niemand anderes als Bill gemeint sein konnte: „Mach dir keine Sorgen. Er ist erst einmal weg vom Fenster.“

      Sie hörte einen erfreuten Aufschrei am anderen Ende der Leitung.

      „Also, wann kommst du raus?“

      „Du bist in der Kneipe, richtig?“

      „Ja.“

      „Bleib da, ich komme so schnell ich kann!“

      Sie bejahte und hörte dann, wie er auflegte. Also legte sie ebenfalls auf und ging zurück zu Siren.

      Sie kam gerade zu sich und sah zu Elaine: „Was ist passiert?“

      Elaine erklärte ihr erneut, was sie vorhin zu ihr gesagt hatte und fügte hinzu, dass Rick auf dem Weg zu ihnen war.

      Siren richtete sich erschrocken auf: „Was? Nein, das sollte er doch nicht tun!“

      Elaine sah sie fragend an. „Ich habe ihm gesagt, er sollte so lange wie möglich im Krankenhaus bleiben. Er kann ihm dort nichts anhaben, verstehst du?“

      Elaine legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter: „Mach dir keine Sorgen. Dort, wo er im Moment ist, kann er niemandem etwas anhaben.“

      Siren schien eine Weile zu brauchen, bis sie diesen Gedanken akzeptieren konnte. „Und... was ist mit den anderen? Sie... sie haben immer zu ihm gehalten. Was ist, wenn sie davon erfahren?“

      Elaine sah plötzlich eine Szene vor sich. Siren flehte Boos Doppelgänger an, ihr zu helfen. Er hatte sie nur ausgelacht, und später wurde sie von Bill quer durch die Kneipe geprügelt. Ein Wunder, dass sie das überlebt hatte. Mit Ivana und Alexandre hatte sie sich vermutlich gar nicht erst treffen können. Und wenn doch, dann war es wohl genauso ausgegangen. Ein weiteres Mal hatte sie nicht mehr gefragt und hatte versucht, selbst mit dem Problem fertig zu werden. Vermutlich wäre sie schon lange mit ihrem Sohn fortgegangen, wenn er nicht manchmal in der Lage gewesen wäre, so gut zu ihr zu sein wie der Mann, den sie liebte. Oder hatte sie es versucht, aber er hatte sie stets wieder gefunden und mit Gewalt zurückgeholt? Vieles war denkbar.

      Die Tür schwang auf und riss Elaine aus ihren Gedanken. Ein großgewachsener, hagerer Jugendlicher eilte in den Raum und zog Siren in eine enge Umarmung. Seine Haare schimmerten rötlich-golden, fast so intensiv wie Sirens Haar früher.

      „Geht es dir gut?“, hörte sie beide immer wieder sagen, „Sie hat gesagt, er ist weg.“

      Tränen stiegen Elaine in die Augen und ihr Hals war wie zugeschnürt. Sie wollte nicht wissen, was sie in der Zeit durchgemacht hatten. Gleichzeitig aber dachte sie daran, dass es jemanden gab, den sie nur zu gerne umarmt hätte. Er war mit ihrem Namen auf den Lippen gestorben. Warum hatte sie seinen Hilferuf nicht gehört? Warum hörte sie ihre Hilferufe erst jetzt?

      „Ellie? Kannst du noch einmal sagen... wo Leo ist?“, hörte sie Sirens zitternde Stimme und zwang die Tränen wieder dorthin zurück, wo sie hergekommen waren.

      „Er... er ist zusammen mit den anderen drei in der Tiefe. Wisst ihr, als wir an diesem einen Tag dort waren, um den Prinzen zu retten, ging irgend etwas schief. Wir wurden gefangen und vor die... Mutter gebracht. Sie hätte uns alle töten lassen können. Irony und Corry haben sich ihr im Tausch für unsere Freiheit angeboten. Also blieben sie dort und wir gingen. Kurz bevor wir dann in den Kasernen waren, stießen Corry und Irony doch wieder zu uns. Jedenfalls glaubten wir das.“

      Die beiden sahen sie mit aufgerissenen Augen an. Elaine atmete tief durch und sprach weiter: „Ich weiß nicht, wie es genau passiert ist. Und ich glaube, es ist besser, wenn ich keine Theorien darüber aufstelle. Vielleicht wird eine davon noch zur Wahrheit, wenn ich mich zu sehr in sie verrenne. Jedenfalls, an diesem Tag haben die Doppelgänger, mit denen wir schon einmal zu tun hatten, die Plätze der beiden eingenommen. Ich denke, Leo wird euch von der Maskerade erzählt haben.“ Beide nickten.

      „Ja, seit dem Tag waren Alexandre und Ivana hier oben. Corry und Irony sind immer noch Gefangene der Tiefe. Und irgendwie haben es ihre Doppelgänger wohl geschafft, Boo und Leo in die Finger zu bekommen und auszutauschen. Wenn es in der Zeit des Wiederaufbaus passiert ist, wie ich aus Sirens Worten vermute, war es einfach für sie gewesen, wie auch immer sie es gemacht haben. Es würde mich nicht wundern, wenn sie die Hilfe der Kreaturen hatten.“

      „Soll das heißen, mein Vater ist schon seit Jahren in der Tiefe gefangen? Aber warum kommst du denn erst jetzt?!“

      Elaine biss sich auf die Unterlippe: „Ich... ich hatte Alpträume seit ich das zweite Mal von hier fortging. Und ich habe Zeit gebraucht, bis ich ihren Sinn erkannt habe. Ich wusste nicht, wie viel Zeit hier vergangen war. Ich glaube, das weiß man nie.“


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