Rette uns, Elaine!. Inga Kozuruba

Rette uns, Elaine! - Inga Kozuruba


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gut zu hören als Elaine stehen blieb und zögerte, die Hand auf die Türklinke zu legen. Sie war sich sicher, dass diese Tür nicht abgeschlossen war. Trotzdem wollte sie nicht mitten in einen Ehestreit platzen. Statt dessen lauschte sie wie gebannt. Dass sich Eheleute zankten, das kam schon mal vor. Auch dass dabei Geschirr zu Bruch ging. Siren war sicherlich nicht temperamentlos. Wenn Leo die Beherrschung verlor, dann wäre Elaine sicherlich die letzte, die zur Zielscheibe seines Zorns werden wollte. Aber normalerweise verlor Leo nicht die Beherrschung. Nicht so.

      Elaine hielt den Atem an, als sie Sirens Schmerzensschrei hörte. Leo schlug seine Frau?! Sie riss die Tür auf und eilte schnellen Schrittes auf die Laute zu. Die dunklen Gänge führten sie recht bald in die Küche. Ja, es war einiges an Geschirr zu Bruch gegangen. Aber nicht nur das. Elaine erstarrte. Siren lag auf dem Boden und versuchte gerade, sich aufzurichten. Über ihr stand Leo, mit vor Wut verzerrtem Gesicht. Er war nicht wiederzuerkennen.

      „Leo, was machst du da?!“, rief Elaine schließlich aus, als sie endlich sprechen konnte.

      Er drehte sich zu ihr um und für einen Augenblick dachte Elaine, dass er nun auch auf sie losgehen würde. Doch plötzlich war sein Gesicht mit einem freudigen Lächeln erhellt. Elaine fragte sich für einen Augenblick, ob sie tatsächlich das gesehen hatte, was sie zu sehen dachte.

      „Ellie! Was für eine Überraschung! Ich wollte Siren gerade aufhelfen, sie ist ausgerutscht. Vorsicht, der Boden ist glatt! Dummes Spülwasser.“

      Leo ging zur Tür und zwang Elaine regelrecht auf den Gang hinaus. Hinter seinem großen Körper konnte sie nicht mehr erkennen, wie es Siren ging. Dann umarmte er sie zur Begrüßung, ähnlich fest wie immer, und da erhaschte Elaine einen Blick auf Siren. Sie hatte sich aufgerappelt, hielt sich aber an einem Tisch fest. Sie war so blass wie damals, als sie unrechtmäßig von Agenten abgeführt wurde. Allerdings hatte sie ein Veilchen im Gesicht. Das hatten sich Cerebros Leute damals nicht erlaubt. Sie hatte dunkle Augenringe und rote, verweinte Augen. Sie sah irgendwie nicht mehr so schön aus wie früher, und wirkte deutlich älter.

      „Das ist nicht mein Mann!“, sagte ihr Blick.

      Leo ließ Elaine wieder auf den Boden zurück – Leo oder Bill? Elaine war sich nicht mehr sicher. „Also, Ellie, sag an, was machst du hier? Es gibt doch nicht etwa wieder irgendwelche Schwierigkeiten, oder?“

      Elaine lächelte so unverfänglich wie sie nur konnte, und das hatte sie am Hofe sehr gut gelernt: „Na ja, ich denke schon. Corry und Irony haben ein Problem.“

      Er zog eine Augenbraue hoch: „Die beiden? Na, das muss etwas großes sein, wenn sie nach dir rufen. Ich glaube, sie haben seit dem Aufbau von niemandem Hilfe gebraucht. Und wieso bist du dann hier? Ziehen wir wieder zu fünft los? Wo steckt Boo?“

      Elaine grinste: „Den habe ich schon getroffen, keine Sorge. Was meinst du, wo ich übernachtet hab’? Jedenfalls, er wartet noch in der Wohnung. Und er hat mir empfohlen, bei dir reinzuschauen, zum Tee oder so. Er hat mir erzählt, Siren macht wunderbares Gebäck. Apropos, diesbezüglich wollte ich mit ihr sprechen. Du weißt schon, Frauendinge“, sie zwinkerte Leo zu.

      Er grinste: „Rezepte tauschen, was? Von mir aus. Ich setzte dann solange den Tee auf. Siren!“

      Wenn das nicht nach einem Kommando geklungen hatte, dann wusste Elaine nicht, was der Ausruf sein konnte. Siren war aufs Wort bei ihnen.

      „Schatz, Ellie wollte dich etwas wegen deiner Rezepte fragen. Ich mach uns einen Tee.“ Sein Blick fügte dem noch etwas anderes hinzu: „Halt ja deinen Mund, sonst bringe ich dich um.“

      Siren hatte ihn gut verstanden, Elaine jedoch ebenso. Er begab sich wieder in die Küche und ließ sie allein.

      „Gehen wir in die Kneipe zurück?“, fragte Elaine leise.

      Siren nickte und huschte voran. Elaine folgte ihr. Siren deutete auf einen Tisch und sie nahmen Platz.

