Rette uns, Elaine!. Inga Kozuruba
die Nacht kam schneller, als sie erwartet hatte. Dunkelheit senkte sich über die Stadt. Elaine fragte sich, wo die Zeit geblieben war. Es war wie in einem Traum. Aber das spielte im Moment keine Rolle für sie. Sie ging so früh schlafen wie schon lange nicht mehr, zog den Telefonstecker raus, zog den Bademantel an und nahm wieder ein paar Tabletten. Bis sie endgültig wegdämmerte dachte sie ununterbrochen an das andere Zimmer.
„Hey, guten Morgen Schlafmütze! Und mir hat man vorgeworfen, ich komme nicht aus dem Bett!“ Elaine wurde von Boos Stimme geweckt. Sie roch Kaffee.
„Guten Morgen, Boo... du hast Frühstück gemacht?“
Er grinste sie an: „Das wäre doch das mindeste nach so einer Nacht. Ha, dein Gesicht müsstest du sehen!“ Er klappte beinahe zusammen vor Lachen.
Elaine rollte die Augen: „Hast du mir nicht etwas versprochen?“
Er brauchte einige Zeit, bis er ihr antworten konnte: „Klar... ich hab’ versprochen, ich mach’ dich nicht mehr an. Ich hab’ aber nichts davon gesagt, dass ich keine Witze mehr zu dem Thema machen werd’.“
Elaine seufzte. So viel zum Thema unverbesserlich. Boo schien auf seine Art und Weise die Nachfolge des Grafen angetreten zu haben.
„Also, ich warte dann in der Küche auf dich. Vielleicht sieht die Lage heute ja besser aus als gestern“, Boo schlenderte aus dem Zimmer.
Elaine machte sich fertig und gesellte sich zu ihm an den Frühstückstisch. „Also, irgendwelche Alpträume gehabt heute Nacht?“
Elaine schüttelte den Kopf: „Das nicht – aber ich war wieder zu Hause, du verstehst?“
Er machte große Augen: „Wie? Das geht nicht. Ich bin die ganze Nacht an deinem Bett gesessen. Du hast geschlafen wie ’ne Tote!“
Sie zog eine Augenbraue hoch: „Du hast was gemacht? Warum?“
Er grinste verlegen: „Ähm... zuerst einfach so. Dann ist mir aufgefallen, wie tief du schläfst. Ich war echt versucht, unter den Mantel zu sehen, aber – ja, ich weiß, was ich versprochen hab’. Und dann, weil ich das alles sehr seltsam fand. Ich meine, du bist echt da gelegen wie... wie eine Puppe oder so was.“
Elaine fasste sich an den Kopf. Das wurde ja immer schöner. „Boo... ich brauche Hilfe, sonst wird das noch so weitergehen.“
Er sah sie fragend an: „Was meinst du?“
„Ich bin hierher gekommen, weil ich zu Hause schlafe, und weil ich ein paar Tabletten eingeworfen habe. Schlaftabletten, nichts besonderes. Aber es sieht so aus, als ob ich auf diese Weise nur... irgendwie teilweise wechseln kann.“
Boo kratzte sich am Kopf: „Oh, da erwischst du mich echt auf dem falschen Fuß. Hm... lass mich überlegen. Das Königspaar brauchen wir nicht zu fragen. Der Tornado ist noch immer außer Betrieb. Corry könnte dir helfen.“
Elaine seufzte: „Es ist nicht Corry, glaub’ mir.“
Er rollte die Augen: „Du bestehst noch immer darauf, hm? Okay... lass mich nachdenken. Du musst etwas von hier essen und trinken. Allerdings nicht irgend etwas.“
Dann erhellte sich sein Gesicht: „Es muss etwas sein, das einer von uns selbst gemacht hat. Ha, wir laden uns bei Leo zum Tee ein! Siren macht vortreffliches Gebäck.“
Elaine musste lächeln. Siren und backen? Irgendwie passte das nicht so recht zusammen. Sie war sicherlich eine gute Mutter und Ehefrau, aber als Hausfrau konnte sie die Sängerin einfach nicht vorstellen. Eigentlich war sie bisher immer davon ausgegangen, dass Leo sich um diese Dinge gekümmert hatte. Kochen konnte er wirklich sehr gut, keine Frage. Aber vielleicht hatten sich auch in dieser Hinsicht ein paar Dinge geändert. Es war zumindest nichts falsches darin, backen zu können.
