Rette uns, Elaine!. Inga Kozuruba

Rette uns, Elaine! - Inga Kozuruba


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übliche Behäbigkeit hatte schon viele darüber hinweggetäuscht, wie schnell er sein konnte. Ihm hätte sie nicht ausweichen können. Bill jedoch war nicht Leo, und Elaine war zu dem Zeitpunkt in höchster Alarmbereitschaft. Sie duckte sich unter seinem Griff hinweg und schubste ihn zum Spiegel, zu Alice, deren Grinsen sich beinahe mit dem von Corry messen ließ.

      Bill erwischte Elaine an den Haaren und riss sie mit. Tränen schossen ihr in die Augen, sie schrie auf. Seine Hände legten sich um ihren Hals und begannen zu drücken. Wollte er sie umbringen? Oder würde er sich damit begnügen, dass sie ohnmächtig wurde? Elaine wollte es nicht herausfinden. Mit aller Kraft schob sie ihn gegen den Spiegel.

      Er schrie überrascht auf, als er eiskalte Hände mit viel zu spitzen Fingernägeln auf seinem Gesicht spürte. Die Finger bohrten sich in seine Augen und dann brüllte er vor Schmerz. Er ließ Elaine los, griff nach der anderen, die ihn von hinten überrascht hatte, und versuchte, ihre Hände aus seinem Gesicht zu bekommen. Inzwischen floss schwarzes Blut über seine Wangen. Schwarzes Blut wie das der Kreatur, die sie damals in der Tiefe erlegt hatten, bevor sie ihren Geschwistern Namen geben konnte.

      Elaine schnappte nach Luft, hörte aber nicht auf, den Gendarmen gegen den Spiegel zu schieben. Nach und nach tauchte er in das Glas ein und kam auf der anderen Seite hervor. Alice hatte sich so tief in sein Gesicht gekrallt, dass er es sich vermutlich abreißen würde, würde er ihre Hände abbekommen.

      Die Tür zum Zimmer schwang auf und in ihr stand der Narr, mit einem vor Hass verzerrten Gesicht. Jetzt würde ihn niemand mehr niedlich nennen. Ohne ein Wort zu sagen stürzte er sich auf Elaine, riss sie von Bill los und beide fielen auf den Boden. Vor langer Zeit hatte sie versucht, Boo vom Narren zu befreien, indem sie das Kostüm vom Körper des Jungen zerrte. Jetzt drehte er den Spieß offensichtlich um, wenn auch aus anderen Gründen. Sie wand sich unter ihm, konnte ihn jedoch nicht davon abhalten. Aber darum ging es ihr auch nicht. Sie versuchte, den Füller von Irony zu greifen – und das gelang ihr.

      Während Alice immer noch an Bill zerrte, bohrte Elaine den Füller unter das Kinn des Narren. „Du hörst sofort damit auf, oder ich schwöre, ich jage dir dieses Ding durch dein mickriges Gehirn.“

      Seine Augen waren noch immer hasserfüllt, aber er gehorchte. „Und jetzt runter von mir, du Ekel. Ein wenig plötzlich!“

      Er ließ von ihr ab.

      „In die Ecke!“

      Der Narr ging Schritt für Schritt zurück.

      Der Füller in Elaines Hand begann zu leuchten und streckte sich zu einem dünnen Degen. Der Narr stand still.

      Elaine hatte ihn immer noch mit ihrem Blick fixiert, half nun aber ihrem Spiegelbild. Es war nicht so einfach, Bill zu bewegen, aber schließlich war er ganz drin. Alice schlug seinen Kopf mit aller Wucht gegen den Schreibtisch. Er hörte auf zu zappeln und wurde still. Sie griff nach den Seilen.

      „Dieses Mal werde ich aufpassen, dass die Knoten halten. Und vermutlich werde ich wesentlich mehr Seile brauchen“, bemerkte sie lautlos.

      Elaine wandte sich wieder dem Narren zu: „Ich weiß nicht, ob du nicht auch ein wenig Glück hast, aber eins verspreche ich dir. Noch so eine Aktion, und ich bringe dich um. Also tu dir selbst einen Gefallen, und lass dich fesseln.“

      Er gab es auf und ließ sich ohne Widerstand in den Spiegel stoßen und erneut von Alice verschnüren, dieses Mal fester als vorher. Elaine atmete tief durch und der Degen wurde erneut zu einem Füller, den sie sich einsteckte.

      Sie sah an sich herunter: Ein Teil ihrer Kleidung war zerrissen – aber das war nichts, was sich nicht mit einem Gedanken reparieren ließe. Vermutlich könnte sie auch blaue Flecken und Würgespuren damit beseitigen. Das hoffte sie zumindest. Sie griff sich an den Hals, als ob sie spüren könnte, ob inzwischen etwas darauf zu sehen war. Dann sah sie erneut zu Alice. An ihr war nichts festzustellen. Vielleicht hatte sie Glück.

