Wolken, Land und Wasser. Michael Schenk

Wolken, Land und Wasser - Michael Schenk


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der Umstehenden auf die Kontrahenten.

      Frau Indara kam gerade hinzu, als der Tuchhändler die Hand an den Griff seines Ehrendolches legte. „Im Namen des Hochlords Nedeam, haltet ein!“

      Indara trat zwischen beide Kontrahenten und sah sie mit blitzenden Augen an. „Ihr werdet euch mir erklären. Erst Ihr, Händler des Weilers, und ich will kein Geschwätz hören.“

      Der Mann klagte sein Leid und der Vorwurf des Betrugs war nicht zu überhören. In der Menge war gelegentlich leises Raunen zu vernehmen, wenn die Anwesenden für den einen oder anderen Händler Partei ergriffen. Der Tuchhändler aus Llaranea wollte seinem Widersacher mehrmals ins Wort fallen, beherrschte sich jedoch angesichts des grimmigen Ausdrucks des Schwertmanns. Dann war er an der Reihe und beteuerte die Korrektheit seiner Gewichte und das er stets einen ehrlichen Handel betreibe.

      Schließlich hob Frau Indara die Hand und gebot Schweigen. „Nun gut, ihr Herren, ich werde nun die Waage prüfen und dann werden wir ja sehen, wessen Worte die Wahrheit sprachen.“

      Der Schwertmann nahm nacheinander die geprüften Gewichte Indaras aus seinem Beutel und stellte sie, mit dem entsprechenden Pendant des Händlers auf der anderen Seite, auf die Fläche der Waage. Das Ergebnis war eindeutig.

      „Die Gewichte sind gleich“, verkündete die Herrin des Marktes. „Doch die Skala der Waage ist fehlerhaft.“ Wütendes Gemurmel erhob sich gegen den Tuchhändler und erneut gebot Indara Ruhe. „Haltet ein, denn der Tuchhändler ist nicht des falschen Handels schuldig. Seine Waage zeigt zu wenig an. Doch das gilt gleichermaßen für die Warenwaagschale und die mit dem Gewicht. Tuchballen und Gewicht wiegen somit gleichermaßen zu wenig. Dies gleicht sich aus. Keiner erlangt einen Vorteil. Der ausgehandelte Preis für das Tuch ist somit gleich ausgewogen, doch damit gerecht gezahlt wird, muss eine neue Waage her. Der Tuchhändler aus Llaranea hat diese zu beschaffen. Dann mag neu gewogen und die gerechte Zahl an Schüsselchen entrichtet werden. Das verkünde ich, Indara, als Herrin des Marktes von Llaranea und im Namen des Hochlords Nedeam.“

      Das Gerät war fehlerhaft, doch niemand war absichtlich betrogen worden und so konnten beide Händler ihr Gesicht wahren.

      Der Tradition folgend verneigten sich beide Männer voreinander und bekundeten so, dass kein Unmut zwischen ihnen stand. Während Helfer des Tuchhändlers zu einem Schmied eilten, um eine neue Waage zu besorgen, schlenderte Indara mit ihrem Begleiter weiter.

      Plötzlich entstand erneute Unruhe.

      „Seht dort! Am Himmel!“

      Aus einem einzelnen Ruf wurden erregte Schreie und immer mehr Blicke richteten sich in den Himmel hinauf. Drei seltsame Objekte waren dort sichtbar, die sich langsam der Stadt näherten.

      „Das … sind keine Lebewesen“, stellte Indara überrascht fest. „Das sind Schiffe, die den Himmel befahren!“

      „Himmelssegler!?“ Der Schwertmann neben ihr umklammerte den Griff seiner Waffe. „Die alten Legenden berichten von Himmelseglern, die das Königreich Alnoa einst besaß.“

      Kurz vor dem Untergang des alten Kontinents, durch den verheerenden Ausbruch eines Vulkans und der Flucht mit Hilfe der Evakuierungsflotte, hatte das Königreich Alnoa die ersten Luftschiffe entwickelt. Inzwischen hielt man die Berichte über sie allerdings für eine Legende. Doch was jetzt am Himmel schwebte, das war real.

      „Jedenfalls sind es Dinge, die von sehr geschickten Händen gefertigt wurden“, stellte ein Glasschmelzer fest, der gerade ein von ihm gefertigtes Langauge ansetzte. „Es fragt sich nur, wessen Hände.“

      „Soll ich das Reet alarmieren und Truppen anfordern?“, fragte der Schwertmann besorgt.