„Okay, Boo, dann gib Leo Bescheid. Hoffentlich zerdrückt er mich nicht wieder. Ich hatte letztes Mal blaue Flecken von seiner stürmischen Begrüßung.“
„Hehe, keine Bange. Er wird dir schon keine Rippen brechen.“
Sie rollte die Augen: „Ich hoffe, du wirst ihn darauf aufmerksam machen, welche Funktion der Tee und das Gebäck haben sollten.“
Boo schmunzelte: „Klar. Wir wollen dich doch alle hier behalten.“
Sie zog eine Augenbraue hoch. Er schmunzelte weiterhin: „Na ja, ich meine, hey, du bist nun mal unsere liebste Träumerin. Und überhaupt. Wäre es nicht cool, einfach nur zu fünft rumzuhängen, ohne dass einem Agenten, Kreaturen oder sonst was im Nacken sitzen?“
Sie nickte. Da hatte er natürlich recht. Aber bevor das passieren konnte, musste sie sich noch darum kümmern, dass sie wirklich zu fünft waren, und keine Doppelgänger darunter. Sie wusste zwar noch nicht, wie sie es anstellen sollte, aber irgendwie würde das schon gehen. Sie hatten bisher immer eine Lösung gefunden.
Sie hob erneut die Tasse zum Mund, aber anstatt des angenehmen Kaffeedufts schlug ihr erneut der Gestank der Tiefe entgegen. Sie erstarrte. Irgend etwas war in der Tasse. Sie sah, wie sich die Oberfläche kräuselte, als ob etwas kleines direkt unter der Oberfläche schwamm. Sie tat, als würde sie erneut daran nippen und setzte vorsichtig die Tasse ab. Boos Blick war für ihren Geschmack zu prüfend.
„Ähm... sag mal, Boo... wann können wir denn zu Leo und Siren?“
Er grinste: „Du kannst es wohl kaum erwarten, hm? Also, von mir aus können wir gleich zum Humpty und dort mit ihnen reden.“
Elaine nickte. Unauffällig musterte sie den Rest vom Frühstück. Alles andere sah normal aus. Sie sah noch einmal zu Boo. Was auch immer in ihrer Tasse war, er musste es dorthin getan haben. Aber warum?
Wieder war Dunkelheit, Nässe und Wärme um sie herum. Wieder war sie in Fäden eingesponnen. Die eine Hand hatte Kontakt mit Corry. Die andere... die andere bewegte sich jetzt auch, ebenso gebunden wie die erste. Aber sie bewegte sich. Und sie fand eine weitere. Kleiner als die eigene, aber keine Frauenhand. Ein paar der Fingernägel abgekaut. Sie zuckte beim ersten Kontakt zusammen, krallte sich dann aber in die eine Hand, als bräuchte sie etwas, um sich festhalten zu können. Wie ein kleines Kind nach der Hand der Mutter greifen würde. Es war Boo.
Elaine merkte, dass sie auf dem Boden lag, und das Boo besorgt Luft in ihre Richtung fächerte. „Verflucht, Ellie, was ist los mit dir? Wieso bist du umgekippt?“
Benommen sah sie ihn, aber sie sah jemand anderen als Boo. Er hatte sich lediglich ein paar Dinge von Boo ausgeliehen. Die Kleidung, die Frisur, ein paar Verhaltensregeln. Aber es war nicht Boo, sondern der einfallslose Narr, der sich nicht einmal einen Namen hatte geben können, als sie ausgezogen waren, um den Hof an der Nase herumzuführen. Irgendetwas war in der Tat gewaltig schief gelaufen.
„Ich... mir ist nur für einen Augenblick schwarz vor Augen geworden, Boo. Ich glaube... das könnte an den Tabletten liegen, die ich genommen hab’. Gestern im Bad ging es mir ähnlich.“
Er musterte sie: „Gestern warst du müde, jetzt warst du ohnmächtig. Dann wiederum, so wie du geschlafen hast... muss wohl so sein. Vielleicht hättest du'ne höhere Dosis nehmen sollen?“
Sie nickte. Vielleicht hätte sie das, aber sie war sich sicher, dass es nicht daran lag. Ihre Freunde waren gefangen, und sie riefen um Hilfe. Sie würde den Teufel tun und irgend etwas schlucken, das diese Hilferufe verstummen ließ.
Wie war Boo ins Netz geraten? War es das dynamische Duo, das sich ihn geschnappt hatte? Das schien die wahrscheinlichste Alternative zu sein. Und vermutlich war er nicht erst seit gestern in der Tiefe gefangen. Sie war also bereits vom Doppelgänger hier in der Hauptstadt empfangen worden. Kein Wunder, dass er ihr einreden wollte, dass alles in bester Ordnung war. Er hatte schließlich wie schon zwei zuvor das Leben von jemand anderem gestohlen. Na warte, Freundchen!
Der Doppelgänger half ihr hoch. Offensichtlich hatte er nicht gemerkt, was in ihrem Kopf vor sich ging. Das war auch gut so. Und es war ein weiterer Hinweis. Boo hätte es gemerkt. Nach seiner Lehrzeit am Hof hätte er es sicherlich gemerkt. Vielleicht musste er deswegen beseitigt werden, weil er auch früher oder später