      „Weißt du, wo ich die anderen beiden finde?“, fragte sie ihr Spiegelbild.

      Alice zuckte mit den Schultern: „Nein. Aber wenn du Pech hast, werden sie dich finden. Mit etwas Glück nur einer von ihnen. Und wenn du richtig viel Glück hast, dann wird er es zuerst sein.“

      Elaine seufzte: „Waren die beiden nicht immer zu zweit unterwegs?“

      Alice setzte ein Grinsen auf: „Normalerweise schon. Aber ich bin mir sicher, dass dir etwas einfällt, womit du sie trennen kannst.“

      Elaine war sich dessen zwar im Augenblick nicht sicher, aber sie nickte trotzdem. Vielleicht würde ihr wirklich etwas einfallen. Aber zuerst wollte sie bei Siren vorbeigehen und sie beruhigen.

      „Sag mal, Alice, kannst du die Tür zur Tiefe schließen, wenn ich dir die Schlüssel gebe?“, fragte sie. Alice überlegte kurz, und nickte dann. „Gut, dann mach das. Ich werde für die Siegel sorgen. Ich will nicht, dass einer von ihnen oder gar beide erneut rauskommen.“

      Alice wirkte nachdenklich: „Ich weiß nicht, ob das mit Sicherheit hilft, aber einen Versuch ist es wert. Gib her.“

      Elaine reichte ihr die Schlüssel, das Spiegelbild sperrte ab, und reichte ihr den Bund durch das Glas zurück.

      „Warum denkst du, dass es nicht sicher ist?“

      „Weil das hier die Tiefe ist, Ellie. Hier gibt es keine Sicherheit. Das weißt du sicherlich noch, oder?“

      „Und was ist mit dir?“

      Alice grinste: „Ich bin nur solange da, wie du hier bist, Schatz. Es ist sicherlich dumm, weil ich nicht Wache stehen kann – aber immerhin können sie mich so auch nicht umbringen.“

      Das erklärte, wie der Narr entkommen konnte. „Dann solltest du vielleicht auch den anderen KO schlagen, damit er zumindest nicht so bald auf dumme Gedanken kommt.“

      Alice grinste, griff nach dem Briefbeschwerer und schlug mit ihm gegen den Kopf des Narren. Er sackte zusammen.

      „Noch eine wichtige Frage: Dem Narren traue ich so etwas nicht zu, er würde nur das Zimmer verwüsten, wenn er sich wieder befreien kann – aber könnte Bill nicht den Spiegel zerschlagen, solange niemand auf ihn aufpassen kann? Oder die Tür aufbrechen und in die Tiefe gehen?“

      Alice überlegte kurz: „Sicherlich kann man den Spiegel zerschlagen – und sicherlich ist diese Tür nicht unzerstörbar. Allerdings hortet Corry weder hier, noch bei dir irgendwelche Waffen in ihrem Zimmer, das ist nicht ihr Stil. Also keine Äxte oder so etwas. Nicht einmal ein Messer. So etwas hat sie immer bei sich. Mit dem Narren gebe ich dir recht. Er ist ein Schlappschwanz. Bill dagegen... er könnte.“

      Elaine ließ die Schultern hängen: „Dann macht das alles nur bedingt Sinn, oder?“

      Alice hob die Hand: „Nun mal langsam. Erst einmal, ich habe sie wirklich gut verschnürt. Hab’ oft genug Corry zusehen können“, sie setzte ein wissendes und hinterlistiges Schmunzeln auf, „und dann ist da noch was anderes. Diese Tür ist bisher noch nie von außen aufgebrochen worden. Und glaub’ mir, das haben schon genug Dinge versucht. Ich weiß nicht, wie es im umgekehrten Fall aussieht, aber sie sollte sehr gut halten können. Es ist nämlich einzigartige Meisterarbeit. Corry hatte mal einem Meister der Türen das Leben gerettet. Zu dumm, dass sie inzwischen dennoch ausgestorben zu sein scheinen...“

      Elaine nickte: „Okay, so weit so gut. Was ist mit dem Spiegel?“

      Alice grinste verschwörerisch: „Er ist ein Relikt aus alten Tagen. Und damit meine ich wirklich alt. Als Drachen und Einhörner noch so normal waren wie Schlangen und Pferde. Als die Hauptstadt noch ein Schloss war. Camelot, Camelot, was ist nur aus dir geworden...“ Alice sah zu Elaine, als ob sie ihre Reaktion abschätzen wollte.

      Elaine war sich offensichtlich nicht sicher, ob ihr Spiegelbild die Wahrheit sagte oder nur einen Scherz machte, also zuckte sie nur mit den Schultern: „Gute Frage. Weiter im Text.“

      Alice grinste: „Schön. Jedenfalls, alte Relikte voller Macht neigen dazu, sich selbst zu erhalten und sich ihre Besitzer selbst auszusuchen. Ich denke, etwas derartiges hast du sicherlich


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