      Elaine sah sie ernst an und flüsterte: „Keine Angst, Siren, ich bin genau wegen diesem Problem hier. Boo ist ausgetauscht worden, Corry und Irony auch. Und wie es scheint, hast du recht. Ich glaube nicht, dass Leo sich jemals so benommen hätte. Wann hat es angefangen? Wie lange geht das schon? Wie geht es Rick? Du kannst mir lautlos antworten, ich kann Lippenlesen.“

      Siren atmete erleichtert auf und dann bewegten sich ihre Lippen so schnell, dass Elaine kaum mitkam: „Es war noch in der Zeit des Wiederaufbaus. Wir dachten zuerst nur, dass er abgespannt ist. Er war den ganzen Tag mit seinen Freunden und den Agenten unterwegs, um die letzten Kreaturen hier oben auszurotten. Aber dann, als alles zur Ruhe kam, ging es weiter. Es wurde sogar schlimmer. Mir fehlen ein paar Zähne, und Rick ebenso. Wir hatten schon unsere Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen. Und im Bett... frag mich bitte nicht danach. Es ist grauenvoll. Das ist nicht mein Mann.“

      Wie zur Bestätigung war Elaine wieder von süßlicher, warmer, nasser Dunkelheit und Spinnenfäden umgeben. Etwas war anders. Dann merkte sie es. Sie war nicht mehr an Ironys Stelle, sondern da wo Corry war. Sie hatte Ironys Hand schon lange erspürt, ihre Berührung war so sanft und liebevoll. Auf der anderen Seite kam eine große Männerhand dazu. Sie krallte sich fest in Corrys Hand, so fest wie es damals auf der Brücke sein musste, als unter ihnen das Wasser toste und Leo ihr aller Gewicht alleine hielt. Sie hörte ihn schluchzen, genauso leidvoll wie damals im Dschungel. Er wusste, was mit seiner Familie geschah.

      „Nein, Leo, nicht! Sie ist plötzlich ohnmächtig geworden, ich schwöre es!“

      Elaine kam anscheinend gerade rechtzeitig zu sich, um einen neuen Wutausbruch von Bill zu verhindern. Gendarme sorgten dafür, dass auf den Straßen der Stadt Zucht und Ordnung herrschten. Bill sorgte wohl auf seine Weise auch bei sich – oder besser, bei Leo – zu Hause dafür.

      Sie stammelte: „Es... es ist alles okay. Mir ist nichts passiert. Es ist nichts besonderes, Leo. Nur die Nebenwirkung meiner Ankunft hier. Darum bin ich hier.“

      Er ließ Siren stehen und drehte sich zu Elaine. Beide halfen ihr hoch, wieder auf ihren Stuhl.

      „Erzähl,“ sagte er nur.

      „Ich habe ein paar Tabletten genommen und bin eingeschlafen. Dann war ich hier. Boo hat mir erzählt, ich müsste etwas essen und trinken, das hier gemacht wurde. Darum bin ich hier. Damit Siren mir etwas von ihren Plätzchen macht.“ Elaine lächelte Siren zu.

      Leo lachte: „Warum hast du das denn nicht gleich gesagt! Der Tee ist zumindest schon fertig. Also, Schatz, du hast es gehört. An die Arbeit mit dir!“ Er gab Siren einen Klaps auf den Hintern, und sie verschwand wortlos im privaten Bereich.

      Elaine warf ihr kurz einen besorgten Blick hinterher, aber mehr konnte sie sich nicht erlauben. Der Gendarm beobachtete sie. Zu ihrem Glück war er nicht so aufmerksam und einfühlsam wie Leo.

      „Also... erzähl mal. Wie geht’s dir und der Familie? Wie läuft die Kneipe? Was macht der Dschungel eigentlich? Hat man den wieder aufgebaut, oder ist da jetzt was anderes?“ Ein paar der Fragen wollte Elaine tatsächlich beantwortet haben und glaubte nicht, dass er sie in der Hinsicht belügen müsste. Bei anderen wollte sie seine Version der Geschichte hören, sei es nur als einen weiteren Hinweis auf seine Schuld.

      Er lehnte sich zurück: „Uns geht’s prima. Rick ist bald aus der Schule raus. Seine Freundin will zu den Agenten, ich glaube, er wollte auch irgend etwas in der Richtung machen. All’ die Heldengeschichten von seinem Vater haben wohl Eindruck bei ihm gemacht.“ Er zwinkerte Elaine zu. „Die Kneipe macht sich ganz gut, wir haben'ne neue Band, und Siren singt – sie ist unser Star hier. Läuft prima.“

      Dann nahm er einen Schluck Tee: „Nun, ansonsten... den Dschungel gibt’s wieder, ja.“ Er seufzte. „Ich glaube, den werden wir nicht eher los, als es bei euch keine Armen mehr gibt.“

      Elaine nickte. Etwas in der Art hatte der Graf ihr auch mal erzählt. Der Graf. Sie sah zu Leos Doppelgänger: „Boo hat mit erzählt... der Graf ist im Krieg gefallen. Weißt du vielleicht näheres darüber?“

      Sein Gesicht verfinsterte sich: „Nein, tut mir leid. Ich war ganz woanders zu der Zeit. Ansonsten wäre er auch nicht gestorben.“


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