      Indara überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Auch wenn diese Dinge durch den Himmel fliegen, so sind sie doch klein. Ich glaube nicht, dass sie großes Ungemach bringen.“

      „Vielleicht wurden diese Himmelsschiffe sogar von anderen Überlebenden unseres alten Landes erbaut“, war eine hoffnungsvolle Stimme zu hören. „Anderen Überlebenden, die nach uns suchen und uns nun endlich gefunden haben.“

      Der Glasschmelzer mit dem Langauge übergab das Instrument an Indara. „Ich glaube es nicht. Weit hinter den drei Fluggeräten schwebt etwas sehr viel Größeres am Himmel. Etwas wirklich Gewaltiges.“

      Indara nahm das Langauge und war schockiert, als sie die ferne Wolkenstadt sah. Undeutlich und weit entfernt, doch ihre gewaltigen Ausmaße waren offensichtlich. Ein wenig bleich geworden, wandte sie sich dem Schwertmann zu. „Benachrichtige das Reet. Und der Hochherr der Stadt soll Alarm auslösen.“

      „Das ist nicht erforderlich.“

      Niemand hatte auf die Annäherung der Reitergruppe geachtet. Erst die ruhige Stimme des Sprechers zog nun die Aufmerksamkeit auf die kleine Schar.

      „Das ist Nedeam!“, kam der Ruf. „Der Hochlord ist da!“

      Nedeam war beliebt im Volk und Jubel brandete auf, bis Nedeam um Ruhe bat. „Lasst uns abwarten, was sich uns dort nähert. Ich glaube nicht, dass man feindliche Absichten hat. Wir sahen das Objekt von der Küste aus und eilten hierher, so schnell es uns möglich war. Bereiten wir uns auf die Begrüßung der Fremden vor. Wir sollten dies tunlichst in der gebotenen Höflichkeit tun. Freunde findet man selten und Feinde hat man sich rasch genug gemacht.“ Er breitete die Arme aus. „Schafft ein wenig Raum, damit die unbekannten Herren des Himmels hier landen können. Ah, und holt ein paar Musikanten her, die fröhlich aufspielen.“

      „Ihr habt den Hochlord gehört!“, rief Frau Indara und klatschte auffordernd in die Hände. Nun los, bewegt euch!“

      Die Unbekannten kamen nur sehr langsam näher.

      „Das Reet, Herr?“, raunte Antarim.

      Nedeam schüttelte entschieden den Kopf. „Auf keinen Fall, mein erster Schwertmann.“

      „Sie kommen bedrohlich langsam näher“, meinte der Anführer der berittenen Kämpfer. „Vielleicht suchen sie sich bereits die lohnenden Ziele für ihren ersten Angriff aus.“

      Nedeam stützte die Hände auf die Deckenrolle vorne am Sattel. „Ich kann Eure Bedenken verstehen, doch ich vermute, dass sie ebenso unsicher sind wie wir. Sie sind vorsichtig, was man ihnen nicht verdenken kann.“ Er sah seinen Freund lächelnd an. „Außerdem … Seht Euch das gewaltige Objekt an, welches hinter den drei vorderen folgt. Alle Reets und Kämpfer der Landmark könnten nichts dagegen ausrichten. Die Fremden könnten einfach über unsere Köpfe fliegen und uns mit Steinen erschlagen oder was immer ihnen als Waffe dient. Doch wer solche Dinge baut, der ist kein Barbar, der sinnlos einen Kampf beginnt.“

      Inzwischen schuf man hastig einen freien Platz, der reichlich Raum für die kleineren Flugobjekte bot. Von überall, aus der Stadt, vom Markt und aus den Betrieben, eilten Menschen herbei, um dem Schauspiel und der Ankunft der Fremden beizuwohnen. Zwei Gruppen von Musikanten sammelten sich bei Nedeam und Indara.

      „Spielt etwas Fröhliches“, forderte der Hochlord, „und hört erst auf, wenn ich das Zeichen gebe.“

      „Die beiden Kleinen ähneln Vögeln“, stellte Antarim fest, „und das große Objekt jenen Beschreibungen, in denen unsere Legenden von den Himmelseglern Alnoas berichten.“

      „Ihr habt recht, mein Freund.“ Auch Nedeam behielt die Objekte unentwegt im Auge. „Die Fremden werden sich an unseren Bannern orientieren. Wo ein Banner weht, da befindet sich auch derjenige, der etwas zu Sagen hat. Frau Indara, kommt näher an meine Seite und Ihr, Antarim, übernehmt den Befehl über unsere Ehrenwache.“

      Mit der Handvoll Ordnungskräfte des Marktes war die Zahl der Schwertmänner auf zehn angewachsen, die hinter dem Herrn der Landmark eine saubere Linie bildeten. Das Banner des Pferdefürsten und der Wimpel der Stadt Newam wehten leicht im sanften Wind aus, der nun vom Meer heranstrich.

      Die Himmelsflieger waren nun so nahe, dass man Details erkennen konnte, sofern der Blickwinkel von unten dies zuließ. Doch über der Reling des großen Objektes waren nun Gesichter zu sehen, die neugierig nach unten


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